Süddeutsche Zeitung

"Werner"-Rennen:Brösel lässt dem Elfer keine Chance

Chaos, Bier und 200 000 Besucher: So war das 1988 beim Rennen des "Werner"-Erfinders Brösel gegen Wirt Holger Henze. Die Neuauflage kam mit weniger Publikum aus - und geriet doch zur Feier eines Lebensgefühls.

Von Thomas Hahn, Hartenholm

Am Sonntag um vier war die Fläche voll vor dem riesigen Videoschirm an der Landebahn des Flugplatzes Hartenholm. Menschen saßen und standen auf dem staubigen Feld und warteten auf den Höhepunkt beim Festival "Werner - das Rennen" mit 80 Bands und viel Motorsport-Action. Etwa 50 000 Menschen hatten sich in Position gebracht, um die wohl aufwendigste Bierwette in der Geschichte Schleswig-Holsteins zu erleben: Die nächste Revanche im Streit der Motoren zwischen Comiczeichner Rötger "Brösel" Feldmann, 68, und dem Kieler Kneipenwirt Holger "Holgi" Henze, 74.

Begrüßungsrunde und Schleswig-Holstein-Lied gehörten zur Zeremonie vor dem Start über 200 Meter. Dann bestieg Feldmann seine viermotorige Motorrad-Konstruktion "Red Porsche Killer", Henze setzte sich hinter das Steuer seines hochgetunten Porsche 911 T von 1968. Es war so weit, 30 Jahre nach der Premiere an gleicher Stelle: Die Motoren heulten auf. 1988 noch hatte Brösel sich verschaltet - diesmal hatte ihm sein Team eine elektronische Gangschaltung eingebaut. Brösel führte schnell. Er gewann und genoss das glückliche Ende dieses Klamauks. "Schön den Gang reinhauen, ohne zu kuppeln", sagte er, "das ging ab wie Harry."

Die Geschichte des Comic-Zeichners Rötger Feldmann liest sich wie ein Märchen aus dem Moin-Land. Als junger Lithograf flog er bei einem Flensburger Unternehmen raus, weil er Mitarbeiter und Vorgesetzte karikierte. In den Siebzigern war er lange arbeitslos, trank Bier, schraubte an Motorrädern rum, zeichnete Geschichten, die er in Schleswig-Holsteins Provinz mit seinen Leuten erlebte. Er brachte die Comic-Figur Werner auf die Welt, einen großnasigen Anarchisten, Biker und Flens-Trinker, eine Art Alter Ego. Holger Henze, neben Kneipenwirt auch Galerist, brachte ihn mit der Frankfurter Satire-Zeitschrift Pardon zusammen, und dort machte Werner dann Karriere. Heute gibt es 13 Werner-Bände, fünf Werner-Filme, Werner-Musik, Werner-TV, Werner-Bier - und eben jenes Werner-Festival, das am Wochenende nach seiner ersten Auflage 1988 wieder auf dem Flugplatz Hartenholm in der Gemeinde Hasenmoor, Kreis Segeberg, stattfand.

Für Freunde des gediegenen Vergnügens ist die Werner-Welt nichts. Die sehen dann aber vielleicht auch nicht, dass die derbe Sprache der Brösel-Werke, ihre Inszenierung von rustikalem Vergnügen und Rausch eine unangepasste Lebensfreude spiegeln, mit der sich viele Norddeutsche gut identifizieren können. Auch das Festival um die uralte Schnapsidee, ein Rennen zwischen Brösels Horex und Holgis Porsche zu veranstalten, ist vor allem die Feier eines Lebensgefühls gewesen, das Generationen von Jungen und Junggebliebenen im Hinterland immer wieder ausgelebt haben. Zwischen Wiesen und Wald lärmte der Unsinn der Herzen auf Bühnen und Motorsportpisten. Wer Party und aufgemotzte Maschinen mag, wurde gut bedient.

Wobei die dritte Auflage des Werner-Rennens - 2004 hatte es eine auf dem Lausitzring gegeben, bei der Brösels Maschine versagte - viel weniger anarchische Energie ausstrahlte als die erste. Über 200 000 Menschen kamen 1988 über das Festgelände. Die Veranstalter wurden überrascht. Der Ansturm war so groß, dass es am Schluss keine Ticket-Kontrollen mehr gab. Die mobilen Toiletten liefen über, weil kein Fahrzeug mehr rankam, um sie zu entleeren. Vorgärten und Firmenhöfe in der Nachbarschaft nahmen Schaden. Nach dem Fest sah der Flugplatz aus wie eine Müllhalde. Alles blieb zwar friedlich, die Gäste waren begeistert von der Stimmung. Aber es ging drunter und drüber.

"Es war viel, viel chaotischer", sagt Daniel Imbeck, 54, Wiederholungsbesucher aus Bad Segeberg. Er lächelt, als er über das weitläufige Festivalgelände mit seinen geordneten Buden, Zelten und Zäunen schaut. 50 D-Mark hat er 1988 für die Karte mit Campingplatz bezahlt, diesmal 149 Euro. Schön und wild war es damals. Entspannter ist es jetzt. "Man merkt, dass es von Wacken organisiert wird."

"Das war schon ein anständiges Fest für einen Küstenjungen"

Die Gemeinde Wacken liegt eine Autostunde entfernt. Seit 1989 ist sie jedes Jahr Schauplatz eines Metal-Festivals, das als eines der größten weltweit gilt. Das erste Werner-Festival inspirierte einst die Initiatoren. Das neue hat Mitbegründer Holger Hübner selbst veranstaltet mit all der Erfahrung, die er über die Jahre gesammelt hat. Hübner weiß, wie man die Behördenauflagen erfüllt, die es 1988 noch nicht gab. Wie man die Nachbarschaft mit Information und größtmöglicher Rücksicht gewinnt. Und vor allem, wie man Struktur ins Fest bringt mit Themen-Campingplätzen, klaren Zugängen, professionellem Schallschutz und Sicherheitsbestimmungen. Mehr als 70 000 Menschen durften nicht aufs Gelände. Zum Müllkonzept gehörte Personal, das über das Gelände ging, um jeden Papierschnipsel einzusammeln.

Auch Bierseelen wissen, was Vernunft ist - das ist die Botschaft der modernen Festival-Kultur. Sonst hätte das Oberverwaltungsgericht in Schleswig wohl kaum die Klage von 14 Anliegern abgewiesen. Andere Open-Air-Erprobte wiederum vermissen das Chaos auch ein bisschen.

Am Bierstand zwischen Fun- und Flat-Track steht ein schmaler Mann mit grauem Zopf. Auf seinem T-Shirt steht "netter älterer Herr", auf die Frage nach seinem Namen sagt er: "Machste Stefan G-Punkt." Er ist 49 und war 1988 auch dabei. Seine Erinnerung sei "ein bisschen nebulös". Aber dass es ihm gefallen hat, weiß er noch. "Das war schon ein anständiges Fest für einen Küstenjungen", sagt er. "Nicht so promotet, nicht so zivil. Viel mehr Leute, viel weniger Zäune. Heute gibt's Sicherheitsauflagen blablabla, Sachen, die kein Rocker braucht." Stefan G-Punkt ist ein norddeutscher Gemütsmensch. Er liebt Festivals und Motoren. Er beschwert sich nicht. Die Anwohner in Hartenholm hat er als zugewandt und freundlich erlebt. Aber die arglose Auflehnung gegen Regeln und Macht, von der die Werner-Comics immer erzählten, ist nicht mehr so möglich wie früher. Das fällt ihm durchaus auf.

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SZ vom 03.09.2018/jps
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