Zähne zeigen:Perlweiß, Opalweiß, Weißweiß

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Popstars und Schauspieler, die Tausende für ihr blendendes Lächeln ausgeben, erzeugen Handlungsdruck: Jedermann hellt sein Gebiss aggressiv auf, um dem neuen Archetyp der Schönheit zu entsprechen.

Von Tobias Moorstedt

George Clooney hat wunderbare Zähne, weiß, glatt, scharf; aufgereiht - so sagt man - wie auf einer Perlenkette. Es ist das Erste was man von Clooney in dem Film "Intolerable Cruelty" zu sehen bekommt: das Gebiss, ein grotesk übersteigertes Marmorgrinsen, aus der Zahnarzt-Perspektive.

Julia Robert & George Clooney - zwei, die dem aktuellen Schönheitsideal ein Gesicht geben. (Foto: Foto: AP)

Clooney spielt in der Romantik-Satire den Scheidungsanwalt Miles Massey, der in der Hochglanzwelt Südkaliforniens vom Liebesunglück der Menschen bestens leben kann und dem Zuschauer immer wieder Einblicke in die Arbeit des Schönseins gewährt: Beinahe zwanghaft kontrolliert er sein Gebiss in Aufzugsspiegeln, Schaufenstern und Silberlöffeln - alles ist Oberfläche, und die Zähne ein funkelnder Teil davon.

Für "Intolerable Cruelty" mussten die Coen-Brüder Clooneys Zähne digital reinwaschen, damit sein Lächeln zwischen den realen Hollywood-Zahnreihen überhaupt noch auffällt.

"Hollywood Toilet White" heißt die farbliche Aura des Starmundes spöttisch in Blättern wie People. "Popstars und Schauspieler, die Tausende für ihr blendendes Lächeln ausgeben, machen die Leute unzufrieden mit ihren Zähnen." Das fand die Universität Newcastle heraus. Anders gesagt: Sie erzeugen Handlungsdruck.

Dem Normalmenschen steht zur dentalen Optimierung keine Bildbearbeitungssoftware zur Verfügung. Bleichmittel und Laserbehandlung müssen ausreichen, um das Individuum an den idealen Farbton anzugleichen.

Mehr als die Hälfte aller Zahnhygieneprodukte werben mittlerweile mit dem Attribut "Weiß": Perlweiß, Colgate Extreme, Whitestrips und die "alterungshemmende, weißende" Mundspülung. Um 300 Prozent ist der Markt in den letzten vier Jahren gewachsen.

In den USA, dem wahren Land des Lächelns, unterzogen sich vergangenes Jahr zehn Millionen Menschen der Bleaching-Prozedur, bezahlten fünfzehn Milliarden und bissen die Zähne auf einer mit Wasserstoffperoxyd gefüllten Schiene zusammen. Mit dem Heim-Set kann man die Operation auch im eigenen Wohnzimmer vornehmen: Home-Bleaching, so wie Home-Trainer, eine neue Form der Freizeitgestaltung.

Das Selbst-Tuning durch Skalpell und Pinsel hat nach den Oberflächen der Augenlider und Nasenhöcker nun auch die Intimsphäre der Mundhöhle erreicht. Das Krankheitsbild der verfärbten Zähne heißt im Fachjargon Xanthodontie und ist ein Boom-Geschäft.

Und auch die Zahnärzte sollten sich nicht länger nur als hippokratische Heiler verstehen, schreibt eine Fachzeitschrift, sondern auch als "ästhetische Therapeuten".

Die Modeseite der NZZ freut sich schon auf "Möglichkeiten der Selbstverwandlung, wie man sie sonst nur beim Friseur findet". Und die Firma Degussa Dental schreibt in einem Werbetext, dass "die Kunden auch unter dem Schwarzlicht der Disko gut aussehen sollen".

