Winterchaos:Nichts geht mehr

Der Winter lähmt Europa: In Polen gibt es 68 Kältetote, Deutschland versinkt im Schnee, in Paris regiert das Chaos.

Caroline Ischinger und Stefan Ulrich

Man muss schon optimistisch sein, um im Dezember mit einer Tournee nach Europa zu kommen, die den Titel "The Sun comes out" ("Die Sonne kommt raus") trägt. Die 11.000 Fans von Shakira, die Mittwochabend in der Frankfurter Festhalle auf die kolumbianische Sängerin warteten, wurden prompt enttäuscht: Statt Sonne und Gesang gab es Schneechaos. Shakira blieb in Paris stecken, wo mehr als hundert Flüge gestrichen wurden, das Konzert wurde abgesagt.

Nach einer kurzen Verschnaufpause mit milderen Temperaturen hat der Winter Deutschland wieder fest im Griff, vor allem in der Mitte des Landes hat es am Mittwochabend heftig geschneit. Die meisten Flocken fielen im hessischen Bad Nauheim - laut Deutschem Wetterdienst waren es in wenigen Stunden 20 Zentimeter.

Fast im ganzen Land kam es zu erheblichen Verkehrsbehinderungen. 805 witterungsbedingte Unfälle zwischen Mittwochmittag und Donnerstagmorgen registrierte allein die Polizei in Nordrhein-Westfalen - elf Menschen wurden schwer, 60 leicht verletzt. Auf der A 9 und der A 7 blieben Hunderte Autofahrer stundenlang liegen.

In Thüringen waren Tausende Menschen im Saale-Orla-Kreis sowie im Landkreis Saalfeld-Rudolstadt vom Stromnetz abgeschnitten und mussten der Kälte trotzen, weil umstürzende Bäume Leitungen beschädigt hatten.

In Leipzig stellten die Verkehrsbetriebe am Mittwochnachmittag den Straßenbahnverkehr ein, weil durch Eisregen Oberleitungen eingefroren waren und für Fahrgäste Gefahr durch Funkenflug bestand. Am Donnerstag konnten die Wagen nur langsam wieder starten. Tatra-Bahnen, die aus DDR-Zeiten stammen, aber modernisiert worden sind, kamen als Ersatzzüge zum Einsatz. Sie seien zwar besonders anfällig, klagte ein Sprecher der Verkehrsbetriebe: "Aber es bleibt uns nichts anderes übrig."

Das Enteisungsmittel wird knapp

Auch im Flugverkehr kam es wieder zum Stillstand, Zehntausende Passagiere waren betroffen. In Frankfurt mussten die Landebahnen in der Nacht zum Donnerstag für vier Stunden komplett gesperrt werden, mehr als 2000 Reisende saßen fest. Knapp 900 weitere Passagiere wurden nach Hannover umgeleitet, viele schliefen dort auf Feldbetten.

In Berlin kam es ebenfalls zu erheblichen Verspätungen und zu Annullierungen. Den Flughäfen in der Hauptstadt geht nun auch noch das Enteisungsmittel aus. Das Problem soll europaweit bestehen, die wenigen Hersteller kommen bei der großen Nachfrage nicht hinterher. Auch bei der Deutschen Bahn kam es bundesweit zu Störungen, mit Verspätungen von 90 Minuten und vereinzelten Ausfällen.

Bahnreisende können wegen der Witterungsprobleme bis Sonntag ihre Fahrkarten und Reservierungen kostenlos zurückgeben. Kunden der Fluggesellschaft Air Berlin konnten am Donnerstag betroffene Flüge von und nach Berlin sowie Frankfurt am Main umtauschen oder stornieren. Bei der Lufthansa sind Umbuchungen oder Rückzahlungen bei einer Annullierung des Flugs möglich.

Wenn ein Passagier - ohne, dass sein Flug gestrichen worden sei - entscheide, die Reise (etwa wegen Verspätungen) nicht antreten zu wollen, könne das jedoch bedeuten, dass nicht der volle Ticketpreis zurückgezahlt werde, sagte ein Lufthansa-Sprecher. Zudem gelte das Winterwetter als "außerordentlicher Umstand" - daher seien die Fluggesellschaften von der Verpflichtung zur Zahlung von Entschädigungen befreit.

Selbst der Premier sitzt fest

Verglichen mit anderen europäischen Ländern geht es in Deutschland noch harmlos zu: In Polen stieg die Zahl der Kältetoten seit November auf 68 Menschen. In der schottischen Hauptstadt Edinburgh, wo teils bis zu 70 Zentimeter Schnee lagen, rückte die Armee aus, um beim Räumen zu helfen.

Auch in Frankreich führte der Wintereinbruch zu chaotischen Straßenverhältnissen, Paris wurde fast komplett lahmgelegt. Am Mittwochnachmittag gingen über der Hauptstadt die heftigsten Schneefälle seit mehr als 20 Jahren nieder. Viele Autofahrer ließen ihre Wagen irgendwo am Straßenrand stehen und gingen zu Fuß weiter. Der Flughafen Charles de Gaulle wurde zeitweilig geschlossen.

Etwa tausend Menschen mussten die Nacht zum Donnerstag in ihren Autos verbringen. Abertausende übernachteten in ihren Betrieben. Das Militär schleppte liegengebliebene Fahrzeuge ab, die Regierung setzte 5000 zusätzliche Polizisten ein, um den Verkehr notdürftig zu regeln.

Innenminister Brice Hortefeux forderte die Bürger auf, ihre Autos nicht zu benutzen. Schulen blieben geschlossen. Auf den Autobahnen nördlich von Paris waren 3000 Schwerlaster wegen Schnee und Glätte blockiert. Auch Premier François Fillon bekam das Wetterchaos zu spüren. Sein Abflug nach Moskau verzögerte sich um mehrere Stunden. "Endlich ist das Wetter in Paris genauso wie in Moskau", empfing ihn schließlich der russische Präsident Dmitrij Medwedjew. Fillon antwortete: "Nein, in Paris ist es schlimmer."

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