Wildlife Photographer 2020:Tierische Umarmung

Wildlife Photographer of the Year
(Foto: Sergej Gorschkow/dpa)

Der Russe Sergej Gorschkow gewinnt den Oscar der Tierfotografie - mit einem Foto, das er erst nach Monaten auf seiner Kamera fand.

Von Martin Zips

Letztlich waren die Windpocken schuld. Die hatten Sergej als Kind ganz schrecklich erwischt. Und weil seine Familie noch nicht einmal einen Fernseher hatte, Anfang der Siebzigerjahre in dem entlegenen sibirischen Dorf, sei ihm nichts anderes übrig geblieben, als immer nur aus dem Fenster zu schauen, erzählte Sergej Gorschkow mal einem italienischen Kunstmagazin. Er beobachtete also Vögel, Pferde, Kühe, Füchse. Als sein Vater ihm dann einen simplen Fotoapparat der Marke Smena schenkte, war klar: Sergej musste Fotograf werden. Und zwar Tierfotograf.

Die Smena ist ebenso wie die Sowjetunion mittlerweile auf dem Wertstoffhof der Geschichte gelandet. Und Sergej Gorschkow ist mit 54 Jahren zu einem der bekanntesten Naturfotografen Russlands geworden. Er ist Beobachter, Buchautor, Erzähler, viele Preise hat er schon erhalten. Mittlerweile ist er auf ein japanisches Kamera-Fabrikat umgestiegen. Einen solchen Apparat hatte er 2019 im äußersten Osten Russlands elf Monate lang mit Selbstauslöser an einem Baum befestigt. Dort, gegenüber einer Mandschurischen Tanne im Leopardenland-Nationalpark, schaute er alle paar Monate vorbei - bis er auf der Speicherkarte der Tierfotofalle dieses spektakuläre Bild vorfand: Eine Amur-Tigerin umarmt den Stamm der Tanne, saugt offenbar den wunderbaren Duft der Rinde auf und hinterlässt ihre eigenen Geruchsspuren.

Es wirkt ganz so, wie es von der digitalen Welt gestresste Mitteleuropäer derzeit auch so gerne machen, beim sogenannten "Waldbad". Geruch und Moleküle der Pflanzen wirken sich auf Mensch und Tier beruhigend aus, senken den Blutdruck und reduzieren Stresshormone. Gorschkows Baum-Umarmung eines Exemplars der durch Wilderei, Abholzung und Klimaerwärmung vom Aussterben bedrohten Tiger-Art aber wirkt wie ein verzweifelter Zusammenschluss der Natur gegen die ausbeuterische Dummheit des Menschen. Es ist ein starkes Bild.

Ausgewählt aus 49 000 Bildern

Als Sergej Gorschkow, der mit seiner Arbeit "Wissenschaft, Abenteuer und Kunst" vereinen möchte, nun vom Londoner Natural History Museum zum Wildlife-Fotografen 2020 gekürt wurde, freute er sich riesig. Die Auszeichnung gilt als eine Art Oscar der Tierfotografie, sein Bild wurde aus mehr als 49 000 Fotografien ausgewählt. Zum Sieger erkor ihn Herzogin Kate, Schirmherrin des Museums. In ihrem Alexander-McQueen-Blazer wirkte sie entspannt, als hätte sie gerade an einer Mandschurischen Tanne gerochen. Noch entspannter als Sergej Gorschkow, der eine lange russische Nacht lang vor seinem Computer auf die Verkündigung gewartet hatte.

Seine Auszeichnung, das Tiger-Foto dreidimensional in Feinkeramik, bekommt der Fotograf nun per Post in seine Moskauer Wohnung geschickt. Doch Gorschkow meint, dort treffe man ihn nur sehr selten an. Eher wartet er mit seiner Kamera in der Taiga auf die überaus scheuen Tiger, von denen es noch kaum mehr als 600 gibt.

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29.03.2019, Berlin, GER - Sibirische Tiger. (Amur-Tiger, Amurtiger, Artenschutz, Arterhaltung, aufmerksam, Aufmerksamke

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