Widerstand gegen Bayer-Pipeline:Auf den Feldern wächst der Zorn

Weil der Bayer-Konzern eine Kohlenmonoxid-Pipeline baut, gehen Bauern und Anwohner aus Furcht vor Gefahren auf die Barrikaden.

Eine Reportage von Dirk Graalmann

Sehr beunruhigend sieht sie nicht aus, die ,,Todeszone''. Es ist ein gewöhnliches Rohr, 25 Zentimeter Durchmesser, schwarzummantelter Stahl, die Schweißnähte sind gut zu erkennen. Der Flugrost bleibt an den Fingern kleben. Über dem Rohr liegt ein dünner Membranschlauch und eine feste Kunststoffmatte, das Erdreich ist an den Seiten aufgeschüttet. Überall auf dem Boden sind Fußabdrücke zu sehen.

Muhr BASF Gewinnstreben Kohlenmonoxid-Pipeline ddp

"Hier geht es nur um das Gewinnstreben eines Konzerns": Bauer Muhr soll zum zweiten Mal enteignet werden.

(Foto: Foto: ddp)

Die schmucklose Baustelle am südlichen Rand der rheinischen Stadt Hilden zieht offenbar viele Besucher an. Vor allem Anwohner, deren Grundstücke in Sichtweite liegen. Wegen dieser Rohre wird heftig gestritten. Die Gegner sammelten bereits 25000 Unterschriften, drohen mit Sitzblockaden, prägten den Begriff ,,Todeszone''. Beim Verwaltungsgericht Düsseldorf liegen mehrere Klagen vor.

Es geht bei diesem Streit um die Abwägung von Nutzen und Risiken. Es ist der altbekannte Konflikt zwischen technischem Fortschritt und ethischer Verantwortung. Zwischen den Dingen, die man machen kann und jenen, die man machen darf. Die Auseinandersetzung etwa um die Atomkraft verlief nach dem gleichen Muster. In diesem Fall geht es um eine Kohlenmonoxid-Pipeline.

Schon zu Beginn des kommenden Jahres soll durch diese Rohre Kohlenmonoxid geleitet werden. Chemische Bezeichnung CO, Eigenschaften: gasförmig, geruchslos, sehr giftig. Es wirkt von einer bestimmten Menge an tödlich. Die Bayer Material Science (BMS), Unternehmenstochter der Leverkusener Bayer AG, hat diese Pipeline-Trasse zwischen ihren beiden Werksstandorten Dormagen und Krefeld-Uerdingen seit Jahren geplant.

Rohre und Risiken

Der Konzern braucht das Kohlenmonoxid als Rohstoff zur Kunststoffproduktion, für Schaumstoffe, Autoteile oder CDs. Die CO-Produktionskapazität in Uerdingen ist durch eine alternde Koksvergasungsanlage ausgereizt, in Dormagen dagegen stehen zwei moderne Anlagen. ,,Nur mit der Pipeline können wir Versorgungssicherheit gewährleisten'', sagt BMS-Projektleiter Werner Breuer. Der Bau einer modernen Anlage am Standort Krefeld sei keine Alternative.

Die 67 Kilometer lange, circa 50 Millionen Euro teure Pipeline soll auch als Zentrum eines Verbundsystems dienen. Vielleicht, so vermuten die Gegner, nehme die Trasse deshalb so einen Verlauf. Die beiden linksrheinischen Städte, nur 40 Kilometer voneinander entfernt, werden rechtsrheinisch verbunden. Man wolle ,,Synergieeffekte nutzen'', sagt Breuer. Eigentlich war ein ganzes Pipelinebündel geplant, aber nach dem Ausstieg eines Partners liegen die Bayer-Rohre nun überwiegend allein im Erdreich.

Es gab ein Raumordnungsverfahren, eine Planfeststellung, öffentliche Erörterungen, Mitteilungen in Amtsblättern - einmal quer durch das deutsche Genehmigungsprozedere. Alles verlief ruhig. ,,Erst als die Bagger anrückten, kam der Protest'', sagt Breuer. Er versteht die Aufregung nicht. Man habe schließlich umfassend informiert.

