Weltnaturerbe in Gefahr:La Gomera in Flammen

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Die Feuer seien unter Kontrolle, hieß es noch in der vergangenen Woche. Löschflugzeuge, Hubschrauber und viele Einsatzkräfte wurden abgezogen. Eine fatale Fehleinschätzung: Die Waldbrände auf La Gomera sind mit voller Wucht neu entflammt - und zerstören die einzigartigen Lorbeerwälder der Kanareninsel.

Velten Arnold

Es war eines dieser Telefonate, die schlagartig alles verändern. Ángel Benito Fernández López, Direktor des Nationalparks Garajonay auf der Kanareninsel La Gomera, wollte sich am Freitagmittag gerade die ersten Berichte über Waldbrandschäden in dem Lorbeerwald der Insel Gomera ansehen, als das Telefon klingelte. Das bereits unter Kontrolle geglaubte Feuer war wieder ausgebrochen. Zunächst sah es nach einer Routineangelegenheit aus, mit der die Löschtrupps des Parks schnell fertig werden. Doch nach einer Stunde wütete der Waldbrand erneut. Verheerender als in den Tagen zuvor.

Waldbrände auf La Gomera
:Lodernde Gefahr für Mensch und Natur

Zwei Feuerwehrmänner haben den Kampf gegen die Flammen bereits mit dem Leben bezahlt. Tausende Einwohner und Urlauber auf La Gomera mussten vor den Waldbränden in Sicherheit gebracht werden. Doch kaum Schutz gibt es für die Natur vor den lodernden Feuern.

Bilder.

"Was hier mit dem Wald passiert, ist sehr, sehr traurig", sagt Ángel Fernández. "Für mich ist es so, als hätte ich einen engen Angehörigen verloren." Seit 1987 ist der 54-jährige Galicier Direktor des Nationalparks. Jetzt fallen Teile des einzigartigen Lorbeerwaldes den Flammen zum Opfer.

Ángel Fernández ist so etwas wie die Seele des märchenhaften kanarischen Lorbeerwaldes, in dem man sich im Dickicht der moosbewachsenen, eigentümlich in sich verschlungenen Bäume in ein vergangenes Erdzeitalter zurückversetzt fühlen kann. Viel Zeit und Mühe hat er dem Erhalt dieses Waldes gewidmet, der 1986 von der Unesco zum Weltnaturerbe erklärt wurde. Jetzt ist sein Lebenswerk in Gefahr.

"Ein verschwundener Teil der Geschichte unseres Planeten"

"Was hier verloren geht, ist Teil eines Relikts aus dem Tertiär", sagt Fernández. "Vor etwa 20 Millionen Jahren waren große Teile Europas mit einem solchen Wald bedeckt. Das wissen wir aufgrund von Fossilien, wie man sie zum Beispiel im Rheinbecken gefunden hat. Insofern ist dieser Wald ein verschwundener Teil der Geschichte unseres Planeten, den es in Eurasien so nur noch hier auf den Inseln gibt."

Insgesamt, so erzählt es der Parkdirektor, existieren nur noch 17.000 bis 18.000 Hektar dieses auch Laurisilva genannten Lorbeerwaldes, eines Mischwaldes aus immergrünen Laubbäumen wie der Myrica faya, der Persea indica, der Erica arborea, dem Laurus azorica, dem Ilex canariensis und etlichen anderen. "Nur noch 6000 Hektar dieses übrig gebliebenen Lorbeerwalds sind in gutem Zustand", erklärt Fernández, "deshalb ist jedes Stückchen, das verloren geht, ein unermesslicher Verlust."

350 Hektar Wald, knapp zehn Prozent des 3986 Hektar großen Nationalparks Garajonay, waren bereits in den zurückliegenden Wochen der ersten Feuerwalze zum Opfer gefallen. Betroffen waren vor allem noch junge Exemplare der Spezies Myrica faya und Erica arborea in der Südzone des Parks, in der der Laurisilva in den Fünfzigerjahren im Zuge der Forstpolitik des Diktators Franco einem künstlich angelegten Pinienwald hatte weichen müssen.

Um den Wald in seiner Ursprungsform wiederherzustellen, hatten Ángel Fernández und sein Team die eingeschleppten Nadelbäume im Laufe der vergangenen 25 Jahre nach und nach gefällt und den ursprünglichen Pflanzen geholfen, sich ihren Lebensraum zurückzuerobern. "Mein Team und ich haben einen großen Teil unseres Lebens und viel Leidenschaft und Mühe in dieses Projekt gesteckt. Jetzt mit ansehen zu müssen, dass alles verkohlt ist und wir wieder bei null anfangen müssen, ist natürlich bitter."

Seit Freitag nähert sich das Feuer nun dem Herzen des Parks. Betroffen sind diesmal alte Baumbestände. Von einem ökologischen Desaster spricht auch Guzmán Correa, Biologe und zurzeit Umweltgemeinderat in dem bei Touristen beliebten Valle Gran Rey.

