Süddeutsche Zeitung

Werbeverbot für Alkohol in der Türkei:"Trinken soll Sünde sein?"

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Türkische Bar- und Lokalbesitzer sind empört: Sie sollen sämtliche Bier-Logos und Hinweise auf Alkoholmarken von Theken und Türen, Sonnenschirmen und Schaufenstern entfernen. So verlangt es ein neues Gesetz.

Von Christiane Schlötzer, Istanbul

Die Lichter der Nacht machen Istanbul gewöhnlich schöner, sie überstrahlen gnädig den Verfall und die Schmutzecken. Und nun hofft man, dass sie auch als Notbehelf taugen, das Bier in Szene zu setzen. Ein Kneipenbesitzer aus dem Bar-Bezirk Beyoğlu, nennen wir ihn Mehmet, weil er seinen Namen nicht verrät, kennt sich aus mit der Nacht. "Licht macht auch transparent", sagt er. Darauf setzt Mehmet. Schließlich muss er, so verlangt es das sittenstrenge türkische Alkoholgesetz, ab sofort alle Bier-Logos an seiner Bar überkleben. Kein Efes-Pilsen-Schild darf sichtbar sein, kein Yeni-Rakı-Schriftzug. "Mit etwas Scheinwerferlicht auf der Fassade" würden die Logos wohl noch durchscheinen, hofft Mehmet. Irgendwie muss man sich zu helfen wissen, wenn die Regierung das Geschäft verdirbt. "Die Kontrolleure kommen doch immer am Tag."

Schon vor einem Jahr trat das Anti-Alkohol-Gesetz in Kraft, als im Gezi-Park in Istanbul gerade Tausende protestierten. Seitdem darf Alkoholisches in Geschäften nicht mehr nach 22 Uhr verkauft werden. Bars und Lokale haben diese Beschränkung zwar nicht. Aber dafür gilt auch dort ein strenges Werbeverbot, für das es allerdings zwölf Monate Aufschub gab. Seit dieser Woche nun müssen alle Hinweise auf alkoholische Getränke an und in Läden und Lokalen, von Theken und Türen, Schaufenstern und Sonnenschirmen verschwinden. In der gesamten Türkei seien davon 250 000 Geschäfte betroffen, berichtet Hürriyet. In der Touristenhochburg Antalya mahnte die Vereinigung der Ladeninhaber ihre Mitglieder, die Regelung umzusetzen, andernfalls drohten herbe Strafen von umgerechnet 1800 bis 70 000 Euro.

"Ich kann das gar nicht glauben"

Die Warnungen sind aber noch nicht bis zu jedem Kiosk durchgedrungen. "Davon weiß ich nichts, ich kann das gar nicht glauben", sagt der Besitzer eines Lädchens in einer Gasse in Beyoğlu. "Wurde das wirklich beschlossen?", fragt zwei Straßen weiter ein anderer Kioskinhaber. Ein Dritter ist besser informiert. "Ich darf auch keine Bierkästen vor die Tür stellen." Der Mann findet es absurd, dass auf Flaschen weiter ein Firmenlogo zu sehen sein darf, nicht aber auf dem Kühlschrank mit Glastür, in dem das Bier steht. Regierungschef Recep Tayyip Erdoğan, ein strenggläubiger Muslim, hat seinen Landsleuten das Joghurt-Getränk Ayran als Alternative empfohlen. Gelegentliche Konsumenten des Nationalgetränks Rakı hat er indes als "Säufer" beschimpft und damit Empörung bei seinen Gegnern ausgelöst. Die Webseite von Efes Pilsen sieht nun aus, als hätte jemand Nebel darübergeblasen. Lesen kann man nur noch den Hinweis auf das umstrittene Gesetz Nummer 6487 und den Satz: "Aber wir erkennen uns, ohne uns zu sehen."

Efes Pilsen, größter Bierproduzent des Landes, hat Anfang April ein Werk in Westanatolien geschlossen, weil der Bierkonsum seit der Gesetzesnovelle um zwölf Prozent zurückging. Der Weinproduzent Selim Ellialtı beklagte sich, dass Erdoğan Alkohol gern im Zusammenhang mit Terror und Drogen nenne. "Diebstahl ist bei uns keine Sünde", schimpft auch ein Kioskbesitzer in Beyoğlu in Anspielung auf die Korruptionsvorwürfe gegen die islamisch-konservative Regierungspartei. "Aber Trinken soll Sünde sein?" Der Mann hofft, dass ein so widersprüchliches Werbeverbot keinen Bestand haben wird. "Wenn es aufgehoben wird", sagt er, "spendiere ich eine große Runde."

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SZ vom 12.06.2014
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