Westafrika:Der Schrecken der Schrecke

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Die Welternährungsorganisation FAO hat mehrfach vor der Heuschreckenplage gewarnt. Nun ist die Invasion der Insekten da. Riesige, südwärts wandernde Schwärme fressen in der krisengeschüttelten Region alles kahl.

Von Felix Straumann

Die Warnungen blieben offenbar ungehört: Seit Oktober hatte die Welternährungsorganisation FAO mehrfach vor einer Heuschreckenplage gewarnt. Nun ist die Invasion der Insekten über Westafrika hereingebrochen. Riesige, südwärts wandernde Schwärme fressen in der krisengeschüttelten Region alles kahl. Immer wieder werden in den kommenden Wochen neue gefräßige Massen aus dem Norden einfallen.

Hat Hochsaison - die Heuschrecke. (Foto: Foto: AP)

Von Mitte September an, so erwarten die Experten, wird die nächste Heuschrecken-Generation herangereift sein und die Gegend erneut bedrohen. Die Plage ist schon in der Bibel ebenso beschrieben wie in mittelalterlichen Quellen. Offenbar suchten Heuschreckenschwärme aus Afrika damals sogar regelmäßig Europa heim. Auf dem schwarzen Kontinent selbst werden die Tiere im Durchschnitt alle 15 Jahre zur Bedrohung. Dennoch bleibt vieles an der Wanderheuschrecke mysteriös. Erst in den letzten Jahren haben Insektenforscher einige Geheimnisse gelüftet.

Unauffällig in grün

Zoologen nennen die in Westafrika heimische Wanderheuschreckenart "Wüstenheuschrecke" oder Schistocerca gregaria. Sie lebt die meiste Zeit als Einzelgängerin, ist unauffällig grün und richtet in geringer Zahl kaum Schaden an. Wenn aber die Brutbedingungen und das Nahrungsangebot dank vieler Niederschläge günstig sind (was in der Region etwa alle 15Jahre vorkommt), vermehren sich die Insekten schnell. Sinkt das Futterangebot wieder, kommt es zur Überbevölkerung. Nicht ausgewachsene Heuschrecken, auch "Hüpfer" genannt, finden sich dann zu Gruppen zusammen und bilden schließlich große Schwärme.

Die seltsame Verwandlung, die die Tiere dabei vollziehen, interessiert die Insektenforscher: Plötzlich werden die Heuschrecken aktiv, suchen die Nähe ihrer Artgenossen und ändern ihre Farbe von Grün in ein leuchtendes Schwarzgelb. Nach ihrer letzten Häutung sind sie erwachsen, können fliegen und in neue Gebiete ausschwärmen. Der Unterschied zwischen beiden Lebensformen ist so groß, dass man sie früher für zwei unterschiedliche Arten hielt.

"Mehr als 80 Jahre lang verstand man diese Umwandlung nur wenig", sagt Stephen Simpson von der Oxford University. Erst vor kurzem ist sein Forschungsteam den Auslösern auf die Spur gekommen. Ursprünglich hatte man chemische Signalstoffe im Verdacht, die Verwandlung zu bewirken. Tatsächlich aber sind es wohl wiederholte, mechanische Reize an den Hinterbeinen, die durch ständigen Körperkontakt mit Artgenossen entstehen. Zu solchen Kontakten kommt es nur in der Enge großer Gruppen. Innerhalb weniger Stunden ändern die Tiere dann ihr Verhalten und bei der nächsten Häutung auch ihr Äußeres.

Forscher wollen Sprache der Insekten verstehen

Doch der Weg zum Schwarm ist nicht ungefährlich. Die kleinen Gruppen, zu denen sich die Einzelgänger anfangs zusammenschließen, sind anfällig für Krankheiten und ein gefundenes Fressen für natürliche Feinde. Die Insekten verspeisen in dieser Phase daher selektiv Pflanzen, die für ihre Räuber giftig sind. Außerdem fanden die Oxforder Forscher Hinweise darauf, dass das Immunsystem der Hüpfer besonders aktiviert ist.