Der Pressesprecher zückt einen kleinen Prospekt, in dem das Unternehmen das Projekt erklärt und auch Bilder zeigt. Zum Beispiel das mit den drei Generationen: Vom Opa bis zum Enkel sitzen alle im dichten Gras und essen Wassermelonen. Man weiß nicht so recht, was es mit Kohlenmonoxid zu tun hat. Aber es sieht idyllisch aus.

Auf den Feldern wächst der Zorn

So friedlich soll es nach dem Willen der Bayer-Tochter auch bleiben. Das Unternehmen hat dafür alle Sicherheitsbestimmungen eingehalten. ,,Nein, übererfüllt'', sagt Breuer. Die Pipeline verläuft 1,40 Meter unter der Erde, gesetzlich vorgeschrieben ist ein Meter. Die Rohre sind für einen Druck von 100 bar ausgelegt, im Betrieb aber herrschen nur 13,5 bar, das Leckagen-Erkennungssystem ist auf dem modernsten Stand. Die Wahrscheinlichkeit einer Störung liegt gemäß des in Auftrag gegebenen TÜV-Gutachtens bei ,,ein bis drei Vorfällen pro Kilometer in einer Million Jahren''.

Was passiert bei einem Anschlag?

Es ist eine mathematische Größe, ein Restrisiko. Doch ,,seit Tschernobyl kann keiner mehr sagen, dass es nicht passiert'', sagt Volkmar Jung. Früher arbeitete er für Bayer, benutzte die werkseigene Bücherei, das Schwimmbad. Jetzt engagiert er sich in der Bürgerinitiative, weil ,,ich Angst habe vor diesem Teufelszeug''. Die Pipeline läuft direkt an Wohngebieten vorbei, ein Alarm- und Gefahrenabwehrplan wird von Bayer erst entwickelt.

Der GAU bekommt so schnell Konturen: Tschernobyl, Krümmel, Brunsbüttel, Hilden. So läuft die Indizienkette aus Sicht der Betroffenen. Dazu zählt seit dem 11. September auch der Terrorismus. ,,Was passiert, wenn ein Anschlag auf die Pipeline verübt wird?'', fragen die Gegner. Sie brauchen nur Fragen, keine Antworten.

Heinz-Josef Muhr hat sich seine Fragen längst beantwortet. Der 73-jährige Landwirt aus dem Monheimer Stadtteil Baumberg war lange Aufsichtsratsvorsitzender der örtlichen Raiffeisenbank und Vorsitzender der Landwirte. Er trägt Krawatte und kariertes Sakko, ein konservativer Mann, der mit Bayer-Leuten zur Jagd geht. ,,Die Firma hat vielen Menschen Arbeit und Brot gegeben, hat viel Gutes getan'', sagt Muhr. ,,Aber dies hier ist eine Zumutung.''

Er schaut aus dem Fenster über die gepflegte Terrasse auf einen Teil seines 120 Hektar großen Anwesens. Auf 400 Metern soll die Pipeline nun über sein Grundstück gehen. Muhr klagt gegen die Enteignung. Er hat sich nicht nur Freunde gemacht mit seinem Widerstand. Auf der Fensterbank liegen acht Stapel mit Unterlagen. Zeitungsausschnitte, Anwaltskorrespondenz, Flugblätter. Er fischt ein Blatt heraus. Eine stilisierte Todesanzeige, seine eigene, ein Drohbrief. Muhr übergab ihn der Polizei, Abteilung KK51, Staatsschutz.

Der standhafte Bauer

Doch er lässt sich nicht einschüchtern. Nur das Herz macht ihm Sorgen. ,,Wenn du dich weiter so aufregst, bist du tot, ehe die Pipeline in Betrieb ist'', sagt seine Frau. Er überhört solche Mahnungen. ,,Ich will mir am Ende nicht vorwerfen müssen, nicht alles probiert zu haben.''

