Süddeutsche Zeitung

SZ-Serie "Ein Anruf bei ...":"So ein Papier muss reifen"

Lesezeit: 2 min

In Zerkall wurde das Büttenpapier für den Ampel-Koalitionsvertrag geschöpft - genau wie für das Grundgesetz und Harry Potter. Der Geschäftsführer über seinen symbolträchtigen Moment und darüber, was Zauberpapier von Koalitionspapier unterscheidet.

Interview von Anna Fischhaber

Im Berliner Ausstellungzentrum Futurium haben Spitzenpolitiker von SPD, Grünen und FDP ihre Unterschriften unter den Ampel-Koalitionsvertrag gesetzt. Das Papier mit den rot-gelb-grünen Schnüren, auf dem das Regierungsprogramm steht, stammt aus Zerkall bei Düren, ebenso wie bereits das Papier für das Grundgesetz oder das Kondolenzbuch für Lady Di. Hans-Wilhelm Hambloch, 55, einer der beiden Geschäftsführer, erklärt, was es mit dem handgeschöpften Büttenpapier auf sich hat.

SZ: Minutenlang war Ihr Papier heute im Fernsehen zu sehen. Alle wichtigen Politiker und Politikerinnen der neuen Regierung haben sich darauf verewigt, ein symbolträchtiger Moment. Haben Sie sich das angeguckt, Herr Hambloch?

Hans-Wilhelm Hambloch: Das habe ich nicht geschafft. Unser großer Moment war eh schon gestern. Da haben wir den Koalitionsvertrag an Herrn Nietan übergeben. Das ist der Schatzmeister der SPD. Er hat den Vertrag in seinem Kofferraum nach Berlin gebracht. Da war er ja noch nicht unterschrieben, jetzt ist er natürlich um einiges wertvoller.

Haben Sie denn mal reingelesen?

In Teilen.

Und wie gefällt er Ihnen?

Zwischen den Zeilen lese ich immer wieder den Hinweis, was Neues zu entwickeln. Das finde ich gut. Düren ist ja ein Hotspot der Papierherstellung - und Baumwolle und Holzfasern, das wird es auch nicht ewig geben.

Ist das eigentlich Recyclingpapier? Vor allem die Grünen pochen ja sehr auf Nachhaltigkeit.

Wir haben andere Qualitäten, uns gibt es seit 100 Jahren, unser Papier ist kein Wegwerfprodukt, das entsteht hauptsächlich in Handarbeit. Unser Papier hat eine lange Beständigkeit.

Ein anderes großes Thema der neuen Regierung ist die Digitalisierung. Wie passt das zu Ihrem Papier?

Der Papierabsatz steigt natürlich nicht gerade, aber ganz ehrlich: Seit 25 Jahren wird vom papierlosen Büro geredet, aber so ganz ohne geht es eben auch nicht.

Angst, dass in ein paar Monaten jemand sagt: Der Koalitionsvertrag ist das Papier nicht wert, auf dem er steht?

Nein, so ein Vertrag hat ja keinen Selbstzweck. Es geht darum, ihn mit Leben zu füllen. Was zählt, sind die Menschen, nicht das Papier. Und ich habe immer die Hoffnung, dass jeder in der Politik etwas Gutes für unser Land tun möchte.

Sie haben schon das Büttenpapier für das Grundgesetz 1949 und den Zwei-plus-Vier-Vertrag geliefert. Und jetzt für den Koalitionsvertrag. Wie kommt man an solche Aufträge?

Die ursprünglichen Eigentümer waren irgendwie mit Adenauer verbunden, die haben ja damals in Bonn getagt, das ist nicht so weit. Dass wir das Papier für den Koalitionsvertrag liefern, war schon lange vor der Bundestagswahl ausgemacht. Herr Nietan ist ja nicht nur Schatzmeister, sondern auch Bundestagsabgeordneter für Düren. Er war im Frühling mal bei uns zu Besuch, da kam der Gedanke, gemeinsam die Zeitwende einzuläuten. So ein Papier macht sich ja nicht von einem Tag auf den anderen, das muss reifen, das dauert sechs bis acht Wochen. Das müssen Sie trocknen und befeuchten und dann wieder trocknen und glätten, damit es nicht zu rau ist. Ich glaube, der Koalitionsvertrag wurde schneller geschrieben, als das Papier dafür hergestellt wurde.

Sie liefern nicht nur an die Politik, sondern haben auch Harry Potter oder das Kondolenzbuch für Lady Di zu Papier gebracht. Was unterscheidet Zauberpapier von Koalitionspapier?

Das Zauberpapier hat auslaufende Fasern am Rand, der Koalitionsvertrag ist geschnitten. Das sieht ordentlicher aus.

Und was ist Ihr Lieblingspapier?

Am liebsten mag ich Hochzeits- und Geburtsanzeigen. Aber im Moment kämpfen wir noch damit, die Papiermaschine wieder zum Laufen zu bekommen, am 14. Juli war hier die Flut, das ganze Gelände stand unter Wasser. Die 1000 Bögen für den Koalitionsvertrag hatten wir zum Glück weiter oben gelagert.

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.5482244
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.