Auch in Deutschland machen Insektenforscher Fortschritte. So befassen sich Hans-Jörg Ferenz und Karsten Seidelmann von der Universität Halle vor allem mit Pheromonen - der "Sprache der Insekten", wie Ferenz diese Signalduftstoffe nennt. Dazu züchten die Forscher ihre Heuschrecken unter "Schwarmbedingungen", indem sie die Tiere auf engstem Raum zusammenbringen und die Signalstoffe sammeln, die diese produzieren. Ein schwieriges Unterfangen, da die meisten Pheromone schon in winzigen Konzentrationen wirken und daher nur in geringen Mengen abgegeben werden.

In der Arena der Schrecken

Die Substanzen werden dann an Heuschrecken-Antennen getestet. Erkennen diese die Moleküle, erzeugen sie ein elektrisches Signal, das die Forscher messen. Am ganzen Tier wird anschließend untersucht, welche Reaktion eine Substanz auslöst. Die Wirkung zwischen den Insekten untersucht Ferenz schließlich in "Arenaversuchen": Zwei oder drei Tiere werden dazu wie in einer Arena beobachtet.

Zur Zeit untersuchen die Halleschen Forscher das Sexualverhalten der Wüstenheuschrecken. Das ist sehr unterschiedlich, je nach dem, ob die Insekten sich in der Schwarmphase befinden oder einzeln leben. Für Einzelgänger gilt es, überhaupt einen Geschlechtspartner zu finden, vermutlich mit Hilfe ihres "Gesangs". Haben sich zwei Partner einmal gefunden, können sie sich ungestört der Fortpflanzung hingeben; Alternativen sind weit weg.

Beim Leben im Schwarm sieht das anders aus: Da die Weibchen nur kurz vor der Eiablage einen Partner akzeptieren, stehen die Männchen in starker Konkurrenz. Verschärft wird diese noch dadurch, dass das Sperma der letzten Begattung bevorzugt zur Befruchtung führt. Hat ein Männchen kopuliert, bleibt es daher auf dem Weibchen sitzen, um es gegen Nachfolger zu verteidigen.

Soforthilfe im Vordergrund

Die Forscher in Halle haben nun zudem ein Pheromon entdeckt, das Heuschreckenmännchen nach der Kopulation abgegeben, um Konkurrenten fern zu halten. Die Männchen produzieren die Substanz auch um zu verhindern, dass sie versehentlich von anderen Männchen begattet werden. Einzelgänger produzieren das Pheromon dagegen gar nicht.

Das Interesse der Forscher am Liebesleben der Heuschrecken hat praktische Gründe: die Abwehr der Schwärme. Denn die werden noch per chemischer Keule bekämpft - mit Nebenwirkungen für nützliche Insekten und Insektenfresser. Gezielt wirkende Pheromone wären eine Alternative: Man käme mit weniger Substanz als bei herkömmlichen Insektiziden aus und hätte weniger Nebenwirkungen. Ein Team aus Kenia hat bereits versucht, mit dem auch von Ferenz identifizierten Signalstoff in Feldversuchen die Fortpflanzung der Tiere zu stören. Die Resultate sind jedoch umstritten.

Um solche Fragen zu klären, fehlt oft das Geld. Denn das kommt oft nur in Schüben wie die Schwärme. Nach der letzten großen Plage vor rund 15 Jahren flossen Mittel in die Grundlagenforschung, die Entwicklung verträglicherer Pestizide sowie die Früherkennung. "Mit der Zeit hat das Interesse aber wieder nachgelassen", so Christian Pantenius, Projektkoordinator bei der Welternährungsorganisation in Kairo. Zur Zeit fließt wieder Geld, doch das wird gegen die Schwärme in der Zukunft kaum wirken: "Jetzt steht Soforthilfe im Vordergrund", so Pantenius.

© SZ vom 18.8.2004 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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