Süddeutsche Zeitung

World Dog Show in Leipzig:WM-Titel für das Dasein als Hund

Vom Affenpinscher bis zum Zwergspitz treten auf der World Dog Show in Leipzig fast alle Hunderassen an. Die Disziplinen: Tanzen, Tauchen, Posieren - während Reinigungskräfte die Pfützen aufwischen.

Von Titus Arnu

Kara fliegt. Gewöhnliche Hunde beherrschen vielleicht "Sitz!" und "Platz!", aber das Labrador-Weibchen hechtet auf Kommando im hohen Bogen von der Rampe ins Wasserbecken. 5,60 Meter weit springt Kara, bevor sie in den beheizten Pool eintaucht. Die Zuschauer in der ersten Reihe bekommen eine Dusche ab. Anna-Lena Witt, das Frauchen von Kara, wird auch nass, als sich die Extremsportlerin am Beckenrand trocken schüttelt. "Fein, Kara!" Witt ist mit zwei Hunden und zwei Kleinkindern aus Eckernförde zu dieser Europameisterschaft im Dog Diving angereist, und nun hat sich Kara für das Finale am Samstag qualifiziert.

Die neue Wassersportart ist aus den USA herübergeschwappt. Was aussieht wie ein Riesenspaß, wird einigermaßen ernsthaft betrieben. Es gibt Regeln, die wichtigste lautet: nicht schubsen! Organisator Alexander Dobernig spricht recht trocken von "horizontalen Sprunganforderungen", er verwendet ein elektronisches Messsystem und eine Kamera, die den Zeitpunkt registriert, an dem der Hundekörper zu 50 Prozent ins Wasser eingetaucht ist - erst dann ermittelt ein Sensor die Distanz von der Rampe bis zur Hundenase, auf den Millimeter genau. Dobernig veranstaltet in Österreich Haustiermessen und richtet seit 2011 Wettbewerbe im Dog Diving aus. Die Athleten verfolgen durchaus ehrgeizige Ziele, immerhin gewinnt der Europameister einen Jahresvorrat an Hundefutter. Weltrekordhalter ist ein Windhund, der über sieben Meter weit springt.

Der WM-Titel für das vorbildliche Dasein als Hund

Unter Canophobie sollte man nicht leiden, wenn man in diesen Tagen die Leipziger Messe besucht. An der World Dog Show, dem international wichtigsten Rassehundewettbewerb, und dem nationalen Entscheid "German Winners" nehmen noch bis Sonntag mehr als 31 000 Hunde aus 73 Nationen teil, vom Affenpinscher bis zum Zwergspitz. Es ist der "kynologische Höhepunkt des Jahres", wie der Veranstalter es formuliert. Einige kynologische Kandidaten sind sehr weit angereist: neun Hunde aus Australien, einige aus Thailand und Korea, die meisten kommen aus Deutschland, Russland, Italien, Frankreich und Skandinavien. Das Rahmenprogramm: Dog Diving, Dog Dancing, Polizei- und Treibhunde-Vorführungen und Comedyshows mit Roller fahrenden Zwergschnauzern. Der begehrteste Preis heißt "World Winner" - der WM-Titel für das vorbildliche Dasein als Hund.

Es ist die bisher größte Hundeshow, wie der Welthundeverband Fédération Cynologique Internationale (FCI) stolz vermerkt. Von den 400 offiziell anerkannten Hunderassen sind in Leipzig 334 am Start. Auf den Gängen trippeln winzige Yorkshireterrier mit Strassbroschen und Schleifchen im gekämmten Fell an hippiehaften Pullis vorbei, Rottweiler posieren wie Bodybuilder im Scheinwerferlicht, ein zerbrechlich wirkender Nackthund hockt zitternd in einer Damenhandtasche. Hunderte Betonsäulen auf dem Messegelände wurden sorgfältig mit Frischhaltefolie verkleidet, es hilft allerdings nicht viel. Die Halle riecht eher unfrisch, nach getrockneten Rindernasen, Pansen und feuchtem Fell. Der kynologische Höhepunkt des Jahres ist ein Tiefpunkt für die Putzkräfte, die mit Wischmopp und Eimer bereitstehen, um die vielen Pfützen und Häufchen zu beseitigen.

