Süddeutsche Zeitung

Wolfgang Amadeus Mozart:Ein Schädel bereitet Kopfzerbrechen

Lesezeit: 4 min

Nach aufwendigen DNS-Analysen wollen Forscher das Geheimnis um die sterblichen Überreste von Wolfgang Amadeus Mozart lüften.

Von Hubert Filser

Als Walther Parson mit dem kleinen silbernen Bohrer den Zahnhals frei fräst rieselt feiner Staub in die Edelstahlschale. Parson trägt Latexhandschuhe, sein großgewachsener Körper wirkt durch den weißen Ganzkörperschutzanzug noch mächtiger. Auch der Raum im Erdgeschoss der Innsbrucker Gerichtsmedizin ist steril. Was der Wissenschaftler in Händen hält, ist der Schädel von Wolfgang Amadeus Mozart. Jedenfalls glauben das viele. Und der Forscher zieht ihm gerade einen Zahn.

Parson ist Gerichtsmediziner und soll ein Geheimnis lüften: Ist der Schädel aus dem Mozarteum in Salzburg wirklich der von Wolfgang Amadeus Mozart? Der Beweis wäre wie ein Paukenschlag im Mozartjahr, eine mächtige Ouvertüre. Vermutlich haben auch deshalb die Verantwortlichen in Salzburg erlaubt, dass ihrem großen Toten ein Zahn gezogen wird; deshalb hat Salzburgs Oberbürgermeister Heinz Schaden im Jahr 2004 auch zugestimmt, dass das Grab von Mozarts Vater Leopold exhumiert und alle darin liegenden Gebeine und Schädel ausgegraben werden. Für wissenschaftliche Zwecke und unter Aufsicht versteht sich. Erstmals wird noch in Knochen oder Zähnen vorhandenes Erbgut untersucht und mit dem von Mozarts Verwandten verglichen.

Die Szene im Labor liegt einige Monate zurück, sie ist im Dokumentarfilm "Mozart - Eine Spurensuche" zu sehen, den das Österreichische Fernsehen am Sonntag, den 9. Januar (ORF 2, 22 Uhr) zeigt, und den Arte am Freitag, den 13. Januar (22.15 Uhr) ausstrahlt. Die Laborarbeit war nicht leicht, "die Zähne waren mit dem Kieferknochen verwachsen", erzählt Walther Parson. "Wir durften nur zwei Zähne entnehmen, um Material für die Untersuchung zu gewinnen. Hinterher durfte man den Eingriff nicht mehr erkennen, das war die Bedingung des Mozarteums."

Nationale Angelegenheit ersten Ranges

Knochen, Zähne und Haarlocken können viel erzählen. Auch deshalb ist der Fall Mozart wichtig. Wäre der Schädel echt, könnte man noch mehr untersuchen: Wie hat Mozart gelebt, wie war die Kindheit, wurde er vergiftet? Sein Tod 1791 im Alter von 35 Jahren ist bis heute nicht geklärt. Die Archive nennen "hitziges Frieselfieber" als Ursache.

Der Totengräber Joseph Rothmayer begann vermutlich im Morgengrauen des 8. Dezember 1791 mit der Beerdigung. Er bestattete den Leichnam im Wiener St. Marxer Friedhof damals in einem billigen Sarg. Mozarts Totenruhe dauerte nur zehn Jahre, dann belegte der Totengräber Rothmayer das Grab neu. Als er starb, bekam sein Nachfolger Joseph Radschopf den Schädel. Dieser soll ihn 1842 seinem Freund Jakob Hyrtl geschenkt haben, dessen Nachlass ging dann an seinen Bruder, den berühmten Anatom Joseph Hyrtl, der ihn 1892 der Stadt Salzburg vermachte.

Das Mozart-Projekt scheint eine nationale Angelegenheit ersten Ranges zu sein. Eine Armada von Menschen war dabei, als im September 2004 im Salzburger Friedhof St. Sebastian die Friedhofsgräber zusammen mit einem Archäologen das Familiengrab der Mozarts aushoben. Hier sollen Mozarts Witwe Konstanze liegen, aber auch Mozarts Vater Leopold, seine Großmutter und seine Nichte Jeannette Berchthold zu Sonnenberg. Die Forscher suchten nach Großmutter und Nichte. Weil in den Mitochondrien, den Kraftwerken der Zellen, nur die mütterliche DNS unverändert weitervererbt wird, sind die weiblichen Verwandten so wichtig für den DNS-Vergleich. Finden die Forscher keine Verwandten, ist das Projekt gescheitert.