"Weißer als Weiß", so lautet der Standardslogan der Branche, also weißer als der jungfräuliche Molar, wenn er durchs Zahnfleisch stößt. Dieser Aufstand gegen die Disposition der Gene markiert, wie das US-Magazin Slate schreibt, eine neue Phase im Kampf gegen Alter und Verfall: "Wir kreieren einen Archetyp der Schönheit, der nicht mehr einfach nur jung ist, sondern jünger als jung." Das menschliche Lächeln wird so zu etwas Unmenschlichem. "Der Trend wird immer extremer: Knochenweiß, Perlweiß, Opalweiß - bald sind wir bei einer Blauschattierung angelangt. Es ist beängstigend."

Die Werbebotschaften der Bleichmittel versprechen blendende Karrierechancen, erhöhtes Sozialprestige und ein positives Selbstbild. 68 Prozent der Menschen beurteilen laut einer Emnid-Umfrage ihr Gegenüber hauptsächlich anhand des Lächelns.

Und auch George Clooney alias Miles Massey beeindruckt die Jury im Gerichtssaal vor allem mit seinem zähnefletschenden Haifischlächeln. Der Körper hat als Instrument der physischen Arbeit ausgedient; als Instrument der Repräsentation, als Abbild von Kraft, Gesundheit und Leistungswillen findet er seinen neuen Zweck.

Es wird vom Menschen verlangt, schrieben Adorno und Horkheimer schon vor langer Zeit, "sich zum erfolgsadäquaten Apparat zu machen, der bis in die Triebregungen dem von der Kulturindustrie präsentierten Modell entspricht. Personality bedeutet kaum mehr etwas anderes als blendend weiße Zähne und Freiheit von Achselschweiß und Emotionen."

Die Weltgesundheitsorganisation definiert Gesundheit sehr modern und ganzheitlich als "Zustand des körperlichen, seelischen und sozialen Wohlbefindens". Zunehmend kann man jedoch den paradoxen Effekt beobachten, dass "etwas für die Gesundheit tun" gesundheitsschädlich sein kann und darf.

Die Bleaching-Technik arbeitet mit aggressiven Chemikalien, die Sauerstoffradikale freisetzen. Als Nebenwirkung wurden Zahnfleischverletzungen dokumentiert, die Langzeitfolgen sind nicht bekannt.

Doch seit sich das Sich-Fühlen hauptsächlich in imaginären und bildhaften Bereichen abspielt, wird mit erstaunlicher Rücksichtslosigkeit gegen die Unzulänglichkeiten des eigenen Körpers vorgegangen. Die Botox-Behandlung, also die Anti-Falten-Kur mit starkem Nervengift, erscheint da ganz zeitgemäß.

"Beim Vorübergehen wirft dir jeder ein Lächeln zu", notiert Jean Baudrillard auf einer Reise durch den amerikanischen Westen, "aber nicht aus Höflichkeit oder um zu verführen. Es hält einen auf Distanz, es ist Teil der Abkühlung der Affekte." Und er folgert: "Aus Mangel an Identität haben die Amerikaner ein wunderbares Gebiss."

Das kann im Umkehrschluss natürlich nicht bedeuten, dass Karies und Parodontose nun zum Symptom für Authentizität mutieren. "Es ist jedoch eine bedenkliche Entwicklung", schrieb vor kurzem die New York Times, "dass wir unsere Schönheitsideale zunehmend nach moralischen Gesichtspunkten definieren."

Die Satirefigur Miles Massey ist mit seiner trainierten Figur und seinem perfekten Gebiss längst das gesellschaftlich anerkannte Idealmodell. Übergewicht, schlechte Zähne und Glatze werden hingegen zum Stigma der Erfolglosen und lassen auf einen schwachen oder sonst wie mangelhaften Charakter schließen.

Auch die zahnlosen Münder der Menschen in Armuts- und Kriegsgebieten lassen sie im Kontrast zum strahlenden Lächeln der CNN-Reporterin als verdächtige Gestalten erscheinen. Und als Saddam Hussein den amerikanischen Truppen endlich ins Netz ging, wurde er nicht dem Haftrichter vorgeführt, sondern dem Zahnarzt.

© SZ vom 4.6.2004 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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