Åsa Floderus aus Stockholm steigt gerade auf das Podium in Halle 1, wo sie eine Medaille und eine Urkunde überreicht bekommt. Ihre Podenga-Hündin Socka, eine kleine, terrierhafte Rasse aus Portugal, ist zur schönsten ihrer Art gekürt worden. Das Tierchen schaut verwirrt, als die Pressefotografen ihr fürs Siegerfoto frontal in die Schnauze blitzen. Interviewanfragen von internationalen Fachreportern lehnt Socka leise knurrend ab. "Sie wirkt schüchtern, hat aber sehr viel Energie - eine eifrige Hasenjägerin", sagt Frauchen Floderus, während sie ihren Liebling in eine Art Kinderwagen steckt und den Reißverschluss des Verdecks zuzippt. Ist es nicht entwürdigend, eine eifrige Hasenjägerin im Buggy über die Messe zu schieben? "Es wäre sonst zu gefährlich", sagt Åsa Floderus. Nicht etwa für die Menschen, sondern für das Hündchen. Wenn jemand aus Versehen auf den schönsten Podengo der Welt träte ... nicht auszudenken.

Abtasten, Gangwerkskontrolle, Noten

Im Show-Ring treten die Champions vor 1800 Zuschauern an, in Gruppen sortiert: Treibhunde, Hütehunde, Berghunde, Schlittenhunde, Lauf- und Schweißhunde, Vorsteh-, Apportier-, Stöber- und Wasserhunde. Kuschel- und Schoßhunde sucht man vergeblich auf der langen Liste, aber immerhin nehmen auch Gesellschafts- und Begleithunde teil. So unterschiedlich die Teilnehmer sind, die Vorgehensweise bei der Beurteilung läuft immer gleich ab: Die Kandidaten werden einem Zuchtrichter vorgeführt, dieser begutachtet die Zähne, tastet die Tiere ab, macht eine "Gangwerkskontrolle" und gibt dann Noten von "vorzüglich" über "sehr gut", "gut" und "genügend" bis "disqualifiziert".

Ein schokobrauner Labrador, der einen weißen Fleck auf der Brust hat, würde zum Beispiel sofort disqualifiziert, auch wenn der Besitzer behauptet, er stamme aus einer unbekannten französischen Linie. Labradore dürfen nach den Statuten des Züchterverbands keine Flecken haben, basta. Wie für alle vom FCI anerkannten Rassen gelten strenge Richtwerte. "Labradore sind weichmäulig und sozialverträglich", sagt Frank Röhrig vom Vorstand des Labrador Clubs Deutschland, im Rassestandard ist von "begeisternder Wasserfreudigkeit" die Rede. Zum Beweis schlabbert Röhrigs schwarze Labradorhündin weichmäulig an der Hand von Messebesuchern.

Bei Dienstleistungen und Produkten rund um den Hund gilt das gegenteilige Prinzip: Alles ist möglich, wirklich alles. Da kennt die Tierliebe kaum Grenzen. Yaniv Rosenberg aus Las Vegas etwa präsentiert an seinem Stand ein Laufband für Hunde: Auf dem sogenannten "Dog Pacer" kann der Hund stundenlang rennen, während Herrchen gemütlich im Fernsehsessel sitzt. Und die schwäbische Firma Knauder's Best hat einen "Schnüffelrasen" aus Filz erfunden. Hunde können an der textilen Grünfläche schnuppern und darin versteckte Leckerli suchen. "Nasenarbeit schüttet Glückshormone aus", erklärt Ann-Kathrin Dzeia am Schnüffelrasen-Stand. Nur ein Stand in Halle 1 ist fast die ganze Zeit verwaist. Wahrscheinlich traut sich da kaum jemand hin, aus Pietät. Einen Hotdog verspeisen auf der Welthundeausstellung? Pfui! Aus.

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SZ vom 10.11.2017/ees
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