Süddeutsche Zeitung

Wettervorhersagen:Mit Supercomputern gegen die Chaostheorie

Forscher können immer besser vorhersagen, welche Route ein Hurrikan nimmt. Auch bei "Irma" waren die Prognosen genauer als ihr Ruf.

Von Christian Endt

Hunderttausende Einwohner im Südwesten Floridas trifft Hurrikan Irma einigermaßen unvorbereitet. Noch am Donnerstag hatten die Computermodelle den Pfad des Sturms eher entlang der Ostküste von Florida prognostiziert. Im Laufe des Freitags verschob sich die Vorhersage in Richtung der Westküste und des Golfs von Mexiko. Dort wurde der Hurrikan nun für die Nacht zu Sonntag und Montag erwartet. Warum lagen die Meteorologen so falsch?

Tatsächlich hat die Wissenschaft bei der Hurrikan-Vorhersage große Fortschritte gemacht. Die Meteorologie sei eines der wenigen Felder, "wo es Mensch und Maschine mit vereinten Kräften gelingt, die Kompliziertheiten der Natur zu verstehen", schreibt Nate Silver in seinem Buch "Die Berechnung der Zukunft". Darin untersucht der amerikanische Statistiker, warum Hurrikan Katrina im Jahr 2005 solch verheerende Schäden in New Orleans anrichten konnte. Silvers Fazit: Die Prognosen hätten richtig gelegen, Politik und Anwohner hätten die Warnungen der Fachleute aber nicht ernst genug genommen.

24 Stunden im Voraus liegen die Vorhersagen etwa 160 Kilometer daneben

In den USA ist für die Warnungen das Nationale Hurrikan-Zentrum in Miami zuständig. Die Behörde führt eine Statistik darüber, wie weit ihre Vorhersagen von der tatsächlichen Route der Stürme abweichen. In den vergangenen 25 Jahren hat sich der Prognosefehler mehr als halbiert. Doch 24 Stunden im Voraus liegt er nach wie vor bei durchschnittlich 160 Kilometern, drei Tage vorher liegen die Wissenschaftler 370 Kilometer daneben. Von Naples an Floridas Westküste bis nach Miami im Osten sind es etwa 200 Kilometer.

Wettervorhersagen beruhen vor allem auf zwei Datenquellen. Zum einen werten die Forscher Satellitenbilder aus. In den USA wie in der EU ist in den vergangenen Jahren viel Geld in den Aufbau leistungsfähiger Satellitenprogramme geflossen. Das zahlt sich aus: Die neuen Geräte liefern häufigere und besser aufgelöste Aufnahmen - ein entscheidender Vorteil bei den sich schnell bewegenden Wirbelstürmen.

"Die besten Modelle decken die Atmosphäre des ganzen Planeten ab"

Zu den Satellitenbildern kommen Daten, die auf der Erde erfasst werden. Dazu gehören Messstationen auf dem Boden und auf Schiffen. In der Hurrikan-Saison setzen die USA außerdem Erkundungsflugzeuge ein. Besonders mutige Piloten steuern viermotorige "Hurricane Hunters" direkt durch die Wirbelstürme, andere fliegen über sie hinweg. In beiden Fällen werden Sonden mit Fallschirmen abgeworfen. Die treiben dann durch den Sturm und funken Daten zu Temperatur und Luftfeuchtigkeit zurück zum Flugzeug. Ein GPS-Modul erfasst alle paar Sekunden die Position der Sonde, woraus sich später die Windgeschwindigkeiten innerhalb des Hurrikans errechnen lassen.

Mit den Daten von Satelliten und Sonden füttern die Meteorologen ihre Vorhersagemodelle. Das sind Gleichungen, die die physikalischen Gesetze der Atmosphäre wiedergeben. "Die besten Modelle sind solche, die die Atmosphäre des ganzen Planeten abdecken", schreibt Jeff Masters, Chefmeteorologe des Dienstleisters Weather Underground. Möglich wird das durch enorme Fortschritte im Bau von Supercomputern. Doch zum Lösen dieser komplizierten Rechnungen würden selbst die leistungsfähigsten Computer der Welt mehrere Stunden brauchen. Also kommen häufig vereinfachte Programme zum Einsatz, die nur lokal begrenzte Gebiete betrachten - etwa die Karibik.

Doch diese eingeschränkten Modelle sind anfällig für Fehler. Denn in der Atmosphäre hängt alles mit allem zusammen, es gelten die Gesetze der Chaostheorie. Sie besagen, dass kleine Ereignisse riesige Konsequenzen haben. Am anschaulichsten beschrieb das der Meteorologe Edward Lorenz, der den Begriff des Butterfly-Effekts prägte: "Der Flügelschlag eines Schmetterlings in Brasilien kann einen Tornado in Texas auslösen."

Es gab von Anfang an Prognosen, dass Irma auf die Golfküste prallen würde

Um diesem Effekt gerecht zu werden, berechnen Meteorologen für Hurrikans wie Irma nicht eine einzige Vorhersage, sondern ein Ensemble, also eine Reihe von Vorhersagen. Sie führen die gleichen Berechnungen also mehrmals durch, wobei sie die eingegebenen Parameter jedes Mal leicht variieren. So ergibt sich ein ganzer Strauß denkbarer Pfade für den Wirbelsturm und daraus das Gebiet, das möglicherweise gefährdet ist. Welchen Pfad der Hurrikan am Ende einschlägt, lässt sich kaum sagen. Auch ein tosender Tropensturm bevorzugt den Weg des geringsten Widerstands. Tut sich irgendwo ein Tiefdruckgebiet auf, biegt er ab.

Daher gab es von Anfang an die Möglichkeit, dass Irma nicht an der Ost-, sondern an der Westküste der Florida-Halbinsel aufs Festland treffen könnte. Deshalb ist die Überraschung dieses Wochenendes nicht so sehr eine Geschichte über falsche Prognosen, sondern über die mangelhafte Fähigkeit des Menschen, mit Ungewissheit umzugehen.

In den Karten, die das Hurrikan-Zentrum veröffentlicht, ist immer die ganze Bandbreite möglicher Pfade eingezeichnet. Je weiter die Prognose in der Zukunft liegt, desto größer die Unsicherheit. Darum sehen die Gebilde auf den Karten aus wie umgedrehte Birnen: Je näher ein Hurrikan dem Festland kommt, desto breiter wird die potenziell betroffene Fläche. Auch die meisten Medien veröffentlichen diese Karten. Zusätzlich zeichnen sie jedoch meist noch eine etwas dickere Linie in der Mitte ein - für den Hurrikan-Pfad mit der höchsten Wahrscheinlichkeit. Im Bemühen, die Informationsflut zu bändigen, konzentriert sich das menschliche Gehirn auf diesen Pfad - und ignoriert die Unsicherheit, die Hurrikan-Prognosen auf Grund der Naturgesetze zwangsläufig haben.

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SZ vom 11.09.2017/mahu/cat
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