Wikileaks-Gründer Assange:Verhör auf den letzten Drücker?

Julian Assange in der ecuadorianischen Botschaft im zentralen Londoner Stadtteil Knightsbridge (Archivbild von 2012).

Hat die ecuadorianische Botschaft im zentralen Londoner Stadtteil Knightsbridge seit drei Jahren nicht verlassen: Julian Assange (Archivbild von 2012).

(Foto: AFP)

Weil in wenigen Tagen ein Teil der Julian Assange vorgeworfenen Sexualdelikte verjährt, ändert Schwedens Staatsanwaltschaft die Strategie.

Von Silke Bigalke, Stockholm

Fast fünf Jahre ist es her, dass Julian Assange zuletzt in Stockholm war. Die Reise verfolgt ihn bis heute, denn er wird beschuldigt, damals zwei Schwedinnen sexuell belästigt und eine von ihnen zudem vergewaltigt zu haben. Nötigung und sexuelle Belästigung verjähren in Schweden nach fünf Jahren, im Fall Assange am 13. und am 18. August. Für drei der vier Vorwürfe gegen ihn kann der 44-jährige Australier und Gründer der Enthüllungsplattform Wikileaks dann nicht mehr strafrechtlich verfolgt werden.

Kurz sah es so aus, als würde daher endlich Bewegung in die Ermittlungen kommen. Stattdessen ist der Fall verworrener als je zuvor. Weil der leitenden Staatsanwältin Marianne Ny die Zeit davonläuft, möchte sie Assange nun doch in der ecuadorianischen Botschaft in London verhören lassen. Dorthin ist Assange 2012 geflohen, um der Auslieferung nach Schweden zu entgehen. Der Australier hat die Vorwürfe gegen sich stets bestritten, aber auch betont, dass er gerne mit den Staatsanwälten spreche. Wenn die zu ihm nach London kämen.

"Natürlich sagen wir nicht sofort Ja"

Jahrelang hat Marianne Ny genau das abgelehnt, und ist dafür nicht zuletzt von Ecuador kritisiert worden. Doch nun, da sie ihre Meinung geändert hat, möchte das südamerikanische Land sie offenbar nicht mehr in seine Botschaft hineinlassen. Zumindest nicht so schnell.

Dem britischen Guardian sagte der ecuadorianische Außenminister Ricardo Patiño, es sei nicht akzeptabel, dass Schweden nach all den Jahren erwarte, "dass sich Ecuadors Rolle darauf beschränkt, die Türen zur Botschaft zu öffnen". Beispielsweise müsse bei der Befragung diplomatisches Personal anwesend sein. Laut Guardian verlangt Ecuador zudem ein bilaterales Abkommen mit Schweden. "Natürlich sagen wir nicht sofort Ja, ohne irgendwelche Bedingungen", schreibt Patiño auf der Internetseite seines Ministeriums.

Ecuador wirft Schweden Blockade vor

Marianne Ny hat stets argumentiert, dass eine Befragung in London geringeren Wert habe als eine Befragung in Stockholm. Würde sie zur Anklage führen, wäre Assange immer noch außer Reichweite für die schwedische Justiz.

Am 13. März hat Ny ihn trotzdem offiziell gefragt, ob er mit einem Gespräch in London und einem DNA-Test einverstanden sei. Um den Test gab es noch einiges Gezerre. Am 29. Mai leitete Ny die Sache an das schwedische Justizministerium weiter, das Ecuador um Zugang zur Botschaft bat.

Diesen Brief habe er erst am 12. Juni erhalten, so Außenminister Patiño. Er beschuldigt Schweden, das Verfahren zu blockieren. "Wir warten immer noch auf die Zusage, die Botschaft betreten zu dürfen", sagt dagegen Cecilia Riddselius, die im schwedischen Justizministerium für internationale Zusammenarbeit in Rechtsfragen zuständig ist.

Man stehe weiterhin im Dialog mit Ecuador, zu Details könne man sich noch nicht äußern. "Diese Diskussion zwischen Schweden und Ecuador ist äußerst seltsam", findet Sven-Erik Alhem, Leiter des schwedischen Opferhilfsbunds und früher Staatsanwalt.

Absurder Stillstand

Zumal Julian Assange selbst sich dieses Gespräch in der Botschaft erklärtermaßen seit Langem wünsche. "Ich kann nicht verstehen, warum die Befragung jetzt nicht stattfindet", so Alhem.

Eigentlich sind ja nun alle Beteiligten dafür. Trotzdem ist die Situation noch festgefahrener als zuvor: Assange kann nicht aus der Botschaft heraus. Und die Staatsanwältin nicht herein.

Kritik an Staatsanwältin

Staatsanwältin Marianne Ny

Staatsanwältin Marianne Ny bei einem Gerichtstermin im vergangenen Jahr.

(Foto: AP)

Marianne Ny ist oft dafür kritisiert worden, dass sie ein Treffen in der Botschaft so lange abgelehnt hat. Sie hätte längst handeln müssen, sagt Rechtsexperte Stefan Wahlberg, Chefredakteur der Fachzeitung Dagens Juridik. Assange dagegen sei nicht dazu verpflichtet, die Ermittlungen gegen sich zu unterstützen.

Assange sagt, er fürchte, die Schweden könnten ihn an die USA ausliefern. Deswegen will er nicht nach Stockholm zurückkehren. Die schwedische Staatsanwaltschaft erklärt dagegen, Assanges Situation in Schweden wäre dieselbe wie in England.

Falls die Briten ihn übergeben, könnte Schweden Assange nicht ohne britisches Einverständnis an ein drittes Land weiterreichen. Assange ist trotzdem durch alle Instanzen gegangen, erst in Großbritannien, um die Auslieferung zu verhindern, dann in Schweden, um den Haftbefehl aufheben zu lassen. Im November hat sich das Stockholmer Berufungsgericht entschieden, an diesem Haftbefehl festzuhalten.

Assange könnte erneut anfechten

Allerdings hat es die Staatsanwälte auch aufgefordert, neue Wege im Fall Assange zu probieren. Bei neuer Sachlage könnte Assange den Haftbefehl noch einmal anfechten, sagt Richter Niklas Wågnert, der an der Entscheidung beteiligt war. "Eine neue Sachlage kann bedeuten, dass etwas Neues passiert ist, in diesem Fall aber auch, dass gar nichts passiert ist."

Im Frühjahr entschied sich Ny für die Befragung in London - und der Oberste Gerichtshof Schwedens bestätigte den Haftbefehl gegen Assange ebenfalls.

"Späte Gerechtigkeit ist manchmal überhaupt keine Gerechtigkeit", sagt Rechtsexperte Alhem. Beweise verlieren mit der Zeit an Aussagekraft, Opfer möchten die Sache hinter sich lassen.

Mitte August ist noch lange nicht alles vorbei. Der letzte der Vorwürfe gegen Assange betrifft Vergewaltigung, in einem minderschweren Fall. Er verjährt erst 2020.

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