Wermelskirchen:"Ein solches Ausmaß an menschenverachtender Brutalität ist mir noch nicht begegnet"

Wermelskirchen: Kölns Polizeipräsident Falk Schnabel: "In diesem Komplex stehen wir sicherlich noch ganz am Anfang"

Kölns Polizeipräsident Falk Schnabel: "In diesem Komplex stehen wir sicherlich noch ganz am Anfang"

(Foto: Oliver Berg/dpa)

Nachdem Ermittler einen neuen bundesweiten Missbrauchskomplex aufgedeckt haben, zeigt sich der Kölner Polizeichef schockiert. Die Beamten ermitteln gegen 70 Verdächtige. Es gibt auch eine Verbindung zu einem Fall nach Münster.

Lügde, Bergisch Gladbach, Münster - in Nordrhein-Westfalen gibt es zahlreiche Städte, deren Namen sich mit großen Missbrauchs-Tatkomplexen verbinden, in denen Kinder Opfer schwerster sexualisierter Gewalt geworden sind.

Nun gibt es offenbar einen neuen Fall, Ausgangspunkt diesmal: Wermelskirchen im Bergischen Land. Dort hat die Polizei bei einem 44-jährigen Verdächtigen 30 Terabyte Daten beschlagnahmt, eine riesige Menge an Material. Sie umfasst 3,5 Millionen Bilddateien und 1,5 Millionen Videos.

Polizei und Staatsanwaltschaft haben am Montagmittag bei einer Pressekonferenz über den Fall informiert. Der Kölner Polizeipräsident Falk Schnabel und der leitende Oberstaatsanwalt Joachim Roth nahmen beide Bezug auf die anderen drei großen Missbrauchsfälle in Nordrhein-Westfalen. Der Fall, der in Wermelskirchen seinen Ausgang genommen hat, so die Ermittler, reihe sich in diese Komplexe ein. "Wir haben Anlass zu der Befürchtung, dass dieser Fall noch darüber hinaus geht", sagte Schnabel.

70 Verdächtige hat die Polizei im Blick. Sie sollen zahlreiche Fotos und Videos von sexuell missbrauchten Babys und Kleinkindern besessen und getauscht haben. Ein Teil der Männer soll auch selbst Kinder vergewaltigt haben. 33 Opfer habe man bisher identifizieren können.

Im Internet als Babysitter angeboten

Behörden in 14 Bundesländern sind an den Ermittlungen beteiligt. Sie kamen durch ein in Berlin geführtes Verfahren gegen den 44-Jährigen aus Wermelskirchen in Gang. Dieser soll an einem von der Polizei aufgespürten Chat beteiligt gewesen sein, in dem es um Missbrauchstaten ging. Der Mann wurde Ende vergangenes Jahres festgenommen, er befindet sich inzwischen in Untersuchungshaft. Die Ermittler werfen ihm schweren sexuellen Missbrauch von Kindern vor.

Der Mann soll sich über Internetplattformen als Babysitter angeboten und die Taten dann in den Wohnungen der Kunden begangen haben. Einige Kinder habe der Mann nur ein oder zwei Mal betreut, auf andere Kinder habe er bis zu drei Jahre lang regelmäßig aufgepasst.

Mindestens zwölf Kinder - zehn Jungen und zwei Mädchen - soll der 44-Jährige missbraucht haben. Die Hälfte der Kinder sei nicht älter als drei Jahre gewesen. Die Taten spielten sich zwischen 2005 und 2019 ab, so die Ermittler. Die Vorwürfe habe der Verdächtige im Grundsatz eingeräumt.

Offenbar gibt es auch eine Verbindung zu dem Missbrauchskomplex von Münster, der im Sommer 2020 bekannt wurde. Einer der Tatorte war eine inzwischen abgerissene Laube in einer Kleingartenanlage in Münster. Der Haupttäter wurde im Sommer vergangenen Jahres zu 14 Jahren Gefängnis mit anschließender Sicherungsverwahrung verurteilt.

Der 44-Jährige aus Wermelskirchen habe auch "einem der Täter aus Münster beim Missbrauch zugesehen und Anweisungen gegeben. Das geschah über einen Video-Chat online", berichtete NRW-Innenminister Herbert Reul (CDU). Warum der 44-Jährige nicht schon bei den Ermittlungen im Komplex Münster identifiziert worden sei, wisse er derzeit aber nicht, so Reul. "Ich kann allen Pädophilen nur sagen: Wir kriegen Euch! Vielleicht nicht heute, aber eines Tages stehen wir vor Eurer Tür."

Manche Taten liegen Jahre zurück

"In diesem Komplex stehen wir sicherlich noch ganz am Anfang", sagte Polizeipräsident Schnabel über den Wermelskirchener Fall. Die Auswertung des Materials werde sehr viel Zeit in Anspruch nehmen. Er selbst habe nur einen sehr kleinen Teil der Dateien gesehen. "Ich bin erschüttert und fassungslos. Ein solches Ausmaß an menschenverachtender Brutalität und gefühlloser Gleichgültigkeit ist mir noch nicht begegnet und so etwas habe ich mir auch nicht vorstellen können", so Schnabel.

Ein Teil der Taten liegt offenbar Jahre zurück. Einige der Opfer hätten erst im Laufe der Ermittlungen Kenntnis darüber erlangt, dass sie damals Opfer wurden. Der Tatverdächtige, so die Polizei, habe umfangreiche Listen angelegt, um den Überblick über die Millionen Dateien zu behalten. Diese offenbar sehr akribische Buchführung ist nun eine der Grundlagen der Arbeit von Polizei und Staatsanwaltschaft. Der Name der Ermittlungsgruppe lautet dementsprechend: "Liste".

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