Muhr will standhaft bleiben, anders als 1973, als er das erste Mal enteignet wurde. Damals baute man ihm die A59 auf sein Land. ,,Die Autobahn dient der Allgemeinheit'', sagt er, ,,jetzt aber geht es nur um das Gewinnstreben eines Konzerns.'' Die BMS verbuche schließlich üppige Gewinne. Für das Jahr 2006 weist BMS einen Gewinn von 992 Millionen Euro aus, eine Rendite von knapp zehn Prozent.

Bayer aber hat sich abgesichert. Der Landtag hatte im vergangenen Jahr fraktionsübergreifend ein Gesetz verabschiedet, in dem im Fall des Pipeline-Baus Enteignungen für rechtens erklärt wurden, weil sie ,,dem Wohl der Allgemeinheit gemäß Artikel 14 Abs. 3 Satz 1 des Grundgesetzes'' dienen. Das Gesetz ging im Plenum ohne Aussprache durch.

Erst im Nachhinein, im Juni 2007, wurde über das Projekt auf Antrag der Grünen im Landtag debattiert. Aber die Befürworter sind in der Mehrheit. Abgeordnete wie der Dormagener CDU-Mann Karl Kress werben für das Projekt. Kress ist Fachmann, gelernter Chemo-Techniker, und arbeitete bis 2002 als Laborleiter. Bei der Bayer AG.

Auf den Feldern wächst der Zorn

Nun aber geht es nicht nur um Bayer, sondern um das Allgemeinwohl, um Arbeitsplätze. Garantieren kann die auch Bayer nicht. ,,Das ist nicht wie ein Licht ein- und auszuknipsen'', sagt Projektleiter Breuer. Er spricht von Wertschöpfungsketten, Zulieferbetrieben, Mittelständlern, die an Bayers Tropf hängen. ,,Mit der Pipeline tragen wir zur Sicherung von Arbeitsplätzen in der gesamten Region bei'', so Breuer. Das sollte reichen, tut es vielen aber nicht.

,,Lex Bayer'', nennen die Gegner das Gesetz verächtlich. In ihrem Auftrag hat der Kölner Rechtsprofessor Stefan Muckel jüngst ein verfassungsrechtliches Gutachten erstellt. ,,Ich habe selten einen Fall erlebt, der so eindeutig ist'', sagt Muckel und verweist auf das Boxberg-Urteil des Bundesverfassungsgerichts von 1987, als ein Bürgerprotest eine Teststrecke von Daimler-Benz verhinderte. Bayer hat schon ein Gegengutachten vorgelegt - doch Boxberg bleibt die größte Hoffnung für Leute wie Thomas Dünchheim. Er ist der Bürgermeister der Stadt Monheim, Christdemokrat, Chef der Wirtschaftsförderung, größter Arbeitgeber ist die Bayer-Tochter Crop Science, deren Geschäft die Pflanzen-Biotechnologie ist.

Dünchheim wäre ein natürlicher Verbündeter des Industrieprojekts. Doch der 38-Jährige hat sich an die Spitze der Gegenbewegung gestellt. ,,Bayer betreibt hier den Eisenbahnbau im Wilden Westen'', findet Dünchheim. Er liebt die brachialen Vergleiche. ,,Wir Monheimer sind wie das kleine gallische Dorf bei Asterix.'' Er hat federführend eine Resolution an Ministerpräsident Jürgen Rüttgers verfasst, in der einige Bürgermeister seinen Parteikollegen zum Baustopp auffordern.

Es ist symbolische Politik. Die Staatskanzlei verweist entsprechend auf die gesetzlichen Vorgaben. Dünchheim spottet über derartige Zurückhaltung: ,,Der selbsternannte Arbeitnehmerführer und warmherzige Landesvater taucht komplett ab.'' Der Umgangston ist ruppig, ein Kompromiss abseits der Gerichte nicht in Sicht. Bayer hat kein Ausstiegsszenario entwickelt. ,,Wir halten an dem Projekt fest'', sagt Breuer. ,,Ziel ist es, die Pipeline Ende des Jahres in Betrieb zu nehmen.'' Der Widerstand wird so lange bleiben. Dieter Donner, Sprecher von vier Bürgerinitiativen, sagt: ,,Die einzige Frage ist: Wer hält länger durch? Die oder wir?''

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