Süddeutsche Zeitung

Winter:Chaos am Brenner

Auf Südtiroler Seite bleiben Hunderte Fahrzeuge im Schnee stecken, viele Menschen müssen vor dem Brenner in Notquartieren oder in ihren Autos übernachten. Der Autobahnbetreiber schiebt die Schuld auf die Lastwagenfahrer.

Hunderte Menschen haben auf der Brennerautobahn, der wichtigsten Straßenverbindung zwischen Deutschland und Italien, die Nacht auf Samstag in ihren Fahrzeugen verbringen müssen. Quergestellte Lkw, Schnee und Lawinen machten die Weiterfahrt auf italienischer Seite unmöglich. "Anrufe bei allen Rettungsnummern gingen ins Leere!", empört sich eine Frau aus St. Vigil in Enneberg auf der Südtiroler Nachrichtenseite stol.it. Ein Mann aus Tramin schreibt: "Ich denke, die Inkompetenz lag eher bei der Autobahnpolizei als bei der Autobahngesellschaft. Mann hätte doch die Mittelleitplanken öffnen können." Eine Frau aus Vals klagt, sie habe für 50 Kilometer Fahrstrecke über den Brenner 14 Stunden gebraucht - und am Ende auch noch Autobahngebühr bezahlen müssen.

Vor allem Lastwagen waren auf der bis zu 1370 Metern hohen, von mehr als zwei Millionen Lkws jährlich genutzten Nord-Süd-Verbindung stecken geblieben, sie waren teilweise mit Sommerreifen unterwegs und fast immer ohne Schneeketten. Ein Helfer berichtete, hängen gebliebene Lkws seien von anderen Lastwagen überholt worden, "diese blieben selbst stecken, rutschten und stellten sich quer. So war auch für die Räumfahrzeuge nichts mehr zu wollen: Sie kamen nicht durch."

Ein Lawinenabgang an der Grenze zu Österreich verschärfte die Situation zusätzlich: Schnee bedeckte die Fahrbahn in beiden Richtungen. Schließlich wurde die Autobahn ganz gesperrt. Südtiroler Feuerwehr und Bergrettung holten fast jeden, der nicht am Steuer sitzen bleiben musste, aus dem Fahrzeug. Teilweise hätten Familien mit Kleinkindern acht Stunden im Auto verbracht, so hieß es. Ein griechischer Lastwagenfahrer starb an einem Herzinfarkt, er war auf den schneebedeckten Pannenstreifen geraten. Mitarbeiter des Südtiroler Weißen Kreuzes versorgten Hunderte Menschen, unter ihnen auch viele Touristen, mit warmen Mahlzeiten und Notbetten. Auch auf der parallel zur Autobahn verlaufenden Brennerstaatsstraße und im Zugverkehr ging bis Sonntagfrüh fast gar nichts mehr. Hunderte Helfer waren im Einsatz. Der Zivilschutz riet Touristen, geplante An- und Abreisen zu verschieben. In Teilen Österreichs hatten am Wochenende die Skiferien begonnen.

Vor allem die Lastwagenfahrer hätten das Chaos verursacht, hieß es später bei der Brennerautobahn A22. Sie hätten die geltenden Regeln einfach nicht beachtet. An Räumfahrzeugen und Personal jedenfalls habe es zu keinem Zeitpunkt gemangelt, so betonte man zumindest hier. Man habe gewusst, dass der Schnee kommen würde. Auch zahlreiche italienische Motorradfahrer sollen trotz des heftigen Schneetreibens unterwegs gewesen sein - kurioserweise auf dem Weg zu einem Bikertreffen in Bayern. Die meist unter großem Zeitdruck stehenden Lkw-Fahrer hätten die Grenze noch vor dem für sie in Österreich und Deutschland geltenden Fahrverbot am Wochenende passieren wollen, so hieß es zur Erklärung. Irgendwann dann sei die komplette Fahrbahn versperrt gewesen. Erst gegen 13 Uhr am Samstag begann zwischen Brenner und Bozen der Verkehr in beiden Richtungen wieder nach und nach zu fließen. Auf österreichischer Seite wurde das Fahrverbot für Lastwagen ausgesetzt.

Während Südtirol mit den Schneemassen kämpfte, kam es bei Bologna zu Überschwemmungen. Zwischen den Orten Castel Maggiore und Argelato hatten die Wassermassen am Reno zu einem Dammbruch geführt. Etwa 300 Menschen mussten in Sicherheit gebracht werden, wie die Nachrichtenagentur Ansa berichtete. "Viele Häuser und viele Zonen stehen immer noch unter Wasser", sagte die Bürgermeisterin von Argelato, Claudia Muzic und sprach von einer Notsituation. Teilweise fehle auch der Strom. Auch in Umbrien, den Abruzzen und Kampanien warnte der Zivilschutz weiter vor Überschwemmungen. In Venedig gab es den dritten Tag in Folge Hochwasser. Der Wasserstand lag am Sonntag erneut bei mehr als 110 Zentimetern. Auch in der italienischen Hauptstadt Rom regnete es am Wochenende ohne Unterlass.

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SZ vom 04.02.2019 / SZ
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