Süddeutsche Zeitung

Ski-Unfälle:"Ich denke oft: Da fährt nicht ein Mensch mit Skiern, da fahren Skier mit einem Menschen"

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Auf den Pisten ist der Schnee sulzig, neben den Pisten fehlt er, um Stürze abzufedern. Die Folge: In Österreich sind an den wenigen Skitagen dieser Saison schon mehr Wintersportler ums Leben gekommen als in anderen Jahren. Ein Bergretter über die größten Verletzungsrisiken - und wie sich Unfälle vermeiden lassen.

Interview von Titus Arnu

Wenig Schnee, wenige geöffnete Skigebiete, trotzdem viel Betrieb: Diese Kombination hat in den Alpen zu vielen Pistenunfällen geführt. Laut der Statistik des Österreichischen Kuratoriums für Alpine Sicherheit (ÖKAS) ist die Zahl der schweren Verletzungen und der Todesfälle zu Saisonbeginn im Vergleich mit den Vorjahren stark gestiegen. Bis Anfang Januar kamen in den österreichischen Skigebieten bereits 13 Menschen ums Leben, sonst sind es durchschnittlich sieben pro Saison. Laut ÖKAS ist die Zahl der Verletzungen insgesamt gleichgeblieben, auch die Verteilung unter den Geschlechtern - es verunglücken deutlich mehr Männer als Frauen. Nur die Schwere der Verletzungen hat zugenommen, die Liste reicht von komplizierten Beinbrüchen bis zu Schädelverletzungen. Stefan Hochstaffl, Präsident der Österreichischen Bergrettung, erklärt, woran das liegt und was Wintersportlerinnen und Wintersportler beachten sollten, um Unfälle zu vermeiden.

SZ: Herr Hochstaffl, wie ist die Schneesituation bei Ihnen im Zillertal?

Stefan Hochstaffl: Nicht so berauschend. Immerhin haben wir vor ein paar Tagen drei Zentimeter Schnee dazubekommen. Es sieht jetzt schön weiß aus, aber rechts und links der präparierten Pisten liegt kaum Schnee. Man kann zwar Skifahren bei uns am Gerlos, im Tal unten ist aber alles grün.

Können Sie bestätigen, dass die Zahl der schweren Unfälle dieses Jahr besonders hoch ist?

Ja, und das liegt natürlich auch an dieser schwierigen Schneesituation. Wenn man von der Piste abkommt, passieren schnell schwere Unfälle mit Verletzungen und sogar mit Todesfolge. In anderen Jahren liegt neben der Piste ein Meter Pulverschnee, da fällt man weicher, jetzt ist dort nichts außer Steinen und gefrorenem Boden. Die meisten tödlichen Unfälle im Pistenbereich passieren in anderen Wintern vor allem, wenn Skifahrer mit festen Hindernissen kollidieren, mit Bäumen oder Zäunen zum Beispiel.

Im Moment kann man praktisch nur auf Kunstschnee Ski fahren. Erhöht der Zustand der Pisten die Unfallgefahr?

Gegen das derzeitige Wetter kann man auch mit der besten Pistenpräparation nichts machen. Morgens ist der Schnee aufgrund der Regenfälle und der nächtlichen Minusgrade hart, ab mittags dann sulzig. Die meisten Unfälle passieren am Nachmittag, wenn Kraft und Konzentration nachlassen und der Schnee schwer ist. Viele fahren dann unkonzentriert und schneller, als es gut wäre.

Sind Wintersportler und Wintersportlerinnen heute leichtsinniger als früher?

Sagen wir es so: Mit der modernen Skiausrüstung fällt es sportlichen Menschen leichter, die Technik schnell zu erlernen. Nach drei, vier Tagen Skikurs stürzen sich manche schon eine schwarze Piste hinunter, obwohl sie sich noch gar nicht richtig einschätzen können, wie mir unser Skischulleiter bestätigt hat. Dadurch steigt die Unfallgefahr. Es ist wie beim Autofahren: Ein Fahranfänger tut sich mit der Einschätzung der Geschwindigkeit schwerer als einer, der schon Jahrzehnte lang am Steuer sitzt und viel Erfahrung mit den typischen Gefahrensituationen hat. Und wenn die Straßenverhältnisse schlecht sind, muss ich eben vorsichtiger fahren, um gesund zu Hause anzukommen.

Ist also eher das Fahrverhalten das Problem und nicht der mangelnde Schnee?

Das größte Problem ist aus meiner Sicht das nicht angepasste Fahrverhalten. Wenn die wenigen geöffneten Pisten gerammelt voll sind, und ich fahre da wie ein Wilder durch, dann provoziere ich Unfälle. Mir fällt das immer auf, wenn ich mit meinen Kindern zum Skifahren gehe. Als Vater passe ich sehr auf, wer links und rechts an den Kindern vorbeirauscht. Da stellt es mir die Haare auf! Es kann einem angst und bange werden, wenn man sieht, wie rücksichtslos da gefahren wird. Ich denke oft: Da fährt nicht ein Mensch mit Skiern, da fahren Skier mit einem Menschen.

Wenn man trotz der schlechten Bedingungen auf die Piste will, wie sollte man sich dann verhalten, um Unfälle zu vermeiden?

Das Wichtigste ist immer, das Tempo den Gegebenheiten anzupassen. Auf einer leeren, mittelsteilen Piste kann ich es ruhig mal sausen lassen. Wenn die Piste bummvoll ist, wenn es an Kreuzungen und rund um Liftstationen eng wird, muss ich eben langsamer machen. Je steiler und felsiger, desto vorsichtiger, sodass ich jederzeit sicher stoppen kann. Vernünftig wäre es auch, rechtzeitig aufzuhören, wenn die Beine schwer werden. Was wir leider oft bei Urlaubern aus dem Ausland beobachten: Die fahren die ganze Nacht mit dem Auto durch und gehen dann morgens sofort auf die Piste, um acht Stunden Ski zu fahren. Ist doch klar, dass dann irgendwann die Konzentration nachlässt.

Wie ist die Sicherheitslage abseits der Pisten, im freien Gelände? Sind Ski- und Schneeschuhtouren derzeit überhaupt möglich?

Möglich schon, aber schwierig. Wenig Schnee heißt nicht wenig Gefahr, im Gegenteil. Die Statistik zeigt, dass gerade in schneearmen Wintern besonders viele Unfälle im freien Gelände passieren, auch Lawinenunfälle.

Wie kommt das?

Die Situation ist tückisch: Es gibt kaum Schnee, außer in Rinnen und Mulden, wo der Wind den Schnee hingeblasen hat. Genau dort zieht es die Skitourengeher hin. Aber genau dort ist auch die höchste Gefahr, weil die Schneedecke labil ist. Ein Skifahrer reicht, um ein Schneebrett auszulösen. Deshalb unbedingt den Lawinenwarndienst und das Wetter checken - und im Zweifelsfall besser einen ortskundigen Bergführer buchen.

Kann man im Gelände derzeit eine Abfahrt wagen, ohne sich die Skier und die Knochen zu ruinieren?

Da sollte man höllisch aufpassen. Bei so wenig Schnee ist die Gefahr groß, an einem Stein hängenzubleiben und sich schwer zu verletzen. Besser abwarten - der Schnee kommt schon noch, davon bin ich überzeugt.

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