"Wiederherstellungs-Chirurgie":Das zweite Gesicht

Die plastische Chirurgie entstand aus der Behandlung von Kriegsopfern und von Menschen mit Fehlbildungen.

(SZ vom 7.8.2003) - In armen Ländern gilt die Fehlbildung als Zeichen "Fluch Gottes": Menschen mit Lippen-Kiefer-Gaumenspalte werden von der Gesellschaft gemieden, betroffene Kinder von ihren Eltern einfach ausgesetzt. Dabei können Ärzte die Fehlbildung, auch unter dem diskriminierenden Namen "Hasenscharte" bekannt, mit den Mitteln der Plastischen Chirurgie gut behandeln.

Kinder mit Fehlbildungen, Unfall- und Brandopfer, aber auch durch schwere Tumor-Operationen entstellte Menschen - an sie denken nur wenige, wenn das Stichwort Plastische Chirurgie fällt. Doch viele unter den seriösen Ärzten des Fachgebiets operieren vorwiegend solche Fälle.

Immerhin kommt etwa jedes fünfhundertste Kind mit einer Lippen-Kiefer-Gaumenspalte auf die Welt, sagt Wilfried Schilli, emeritierter Direktor der Klinik für Mund-, Kiefer- und Gesichts-Chirurgie der Universität Freiburg. Bei Tumorpatienten und Unfallopfern rekonstruieren Plastische Chirurgen mitunter ganze Gesichter.

"Wenn man das beherrscht, ist es natürlich ein Klacks, ein Fältchen wegzumachen", sagt Norbert Schwenzer, ehemaliger Direktor der Kiefer- und Gesichts-Chirurgie an der Universität Tübingen.

In der Tat stammen viele Methoden, mit denen Ärzte den Reichen der Welt heute ihre kleinen Sorgenfältchen nehmen, aus der Behandlung schwer gezeichneter Patienten. Die moderne "Schönheits-Chirurgie" hat ihre Wurzeln sogar in einem besonders traurigen Kapitel der Geschichte: Während und nach den beiden Weltkriegen versuchten Ärzte in großem Umfang, Soldaten wieder zu ihrer ursprünglichen Gestalt zu verhelfen, die von Granatsplittern oder Brandbomben entstellt waren.

Bei der auch "Wiederherstellungs-Chirurgie" genannten Technik geht es jedoch nicht nur darum, ein ästhetisches Äußeres zurückzugewinnen. So fällt etwa Patienten mit Lippen-Kiefer-Gaumenspalte häufig gleichzeitig das Sprechen oder Essen schwer.

"Wenn Sie eine Lippe rekonstruieren, ist es wichtig, dass sich die Lippe danach wieder richtig bewegen lässt", sagt Schilli. "Das verbesserte Aussehen kommt dann als Neben-Effekt automatisch dazu."

Auch die Krankenkassen bezahlen Operationen aus rein ästhetischen Gründen nicht, sofern der Patient nicht schwer entstellt ist oder zusätzlich eine echte Erkrankung vorliegt. Doch die Grenze ist nicht eindeutig - besonders dann, wenn Betroffene angeben, psychisch unter ihrem Äußeren zu leiden.

So wird etwa bei Kindern das Anlegen stark abstehender Ohren oft erstattet, wenn damit "psychosoziale Konflikte" zu vermeiden sind. Ebenso kann der Wiederaufbau der Brust nach einer Krebsoperation von der Krankenkasse bezahlt werden. Doch mitunter stellen Ärzte auch Gefälligkeitsgutachten aus, in denen psychiatrische Notfälle regelrecht konstruiert sind, um die Übernahme von Kosten zu erzwingen.

Ärzte wie Schilli und Schwenzer verzichten in manchen Fällen indes ganz auf ein Honorar - zumindest für ein paar Wochen im Jahr. In Ländern wie Kambodscha und Nepal haben deutsche Chirurgen mit Hilfsorganisationen wie "Ärzte der Welt" oder "Interplast" in den letzten Jahren mehr als 5000 Patienten mit Gesichtsfehlbildungen behandelt - ebenso wie Opfer schwerer Verbrennungen, die dort häufig sind, weil oft mit Benzin oder Öl über offenem Feuer gekocht wird.

Einerseits die Ärmsten der Welt, noch dazu oft schwer entstellt, andererseits die Reichen, die sich Sorgen um ein paar Fältchen machen - was geht einem Arzt durch den Kopf bei diesem Spagat? "Man sollte natürlich Verständnis haben für die kleinen Probleme der Menschen", sagt Norbert Schwenzer.

Aber gerade vor dem Hintergrund der ernsten Erkrankungen dürften Ärzte auch nicht um jeden Preis ausgefallene Wünsche wohlhabender Patienten erfüllen: "Man muss auch nein sagen können."

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