Heftig lodern die Flammen auf La Gomera, bedrohen Häuser - und zerstören die einzigartigen Lorbeerwälder der Kanareninsel. (Foto: AP)

"Uns Gomeros ist der Monte Verde, wie wir den Laurisilva nennen, heilig. Unsere Vorfahren haben den Wald traditionell zur Entnahme von Holz für Möbel oder als Brennholz genutzt, aber sie haben ihn immer respektiert und nie übermäßig ausgebeutet. Ein frühes Beispiel für Nachhaltigkeit. Schon unsere Vorfahren wussten, dass der Wald für die Wasserversorgung der Insel von entscheidender Bedeutung ist, da die Bäume wie ein Schwamm das Wasser aus dem Passatwind zapfen."

"Deshalb brennt der Lorbeerwald normalerweise nicht so leicht", sagt Federico Grillo, Forstingenieur und Waldbrandexperte, der auf Gomera die Feuerbekämpfer des Nationalparks aus- und weiterbildet. "Doch in diesem Jahr sind die Bedingungen besonders extrem. Es hat nur ein Viertel so viel geregnet wie in normalen Jahren. Wenn dann noch eine Hitzewelle und Wind dazukommen, ist auch dieser Wald entflammbar."

Außer Kontrolle

Und jetzt steht er in Flammen. Nach dem erneuten Ausbruch des Feuers sind nach Auskunft des für die Sicherheit zuständigen Regionalministers Javier González Ortíz auf Gomera inzwischen 4125 Hektar Wald betroffen, 750 Hektar davon im Nationalpark. "Jetzt fallen auch alte Bäume den Flammen zum Opfer", sagt Parkdirektor Ángel Fernández, "aber noch ist fast ausschließlich die südliche Zone des Parks betroffen."

Doch das Feuer ist außer Kontrolle. Die Löschtrupps kämpfen mit aller Kraft dagegen, dass die Flammen auf breiter Front auf die nördliche und biologisch kostbarste Zone des Parks übergreifen. Am Sonntagabend appellierte Casimiro Curbelo, der Inselpräsident von La Gomera, im Fernsehen beinahe flehentlich an die nationale Regierung, sechs weitere Wasserlöschflugzeuge zu entsenden, um die Lage in den Griff zu bekommen. Am vergangenen Mittwoch war er noch inmitten verkohlter Landschaft aufgetreten und hatte das Feuer für "unter Kontrolle" erklärt.

Davon kann nicht die Rede sein. In der Nacht zum Montag erreichte das Feuer auch das Valle Gran Rey. Die Flammen übersprangen plötzlich die Hänge und rasten mit großer Geschwindigkeit talwärts durch das enge Barranco. Der komplette Ort wurde evakuiert, mehr als 3000 Anwohner und Touristen wurden per Megafon aufgefordert, sich umgehend in den Hafen von Vueltas zu begeben. Nach ersten Angaben der Einsatzkräfte kamen im oberen Teil des Tals 30 Häuser zu Schaden, Menschen wurden nicht verletzt.

Gravierende Fehleinschätzung

Völlig unklar ist bisher, warum der Waldbrand, der seit dem 4. August auf Gomera tobt, am vergangenen Mittwoch von Stufe 2 auf Stufe 1 zurückgenommen wurde, obwohl das Feuer noch nicht endgültig gelöscht und eine weitere Hitzewelle angekündigt war. In Folge der Rückstufung hatten die Löschflugzeuge, Hubschrauber und viele Einsatzkräfte die Insel wieder verlassen - eine gravierende Fehleinschätzung. Die ökosozialistische Gruppierung "Sí se puede" verlangt jetzt Aufklärung und Konsequenzen für die politisch Verantwortlichen.

Doch vorerst stehen die Löscharbeiten im Vordergrund. Wenn diese abgeschlossen sind, wird man auch die Auswirkungen auf den Lorbeerwald von La Gomera wirklich beurteilen können.

Den Parkdirektor Ángel Fernández treibt schon jetzt eine weitere Sorge um. "An einigen Stellen ist die Ascheschicht 25 bis 30 Zentimeter dick. Wenn es im Herbst heftig regnet, schwemmt das Wasser den Boden weg, dann verlieren wir auch noch den Boden und damit jede Hoffnung, dass der Wald sich jemals erholt." Aber noch ist er ein bisschen optimistisch. "Nach derzeitigem Stand ist der interessanteste und biologisch kostbarste Teil des Waldes noch intakt."

Und mit ihm hoffen nicht nur die Gomeros, dass die Löschkräfte das Feuer möglichst schnell unter Kontrolle bekommen, damit dieses einzigartige Weltnaturerbe erhalten bleibt.

© SZ vom 14.08.2012 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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