Wetterlagen:Ein Hoch auf Ernstwolfgang

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Nirgendwo auf der Welt liest sich der Wetterbericht so illuster wie in Deutschland. Denn nur hier kann man Namenspate für eine Wetterlage werden - Anfragen dafür kommen aus der ganzen Welt.

Claudia Fromme

Claus ging irgendwann die sibirische Puste aus. Wahrscheinlich hatte das mit Liesbeth zu tun, die sich über dem Nordatlantik zwischen ihn und Drago gestellt hat.

Ob Oili, Dragon oder Hansi - jedes Tief- und Hochdruckgebiet erhält einen individuellen Touch. (Foto: Foto: ddp)

Vielleicht hat sie auch einfach geahnt, dass beide ohnehin bald Geschichte sein werden. Schließlich kreist neben Marieke nun schon Ernstwolfgang über Lappland und sorgt vor allem in Ostdeutschland für kalte Füße. Und in weiter Ferne harrt bereits Oili der Dinge.

Nirgendwo auf der Welt liest sich der Wetterbericht so illuster wie in Deutschland. Ziehen Wetterlagen anderenorts namenlos umher, geht hier kein Hoch oder Tief unbenannt vorbei.

Am Wetterhimmel geht es dabei demokratisch zu, ein Plätzchen dort kann sich jeder beim Meteorologischen Institut der Freien Universität Berlin kaufen. Oder kaufen lassen. Das ist meist der Fall. Hinter Drago etwa verbirgt sich Drago Menart, Mediaberater aus Düsseldorf, der das Hoch zum Namenstag von seiner Frau bekommen hat.

Oili ist Oili Much, Sekretärin aus Münster, und das Tief ist ein Weihnachtsgeschenk ihres Mannes. Und hinter Ernstwolfgang verbirgt sich Bundesverfassungsrichter a.D. Ernst-Wolfgang Böckenförde. Das Hoch bekam er von seinem ältesten Sohn zum 75. Geburtstag.

Getauft wird von den Berliner Meteorologen seit 1954, gekauft werden können Hochs und Tiefs seit Ende 2002. Letzteres hat damit zu tun, dass die Messstation des Deutschen Wetterdienstes in Dahlem aus Kostengründen geschlossen werden sollte.

Die rettende Idee: das Kaufhoch oder Kauftief. Im November 2002 erschien das erste Privattief auf der Wetterkarte: Yvonne. Seither gab es mehr als 600 Paten. Und weil die Hoch-Tief-Taufe einmalig ist, kommen Anfragen aus aller Welt. Ein Japaner erstand im vergangenen September das Tief Takashi.

Der Preis richtet sich nach der Großwetterlage. Etwa 50 Hochs und 150 Tiefs werden für 2006 erwartet. Weil Hochs seltener sind und sich viel länger halten als Tiefs, kosten sie mehr.

Für 199 Euro kann man Tiefpate werden, für 299 Hochpate. 2006 werden alle Hochs nach Männern benannt und alle Tiefs nach Frauen. Für Gleichberechtigung auf der Wetterkarte wechselt das Geschlecht jährlich.

Das war nicht immer so und hat mit Karla Wege zu tun - und mit den USA. Denn im Zweiten Weltkrieg begannen die Amerikaner, extremen Stürmen Namen zu geben, damit diese sich besser auf der Karte verfolgen lassen. Inspiriert davon schlug die Berliner Meteorologiestudentin Karla Wege 1954 vor, sämtliche Wetterlagen über Deutschland zu taufen.

Dem Institutsleiter gefiel die Idee und als die 24-Jährige anregte, den Tiefs Frauennamen zu geben und Hochs Männernamen, störte das keinen. Eigentlich habe sie sich gar nichts dabei gedacht, erinnert sich die promovierte Meteorologin, die 30 Jahre lang das Wetter im ZDF präsentierte.

