Süddeutsche Zeitung

Werbung:Eins zu null für die Lüge

Ein Pistenbully, der aus Versehen nach Schleswig-Holstein geliefert wurde? Immer mehr Werbeagenturen erfinden Geschichten, die Journalisten dann leichtgläubig verbreiten. Erstes Opfer: die Glaubwürdigkeit.

Von Hannes Vollmuth

Eigentlich gehen Archäologen davon aus, dass der Mensch mit dem Geschichtenerzählen einen evolutionären Vorteil errungen hat: Wer Geschichten erzählte, konnte Emotionen lesen, konnte mit anderen kooperieren und behielt im Urzeitchaos den Überblick. Geschichtenerzählen: ein Vorteil im Überlebenskampf. Nur verkehrt sich der jetzt ins Gegenteil.

Gerade erst wurde ein Pistenbully durch die deutschen Medien gejagt. Der Fahrer eines Lastwagens lieferte den Pistenbully nach Seefeld in Schleswig-Holstein anstatt nach Seefeld in Tirol, angeblich. Jetzt räumte der Tourismusverband aus dem österreichischen Seefeld ein, dass es sich nur um eine PR-Aktion gehandelt habe. Die Geschichte eines falsch gelieferten Pistenbullys - zu gut, um wahr zu sein.

Der ORF, Spiegel Online, die Frankfurter Allgemeine Zeitung, Bild, der NDR: Alle diese Medien fielen auf den angeblich falsch gelieferten Pistenbully rein, berichteten darüber und warben letztendlich für die österreichische Urlaubsregion. Auch auf SZ.de wurde die falsche Nachricht verbreitet, weil sie über den automatischen dpa-Nachrichtenticker einlief. Am Ende recherchierte der NDR nach und deckte auf, dass es sich um einen PR-Gag handelte.

Man muss das Ganze nicht schlimm finden. Fälschergeschichten gibt es seit 100 Jahren, 1911 narrte Arthur Schütz die Wiener Presse, er behauptete: "Völlig unerklärlich ist jedoch die Erscheinung, daß mein im Laboratorium schlafender Grubenhund schon eine halbe Stunde vor Beginn des Bebens Zeichen größter Unruhe gab." Doch die Fälle häufen sich: Stefan Wegner von der Werbeagentur Scholz & Friends sagt: "Jeden Tag tauchen neue Geschichten auf, eine ganze Medienkultur lebt davon."

Schafft es eine erfundene Geschichte in die Medien, ist Aufmerksamkeit garantiert. Und um Aufmerksamkeit geht es natürlich immer, schließlich soll ein Produkt beworben werden. Jeder zweite Kunde bei Scholz & Friends wünscht sich einen viralen Hit, also eine erfundene Geschichte in den Nachrichtenspalten, auf dem schmalen Grat zwischen total irre und gerade noch glaubwürdig.

Wegner schätzt, dass 90 Prozent der Falschgeschichten gar nicht wahrgenommen werden, also sofort floppen. Den Rest enttarnen die Medien gleich am ersten Tag - oder die Geschichten leben weiter. Bis irgendwann der Auftraggeber schreit, "Hurra wir waren's!" Denn auch die Auflösung ist Teil des großen Spiels, an dessen Ende es meist doch um eine Tourismusregion geht, um Kinofilme, Versicherungen.

Offenbar lohnt sich das für Werbeagenturen und ihre Kunden. "Dass man die Aufmerksamkeit für sein Produkt bekommt, ist sehr wahrscheinlich, und das bringt bares Geld", sagt Stephan Ruß-Mohl, Professor für Journalistik an der Universität Lugano. Anders ausgedrückt: Aufwendige Kampagnen mit erfundenen Geschichten rechnen sich alleine deshalb, weil ein Produkt beworben wird. Nur die journalistische Glaubwürdigkeit zerbröselt wie eine Sandburg in der Sonne.

Wer nach Gründen dafür sucht: Journalismus und Werbung kämpfen nicht mehr mit gleicher Truppenstärke. "Die Recherchekapazität der Medien ist dramatisch gesunken, während die Kräfte der PR-Branche sich vervielfacht haben", sagt Ruß-Mohl. Auf einen US-Journalisten kommen inzwischen fünf Öffentlichkeitsarbeiter. Viele Mitarbeiter von Werbeagenturen tischen wenigen Journalisten inzwischen erfundene Geschichten auf.

Man kann sich aber auch fragen, was Fälschergeschichten über das Mediensystem aussagen. Das Absurde am journalistischen Geschichtenerzählen ist ja mittlerweile: Die Anzahl der Kanäle kann man immer weiter vermehren, die Anzahl der wahren Geschichten bleibt aber trotzdem gleich. Es gibt zu wenig wahre Geschichten für ein aufgeblähtes Mediensystem.

Zerteilte Gegenstände auf Ebay? Nur eine Kampagne des Deutschen Anwaltvereins

Eine dieser Storys, auf die man ungern verzichten wollte, geht so: Ein Mann aus Berlin, er nannte sich Martin G., stellte auf der Verkaufsplattform Ebay Gegenstände ein. Es sind keine normalen Artikel, denn sie sind zersägt. Ein halber Opel Corsa. Ein halber Motorradhelm. Ein halbes iPhone. Alles zerteilt, und dazu noch ein Satz von Martin G.: "danke für 12 'schöne' Jahre Laura!!!!!!!!!! du hast Dir die hälfte wirklich verdient ;-)", als Zugabe ein Youtube-Video. Ein Mann nach der Scheidung, zu allem bereit. Dann stellte sich heraus: Es handelte sich um eine Kampagne des Deutschen Anwaltvereins für Eheverträge.

Aber da war schon alles zu spät. Sun, Daily Mail, BuzzFeedNews, Times of India, El País, Bild.de, La Repúbblica, weltweit mehr als hundert Medien, auch sueddeutsche.de hatten berichtet. Der interessanteste Teil der Geschichte war aber in diesem Moment noch gar nicht bekannt. Und das Beste: Dieser Teil ist wahr.

Die Werbeagentur Serviceplan, die den Deutschen Anwaltverein betreut, hatte die Kampagne als Viral-Coup geplant, das Ziel waren Blogger, Menschen auf Facebook. Es ging gar nicht um Zeitungen, die klassischen Medien. Die Zeitungen starteten ihre Berichterstattung von ganz allein.

Ein paar Journalisten versuchten noch, Martin G. über Ebay zu kontaktieren. Die anderen, und das war die Mehrheit, jagten die Geschichte einfach so um die Welt, ohne Recherche. Dann die Auflösung: ein Werbegag für Eheverträge, Blamage für Hunderte Medien, und in diesem Moment hätte die Geschichte von Martin G. ein Ende finden können. Nur: Die größte Verbreitung stand erst noch bevor.

Bis heute posten Menschen unter das Youtube-Video von Martin G., oft liest sich das, als wären die Verfasser noch immer ahnungslos. Der Medienwissenschaftler Stephan Ruß-Mohl sagt: "Meistens verbreitet sich die Auflösung, wenn überhaupt, viel langsamer als die falsche Geschichte selbst." Der Sieger im Wettrennen zwischen Wahrheit und Lüge: Zumindest hier steht er schon fest.

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Quelle:
SZ vom 29.11.2016
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