Mouctar Bah kannte Oury Jalloh gut. Sein Internetcafé in Dessau war Treffpunkt der schwarzen Community in der Stadt. Bah und Jalloh freundeten sich an. Nach dem Verbrennungstod des Asylbewerbers vor zehn Jahren wurde Bah zu dessen Nachlassverwalter. Die von ihm gegründete "Initiative im Gedenken an Oury Jalloh" versucht seit zehn Jahren, herauszubekommen, was damals in Zelle fünf geschah. Für sein Engagement bekam Bah die Carl-von-Ossietzky-Medaille.
SZ.de: Vor zehn Jahren starb Ihr Freund Oury Jalloh. Wie haben Sie von seinem Tod erfahren?
Mouctar Bah: Über Freunde. Sie kamen damals zu mir in den Laden und sagten, im Radio heiße es, ein Schwarzafrikaner sei in einer Polizeizelle gestorben. Ich konnte mir damals nicht vorstellen, dass es Oury war. Ich hatte ihn ja noch am Abend vorher gesehen. Doch über das Radio kamen immer mehr Informationen zusammen: Dass es sich um einen Asylbewerber handelt, der aus Sierra Leone stammt. Da war klar, dass das nur Oury sein kann. Das war ein Schock. Wir sind alle bei mir im Laden zusammengekommen und haben gebetet. Und es stand sofort die Frage im Raum: Wie kann es sein, dass jemand in einer Polizeizelle verbrennt? Das hat mir keine Ruhe gelassen.
Bis heute gibt es darüber jede Menge Spekulationen. Glauben Sie, dass die Umstände jemals zweifelsfrei aufgeklärt werden können?
Nicht vom Staat. Ich vertraue der Justiz nicht mehr. Aber wir, unsere "Initiative im Gedenken an Oury Jalloh" hat jetzt für unseren Teil Klarheit darüber, was passiert ist.
Sie sprechen von dem Brandgutachten, das Ihre Initiative in Auftrag gegeben hat und die Mordthese stützt?
Am Anfang hatte ich wirklich Zweifel daran, dass Oury umgebracht wurde - und sind auch über die vergangenen Jahre nie ganz verschwunden. Aber als ich das Ergebnis des Gutachtens sah, habe ich gleichzeitig geweint, gelacht und gezittert. Denn mir war klar, Jalloh kann sich nicht selbst angezündet haben. Da war plötzlich Gewissheit.
Sie haben selbst an den Versuchen teilgenommen.
Ja, ich lag auf der Matratze und musste versuchen, ein Loch hineinzureißen, um die Füllung anzuzünden. Ohne Handschellen habe ich dafür mehr als 20 Minuten gebraucht. Ich habe mir dabei die Finger verbrannt, weil es so lange gedauert hat, bis der Schaum brannte.
Nach der Vorstellung des Gutachtens sprach der Oberstaatsanwalt von Dessau-Roßlau von "erschreckenden Ergebnissen".
Für mich ist das reine Show. Polizei und Justiz haben in der Vergangenheit immer wieder versucht, Dinge zu vertuschen. Erst eine zweite Obduktion Ourys ergab, dass er Kopfverletzungen hatte, darunter eine gebrochene Nase. Wie kann das sein? Wir mussten selbst ein Brandgutachten in Auftrag geben, in dem konkret untersucht wurde, wie es zu solchen Verbrennungen kommen konnte. Dafür mussten wir Spenden sammeln.
Es gab offensichtlich Fehler, aber sollte Sie es nicht ermutigen, dass mittlerweile wieder ermittelt wird?
Auch davon erhoffe ich mir nichts.
Ihre Trauer ist nach zehn Jahren der Wut gewichen?
Ja, ich bin sehr wütend. Aber wir vermissen Oury immer noch, seine Fröhlichkeit fehlt uns. Er hatte viele Freunde. Selbst meine Kinder sprechen von ihm.