Im Film ist zu sehen, wie ein Kran langsam den großen Grabstein in der Mitte des vielleicht drei Quadratmeter großen Grabes abhebt: "Constanze von Nissen, Witwe Mozart" steht darauf. Daneben sind zwei schlichte, helle Steinplatten. Schicht für Schicht tragen die Friedhofsgräber den Boden ab, an einer Stelle liegen vier Schädel dicht nebeneinander. Langsam legen die Arbeiter die Überreste von insgesamt acht Menschen frei. Einer der drei Schächte ist für die Forscher besonders ergiebig. Hier liegen, wie Gerichtsmediziner später anhand der Anatomie feststellen werden, übereinander die Überreste von Mozarts Großmutter Euphrosina, vom Vater Leopold, von der 16-Jährigen Nichte Jeannette sowie einer Frau zwischen 30 und 40 Jahren, deren Identität ungeklärt bleibt.

"Damit hatten wir das entscheidende Vergleichsmaterial", sagt Walther Parson. Die Spurensuche konnte beginnen. Anhand eines Vergleichs der Mitochondrien-DNS lassen sich die weiblichen Erblinien verfolgen. Bei Mozarts Großmutter und Nichte Jeannette müssen also übereinstimmende Spuren mit dem Komponisten zu finden sein. Untersucht man zudem Erbgut aus Zellkernen, lassen sich auch die männlichen Erblinien verfolgen. Diese Untersuchung ist schwieriger, weil das Material schwerer zu isolieren ist. "Wir konnten aus dem Zahnschmelz hervorragende DNS gewinnen, sowohl Erbgut der Mitochondrien wie aus dem Kern", sagt Walther Parson. "Wir haben hervorragende Signale bei beiden Untersuchungen."

Danach hat er Material aus den Oberschenkelknochen von Großmutter und Nichte herausgeschnitten, zwei mal zwei Zentimeter großen Stücke, die gemahlen, in Flüssigkeit gelöst und analysiert werden. Dann wird es spannend: Stimmen die Sequenzen mit denen des Zahnmaterials überein, ist Mozarts Schädel identifiziert.

Dieses Detektivspiel mag Parson besonders. Er wusste, dass der Fall Beachtung finden würde, deshalb stellte er als Bedingung, dass ein Partnerlabor in den USA einen zweiten Zahn parallel untersucht. Als Experte für historische Fälle am zentralen DNS-Labor der US-Armee in Rockville, Maryland, ist auch der Beinahe-Namensvetter von Walther Parson, der Amerikaner Tom Parsons, kein Unbekannter. Vor Jahren wies Parsons die Echtheit der Überreste der letzten russischen Zarenfamilie nach. Sein Labor dient vor allem der Identifizierung toter Soldaten. In einem riesigen Gefrierschrank werden mehr als vier Millionen Blutproben von Armeeangehörigen aufbewahrt.

Ergebnisse noch nicht bekannt

Ob es etwas Besonderes sei, einen so berühmten Fall zu lösen? "Ich freue mich über das eindeutige Ergebnis", sagt Walther Parson, ohne dieses freizugeben. Und er erzählt, dass die Mozart-Untersuchung so genau sei, weil er bei seiner Arbeit mit den Tsunami-Opfern von Sri Lanka die Methode immer weiter verfeinerte. Sein Labor hat alle europäischen Opfer identifiziert. Parson untersuchte auch die menschlichen Überreste, die Reinhold Messner vom Mount Everest mitgebracht hat und bei denen dieser wissen wollte, ob er wirklich seinen Bruder gefunden habe.

Auch im Mozarteum in Salzburg sind die Ergebnisse immer noch nicht bekannt. Der Schädel ist im Tresor, auf dunklem Samt gebettet und durch eine Glasglocke geschützt. Bis 1940 wurde der Schädel in Mozarts Geburtshaus ausgestellt. Dann galt die Reliquie als geschmacklos und kam in den Tresor der Stiftung Mozarteum. Seitdem ist der mutmaßliche Mozartschädel nur Wissenschaftlern zugänglich.

Muss man also bis zum Sonntag warten, bis ein Fernsehfilm wissenschaftliche Neuigkeiten verkündet? Die ORF-Journalistin und Autorin der Dokumentation, Burgl Czeitschner, deutet an, dass es sich bei dem männlichen Skelett aus dem Grab vom Sebastians-Friedhof nicht gesichert um Leopold Mozart handelt. Wie aber kann es dann sein, dass Walther Parson auch bei der Kern-DNS-Untersuchung ein eindeutiges Ergebnis hat? Hatte aber nicht gerade der seriöse Wissenschaftler immer von zwei eindeutigen Ergebnissen - sowohl bei der Kern-DNS als auch bei der Mitochondrien-DNS - gesprochen?

Vielleicht liegt Wolfgang Amadeus Mozart ja doch irgendwo im weiten Feld des St. Marxer Friedhofs im dritten Wiener Bezirk. Bis wieder jemand einen Kopf findet und nach Innsbruck bringt.

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.857476
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ vom 6./7. Januar 2006
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.