Süddeutsche Zeitung

Wissenschaft:Spuk, Geister und Infraschall

Schon über 20 Gespenster sind angeblich allein im Palast der britischen Queen gesehen worden. Zwischen Physik und Psychologie - Wissenschaftler auf Gespensterjagd.

Von Michael Brendler

(SZ vom 31.10.2003) - Wissenschaftler wie Richard Wiseman kann es wohl nur in Großbritannien geben. Auf einer Insel, wo im dichten Nebeln und zahlreichen Schlössern laut Berechnungen von Mathematikern fünf Geister pro Quadratmeile ihr Unwesen treiben.

Wo selbst die Bank von England seit 200 Jahren nachts von einem ehemaligen Angestellten heimgesucht wird. "Die Leute glauben hier an Gespenster", sagt der Psychologe Wiseman von der Universität Hertfordshire, "dem kann doch die Wissenschaft nicht die kalte Schulter zeigen." Der preisgekrönte Ex-Magier hat sich nun des lokalen Problems angenommen und sich als Wissenschaftler auf Geisterjagd gemacht.

Schauplatz seiner Arbeit ist unter anderem der ehrwürdige Hampton Court Palace in London. Schon über 20 Gespenster seien im Palast der Queen gesehen worden, heißt es. Vor allem Catherine Howard, die fünfte Frau Heinrichs VIII, kommt angeblich seit 450 Jahren nicht zur Ruhe. 15 Monaten nach der Hochzeit meinte der König, sie als Ehebrecherin entlarvt zu haben: Die 22-Jährige wurde am 13. Februar 1542 enthauptet. Seitdem hat man Catherine Howard immer wieder durch die Galerie des Schlosses stürmen sehen - markerschütternd um Vergebung flehend.

Für Wiseman ein ideales Forschungsobjekt: Er bat 462 Besucher, ihre Erlebnisse in den Schlossgemächern festzuhalten. Das verblüffende Ergebnis: "Fast jede zweite Testperson berichtete von ungewöhnlichen Erfahrungen", erzählt Co-Autorin Caroline Watt von der Universität Edinburgh, "unabhängig davon, wie viel sie zuvor über die Spukereignisse wusste."

Die Anwesenheit unsichtbarer Personen

Manche meinten, die Anwesenheit einer unsichtbaren Person gespürt zu haben. Anderen war unvermittelt ein kaltes Schaudern über den Rücken gezogen; "einige gaben sogar an, berührt worden zu sein", erzählt Watt. Jeder siebte Besucher war überzeugt: Hier waren Gespenster am Werk.

Meist hatten sich die unheimlichen Erlebnisse genau in jenen Gewölbeecken abgespielt, die als "Geister-typisch" gelten. Um sich Gewissheit zu verschaffen, rückte Wiseman dem Gemäuer mit Temperaturscanner, Magnetfeldmessern und Lichtsensoren zu Leibe. Das Ergebnis: Genau an diesen Orten detektierte er gehäuft abrupte Temperaturabfälle, plötzliche Lichtveränderungen oder durch zugemauerte Türen pfeifende Winde.

Aber nicht alle Erscheinungen ließen sich mit solchen, eher offensichtlichen Effekten erklären. Auch die leichten Veränderungen im Erd-Magnetfeld waren nicht ausreichend, erlebt doch jeder Fernsehzuschauer deutlich massivere Veränderungen. Dagegen könnte Infraschall, so Wisemans Verdacht, für manchen Spuk in Burgen und Schlössern verantwortlich sein. Solche extrem tiefen Töne bilden sich zum Beispiel, wenn der Wind durch Kamine, Spalten und Schießscharten in alten Burgen pfeift. Zwar sind die Laute zu tief für das menschliche Gehör, sie können in ausreichender Lautstärke jedoch große Resonanzräume des Körpers wie die Bauchhöhle in Schwingungen versetzen.

Das Radio im Wasserkessel

Um seine Hypothese zu überprüfen, lud der Wissenschaftler 750 Gäste zum Konzert nach London. Zwei der gespielten Stücke unterlegte er heimlich mit unhörbaren Tönen.

Tatsächlich zeigte sich: Wenn Infraschall erklang, empfanden die Zuhörer um 22 Prozent verstärkt Gefühle wie Angst, Sorge und Kälteschaudern. Dass daraus eine Begegnung mit einem Gespenst werden kann, findet Wiseman nur menschlich: "Wir erleben zwar auch in unserem Alltag Dinge, die uns unerklärlich scheinen, und sei es, dass ein Stuhl grundlos umfällt. Befinden wir uns dabei aber in einem Verlies, meinen wir halt, dahinter steckt ein Geist."

Ähnliche Geschichten weiß auch Walter von Lucadou zu berichten. Er betreibt eine vom Land Baden-Württemberg unterstützte parapsychologische Beratungsstelle in Freiburg. Im Schnitt alle 10 Tage hat es der promovierte Psychologe und Physiker dort mit einem Spukerlebnis zu tun.

Gerne erzählt er den Fall von einem Ratsuchenden, der meinte, Stimmen aus seinem Wasserkessel zu hören. Von Lucadou fand heraus: Die Metallplatten von Herd und Kessel wirkten als Mittelwellenempfänger. Hatte der Nachbar sein Radio angestellt, musste auch der Gepeinigte dessen Hörfunkprogramm lauschen.

Ein Zombie an ihrer Seite

Aber es ist nicht immer die Physik, die hinter den Problemen von Hilfesuchenden steckt. So erzählt er auch von einer Frau, die von dem Gedanken besessen war, an der Seite eines Zombies zu leben. Der Grund: Sie hatte sich einst an eine selbsternannte Hexe gewandt, um den durchgebrannten Ehemann zurückzaubern zu lassen.

Solche Belastungssituationen sind oft Auslöser von Erlebnissen, die dann übersinnlich interpretiert werden, sagt auch Eberhard Bauer vom Institut für Grenzgebiete der Psychologie und Psychohygiene, ebenfalls in Freiburg. "Wir neigen dazu, Probleme in Bilder zu kleiden", erklärt er. "Bei den einen spielen sich die Filme dazu im Kopf ab, bei den anderen außerhalb in Form von Geistern und Erscheinungen."

Klassisch ist für Bauer der Fall eines Mannes, der glaubte, ein Klopfen in seinem Schrank zu hören. "Er hatte schon alles auseinander genommen, aber nichts gefunden", erzählt der Psychologe. Schließlich stellte sich heraus, dass der Poltergeist aufgetaucht war, als den Mann die Frau verlassen hatte."Irgendwann fiel unserem Klienten ein, dass er diesen Schrank früher einmal mit der Axt bearbeitet hatte, um seine Eifersucht abzureagieren.

Jetzt war er wieder in der gleichen Situation: hilflos und allein mit seinem Medium Schrank." Tatsächlich hätte auch das Klopfen aufgehört, erzählt Bauer, als dem Mann der Zusammenhang klar wurde.

Auch Wiseman, der eigentlich physikalische Randbedingungen der Erscheinungen sucht, greift zu ähnlichen Erklärungen - jedenfalls wenn er selbst einen Geist sieht: "Eines Nachts bin ich aufgewacht und habe plötzlich ein Gespenst am Fuß meines Betts stehen sehen", erzählt er. ",Mein Gehirn versucht mich wieder auszutricksen', habe ich gedacht. Das ist nur eine Figur aus meinem Traum von vorhin, die ist gleich wieder weg."

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