Süddeutsche Zeitung

White Noise:Gegengeräusch

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Apps sollen jetzt das Gleiche hinkriegen wie teure Kopfhörer: Hintergrundlärm ausblenden. Aber geht das?

Von Franziska Schwarz

Für die einen ist es der Betonmischer, für andere das Quietschen der Autobremsen oder der tropfende Wasserhahn: das eine Geräusch, das irgendwie stört. Konzentration weg, Nickerchen dahin. Wie bekämpft man so ein Geräusch? Klar: mit noch mehr Geräusch. Natürlich gibt es dafür, wie für alle Lebenslagen, gleich mehrere Apps für das Smartphone. Wenn so eine App läuft, erzeugt das Gerät ein Rauschen, vulgo Ruhe, und deshalb erfahren diese Apps gerade einen beachtlichen Beliebtheitsschub.

Das Geräusch heißt "White Noise", weißes Rauschen. Es ist über alle Frequenzen gleichmäßig. Es gibt Leute, die schwören auf White Noise zum Durchschlafen, oder aber für die Konzentration bei Schreibtischarbeiten.

Früher hätten diese Leute wohl einfach den Ventilator angeschaltet, wenn sie wollten, dass es im Schlafzimmer rauscht. Die Idee, störende Geräusche mit anderen Geräuschen zu verdrängen, ist schließlich nicht neu, die Firma Marpac aus dem US-Bundesstaat North Carolina brachte schon 1962 eine Einschlafhilfe auf den US-Markt. Der Firmenlegende zufolge war der Gründer Jim Buckwalter recht lärmempfindlich, eines Nachts nahm er seinem Hund deshalb den Blechnapf weg und montierte in die Schüssel einen kleinen motorisierten Ventilator. Zum Klang des rotierenden Flügelrads schlummerte er schließlich ein. Die käufliche Einschlafhilfe funktionierte nach dem gleichen Prinzip, sie war groß wie eine Schüssel, nur eben statt aus Blech aus Plastik.

Die digitalen White-Noise-Generatoren der heutigen Zeit gibt es in technoid strengem oder hippieskem Design. Manche Apps haben nur einen Ein-Aus-Button und einen Lautstärke-Regler für das Rauschen, andere bieten eine Auswahl an Sounds, aus denen der Nutzer sein persönliches Anti-Störgeräusch-Geräusch zusammenstellen kann. Sehr beliebt ist Regenprasseln - Hauptsache eintönig. Selbst Babys werden mit dem weißen Rauschen beschallt, allerdings warnen Kritiker, es nicht zu übertreiben, die Geräte etwa nicht zu laut zu stellen.

Nach einer Weile, tatsächlich: Das Brummen ist verschwunden

Der Selbsttest ergibt: Obwohl es nicht störend klingt, ist das Brummen aus dem Smartphone präsenter als die Hauptstraße unterm Fenster. Nach einer Weile aber, siehe da: vergisst man das Brummen. Das weiße Rauschen überdeckt die Umgebungsgeräusche, ist aber selbst so monoton, dass es einen nicht aus der Situation herausreißt - anders als zum Beispiel eine Tür, die plötzlich knallt, oder die abrupt ausgestoßenen Schnarcher des Bettgefährten. Eine weitere Erklärung für dieses Phänomen lautet, dass White Noise die Hörschwelle anhebt. Je lauter die Umgebung, desto weniger empfindlich sind wir demnach. Deshalb wird der tropfende Wasserhahn, der tags nicht auffällt, nachts plötzlich zum Ärgernis.

Das heißt aber nicht, dass White Noise für Jeden funktioniert. Bei manchen Nutzern soll es die Lärmempfindlichkeit sogar steigern. Und so individuell wie das am wenigsten gelittene Geräusch ist wohl auch das akustische Gegengift. Eindrücklich zeigt sich das an dem Bericht einer Frau in einem Online-Kundenportal: Als sie einmal später als ihr Mann ins Bett ging, drehte sie das Regenprasseln auf. Nachts wachte der dann gleichsam schweißgebadet auf und fuhr sie an: Un-er-träg-li-ches Geräusch, geradezu albtraumhaft! Dabei werben die Hersteller gerne damit, dass sie das Schnarchen erträglicher machen und so Ehen retten können.

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Quelle:
SZ vom 29.05.2015
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