Erst 45 Jahre später machte eine bundesweite Fraueninitiative dagegen Front, dass Frauen immer für den Regen zuständig sein sollen. Seit 1999 gibt es daher das gemischtgeschlechtliche Schmuddelwetter. Karla Wege findet den erstrittenen Wechsel ein wenig kurzsichtig. Es gebe doch viel mehr Tiefs als Hochs, Frauen hätten also viel mehr Platz im Wetterbericht gehabt, sagt sie. Zudem seien Tiefs doch viel spannender.

Hochs sind auf dem Wetterbasar am schnellsten verkauft, fast drei alphabetische Durchgänge sind schon vergeben, erklärt Studentin Sevim Müller, die die Namensvergabe seit 2002 mitorganisiert.

Nicht so die Kassenschlager seien X,Y, Z und Q bei den Tiefs. Wer sich mit einem wohlfeilen Tief Quint, Yorick oder Xilko anfreunden kann, dem sei Ebay empfohlen. In der vergangenen Woche ging dort etwa ein Z-Tief für 60,90 Euro weg, davor gab es ein Tief mit X für 21,39 Euro. Nicht alle Namen eignen sich für die Wetterkarte.

Ein eingetragener Vorname muss er sein und auf keinen Fall negativ konnotiert, so die Vergaberegeln. Die Anfrage "Osama" wurde 2003 abgelehnt. Auch ein Hoch auf den Namen "Adolf" und "Saddam" ist chancenlos, sagt Sevim Müller. Die letzte Instanz ist das Einwohnermeldeamt in Berlin-Dahlem.

Das muss immer häufiger bemüht werden. Denn seit nicht mehr Meteorologen taufen, sondern Kaufpaten, werden die Namen ausgefallener. Gab es früher Lothar, Tristan, Erna und Michaela, werden 2006 noch Oguzcan, Condoleezza und eben Oili auf der Karte erscheinen.

Auch wenn sich schon viele Prominente einen Platz am Wetterhimmel gesichert haben wie etwa UN-Umweltdirektor Klaus Töpfer (Tief Klaus) oder Schlagersänger Hansi Hinterseer (Hoch Hansi), wünscht sich kaum ein Pate den großen Auftritt.

Drago Menart etwa, der sich bis zum Wochenende als Drago auf der Karte hielt, hat keinem davon erzählt. Nicht mal den Kollegen des Radiosenders RPR, für den er Werbezeiten verkauft. "Ist doch schöner, wenn nur meine Frau und ich wissen, wer Drago ist", sagt er. Und Oili Much war sogar richtig sauer, als sie ihr Tief zu Weihnachten bekam, sagt die 57-Jährige. Selbst in ihrer Heimat Finnland sei der Name selten.

Wenn Oili nun bald in den Nachrichten erwähnt werde, wüsste doch jeder sofort Bescheid, dass sie dahinter stecke. Auch der ehemalige Verfassungsrichter Ernst-Wolfgang Böckenförde wiegelt ab. "Ein sehr originelles Geschenk" sei die Patenschaft, befindet er. Eingeweiht habe er aber nur wenige und eigentlich wolle er auch gar nicht so viel Aufhebens darum machen.

Dabei wäre es fast eng geworden mit der Patenschaft. Nicht nur sehr lang sei Ernstwolfgang für die Karte, mahnten die Berliner Studenten, sondern auch kein echter Vorname; Ernstwolfgang gebe es doch gar nicht. Das erste Mal in 50 Jahren hätte man sich die Frage nach dem Bindestrich gestellt, sagt Sevim Müller. Böckenfördes Sohn aber - selbst Jurist - gelang es, die Meteorologen vom Gegenteil zu überzeugen.

Er faxte ihnen § 262 der Dienstanweisung für Standesbeamte. Absatz 3 besagt: "Mehrere Vornamen können zu einem Vornamen verbunden werden." So darf Ernstwolfgang ohne Bindestrich also noch einige Tage für kalte Füße sorgen - bis Friedhelm kommt. Aber das ist eine andere Geschichte.

© SZ vom 6.2.2006 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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