Süddeutsche Zeitung

Wetter in Deutschland:Väterchen Frust

Schnee und Kälte halten sich hartnäckig in Deutschland. Bleiben die heimtückischen Flocken für immer? Frierende wettern auf Facebook gegen das Wetter. Liebe Warmblüter, das ist zwecklos!

Von Bernd Graff

Alle reden über das Wetter. Wir nicht." Das, liebe Trauergemeinde, war einmal ein Werbespruch der Deutschen Bahn, die damit andeuten wollte, dass ihre Züge auch bei Schnee und Eis fahren, während die Autos auf der Autobahn im Stau stehen. Wir wollen uns diesen Spruch nun zu eigen machen.

Die Jüngeren und Unerfahrenen von uns mögen via Facebook und Twitter noch über Dunkelheit und Kälte und Eis und Schnee am Ende des dritten Monats des neuen Jahres lamentieren (und anfügen, dass es schon seit Anfang Oktober schneit und friert und so greislich graut, dass es einem den Vogel raushaut). Wir Sommer-Erinnerer aber wissen: Es gibt kein Wetter mehr, über das man noch reden müsste. Und niemand hat die Absicht, ein Wetter zu errichten. Das, was sich da draußen abspielt, dieses graue Gefriere mit Schneefall, das bleibt.

Ach Gott, die Jugend! Diese jungen Dinger beschweren sich ja immer noch über den Winter. Damals in Woodstock, im August 1969, hatte es zu regnen begonnen - Regen, liebe Spätgeburtler, ist flüssiger Schnee - damals also haben sie ein "No Rain! No Rain!"-Lied angestimmt, das im Wesentlichen daraus bestand, rhythmisch "No Rain! No Rain!" zu skandieren. Heute könnten sie "Wenn bei Castrop der graue Himmel im Schnee versinkt" singen. Heino sitzt bestimmt schon an der Neuvertextung dieses Capri-Klassikers.

Fachleute versuchen uns weiszumachen, alles sei ganz normal, es handele sich um eine Ausnahme. "Das kommt nur alle 10 bis 20 Jahre vor", behauptet Meteorologe Andreas Friedrich vom Deutschen Wetterdienst in Offenbach. Mit dem Klimawandel und dem Trend zur Erderwärmung habe das Phänomen nichts zu tun: "Es ist eine Laune der Natur im chaotischen System Wetter." Die "weiträumige Zirkulation" sei verschoben, die sogenannte Westwindzone nach Süden verrückt. Verrückt!

"Scheiß Schnee"

Auch Franz Josef Wagner von der Bild-Zeitung empört sich, weiträumig zirkulierend, über den Schnee zum Frühlingsanfang. In seiner Kolumne hat er unter der Überschrift: "Scheiß Schnee" einen Hilferuf gegen die "heimtückischen Flocken" abgesetzt und sie als "Weiße Bakterien" bezeichnet, vor allem, weil Weiß "eine unbunte Farbe" sei. Unbunt ist jede Farbe, wenn sie allein steht. Und unser Wintergrau, das steht allein. So kommen wir nicht weiter. Man müsste diese Erregung also fast hirnverbrannt nennen, wenn die Sonne noch schiene. Aber das tut sie ja nicht mehr.

Auf Twitter pöbeln so viele junge Menschen gegen den Winter, dass es eine Pracht ist. Man lamentiert in lauer Witzigkeit: "Was wir doch für einen schönen Winter in diesem Frühjahr haben!", "Man nennt die Jahreszeit Frinter", "Die Büro-Kühe, die jetzt noch den Winter preisen, nerven mich", so was. Ist es nicht gut, dem Kältegefühl einen Ausdruck zu verleihen? Wie etwa mit dem Hashtag #springwhereareyou, unter dem die Melancholiker ihre Elegien posten.

Auf Facebook, das ist dieses immer grundlos heitere soziale Netzwerk im Virtuellen Raum, hat sich eine Gruppe "Gegen den Winter und die Kälte (Bitte teilen)" gebildet, in der anrührende Bilder von sonnenbeschienenen Stränden gepostet werden. Ihr Lieben! Genauso könntet ihr Bilder vom Mars dort posten, denn das mit der Sonne ist vorbei!

Die Facebook-Gruppe "Demonstration gegen den Winter" will sogar auf die Straße gehen, um gegen das Wetter zu protestieren. Kinder, was wollt ihr denn da? Iglus bauen? Hier trefft ihr doch nur auf Väterchen und Mütterchen Frust. Genauso gut könnt ihr gegen die Haushaltsabgabe von ARD und ZDF demonstrieren. Das ist genauso zwecklos. Kommt lieber wieder rein.

Lasst uns alle Fenster zumauern

Liebe Warmblüter, was lernen wir nun daraus? Es gibt ja kein Licht mehr. Lasst uns alle Fenster zumauern, man benötigt sie nicht länger. Bald schon werden wir durchsichtig sein und wie Nacktmulle aussehen. Das sieht aber keiner wegen der vielen Federkissen, die wir konstant um unsere schlotternden Körper geschlungen tragen, und sowieso wegen der Dunkelheit.

Völlig witzlos, wenn auch gut gemeint, sind darum die Bemühungen der Kaufmännischen Krankenkasse (KKH), die Kosten des Bibberns zu beziffern. In diesem Januar gab es angeblich 46 Prozent mehr grippale Infekte als im Januar 2012. Der volkswirtschaftliche Produktivitätsverlust durch alle Erkältungskrankheiten liege bei über zwei Milliarden Euro. Auch steige das Depressionsrisiko, da das Himmelsgrau ja deutlich dunkler ist.

Liebe KKHler, was soll das? Wollt ihr dem kalten Wind vorwerfen, dass er beißt? Es ist, wie es ist, und es ist fürchterlich. Die Jahreszeiten mögen zwar weiter kalendarisch wechseln, doch dieser Winter ist gekommen, um zu bleiben. Der Glaube an den Frühling gehört abgeglaubt! Und alle unsere Erinnerungen an Wärme, Licht und sanften Regen werden sich verlieren wie Eiskristalle in einer Schneewehe. Zeit, noch einmal nach dem Feuer zu sehen.

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Quelle:
SZ vom 26.03.2013/jst
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