Weltkriegsbomben in Städten:Gefahr, die im Boden schlummert

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Tausend Mal mussten die bayerischen Sprengstoffexperten im vergangenen Jahr ausrücken. In Berlin wurden seit Kriegsende 11.000 Tonnen Kampfmittel unschädlich gemacht. Trotzdem ist unklar, wie groß das Risiko durch Blindgänger im Boden noch ist.

Johanna Bruckner

"Wie im Krieg" titelt eine Münchner Boulevardzeitung am Mittwochmorgen. Am Abend zuvor, um 21.54 Uhr, hat eine gewaltige Explosion den Stadtteil Schwabing erschüttert. Die Detonation der Fliegerbombe aus dem Zweiten Weltkrieg war noch Kilometer weiter zu hören, über der Feilitzstraße an der Münchner Freiheit stand sekundenlang ein orangeroter Feuerball.

250 Kilogramm schwer war die Fliegerbombe, die jahrzehntelang unter einer Münchner Kneipe lag. Für die Sprengung in einem eng bebauten Wohn- und Ausgehviertel wurde extra ein Sprengstoffexperte aus Berlin hinzugezogen. (Foto: dapd)

Während die vergangene Nacht bei älteren Bürgern - und manchem Redakteur - Assoziationen an vergangen geglaubte Schrecken geweckt hat, ist der Umgang mit den gefährlichen Kriegsrelikten für die Experten des Kampfmittelräumdienstes Routine. Sie müssen Tag für Tag die Folgen des Zweiten Weltkrieges abarbeiten. Doch obwohl seit mehr als sechs Jahrzehnten Munition und nicht explodierte Bomben gesichert, entschärft und vernichtet werden, ist bis heute nicht genau bekannt, wie groß die Gefahr ist, die noch im Boden schlummert.

Die Beseitigung von Kampfmitteln ist Ländersache, doch das bayerische Innenministerium kann keine konkreten Angaben machen. Im Freistaat gibt es drei Kampfmittelräumdienste: in München, Ingolstadt und Nürnberg. Etwa tausend Mal mussten die bayerischen Sprengstoffexperten dem Innenministerium zufolge im vergangenen Jahr ausrücken. Dabei wurden mehr als 60 Tonnen Bombenblindgänger und Munition aus dem Zweiten Weltkrieg gefunden und unschädlich gemacht. 700.000 Euro kostet das den Freistaat jährlich - der jüngste Fund in München dürfte die Kosten für das laufende Jahr in die Höhe treiben.

Vier bis acht Bomben mit mehr als 50 Kilogramm

Noch stärker als Bayern ist Berlin betroffen. Gegen Kriegsende war die damalige Hauptstadt ein bevorzugtes symbolisches wie strategisches Ziel der alliierten Streitkräfte. Jährlich werden hier 25 bis 40 Tonnen Kampfmittel sichergestellt und vernichtet, 11.000 Tonnen wurden seit Kriegsende unschädlich gemacht. Auch mit solch großen Bomben wie jüngst in München bekommen es die Berliner Sprengstoffexperten regelmäßig zu tun: Vier bis acht Bomben mit mehr als 50 Kilogramm müssen sie jedes Jahr entschärfen.

Besonders viele Bomben gingen zudem auf Oranienburg, 35 Kilometer nördlich von Berlin im heutigen Brandenburg gelegen, nieder. Dort befanden sich zahlreiche Industrieanlagen, darunter ein Flugzeugwerk. Das bekommen auch die heutigen Bewohner noch zu spüren. "Fast jeden Monat" würden hier explosive Überbleibsel aus dem Zweiten Weltkrieg gefunden, sagt ein Sprecher des Bundesministeriums für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung.

Wohl auch deshalb wurde im Fall der Schwabinger Fliegerbombe ein Spezialist aus Oranienburg hinzugezogen. Die gezielte Detonation in einem eng bebauten Wohn- und Ausgehviertel dürfte indes auch für ihn nicht alltäglich gewesen sein. Meist gelänge es, den Sprengkopf zu entfernen, so Petra Rohland, Sprecherin der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und Umwelt. "Dann kann die Bombe abtransportiert und auf einem Sprengplatz sicher zur Explosion gebracht werden."

Wegen des besonderen Gefährdungspotentials hat das Land Berlin in den 1980er Jahren begonnen, mögliche "Blindgänger-Verdachtspunkte" zu identifizieren und zu kartographieren. Zur Feststellung der Risikogebiete seien unter anderem Aufnahmen der Alliierten ausgewertet worden, die diese nach ihren Bombardements gemacht hätten, erläutert Rohland. 511 solcher Verdachtspunkte gibt es im Raum Berlin. Teilweise lasse sich sogar das Kampfmittel mit relativer Sicherheit bestimmen, da beispielsweise die Briten ganz bestimmte Bomben verwendet hätten.

3000 Blindgänger liegen nach Schätzungen der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und Umwelt noch immer im Berliner Boden. Doch wo genau die Sprengsätze vermutet werden, will Sprecherin Rohland nicht sagen: "Dazu äußern wir uns aus taktischen Gründen nicht. Das würde nur Ängste schüren, die nicht sein müssen."

Um Panik in der Bevölkerung zu vermeiden, bleiben die Karten zwar unter Verschluss. Doch wer in der Hauptstadt Bauprojekte umsetzen will, hat die Pflicht, sich über das Gefährdungspotential seines Baugrunds zu informieren. "Insbesondere bei Eingriffen in den Boden des Grundstücks (...) können akute Gefahrensituationen entstehen, denen angemessen zu begegnen ist", heißt es in einem Merkblatt der Senatsverwaltung. "Verfügungsberechtigte über Grundstücke (Eigentümer, Besitzer, Bauherren u.a.)" können deshalb vor Beginn ihres Bauvorhabens einen Antrag zur "Ermittlung und Bergung von Kampfmitteln" einreichen.

1400 Anfragen von Bauherren seien im vergangenen Jahr eingegangen, so Rohland. In 100 Fällen hätten sich konkrete Suchvorgänge angeschlossen. Die Senatsverwaltung wird jedoch nur auf Gesuch hin aktiv. "80 Prozent der Bautätigkeiten bekommen wir gar nicht mit", sagt Sprecherin Rohland. Das Risiko, dass doch einmal ein Blindgänger explodiert, hält sie jedoch für gering. "Bei Metallfunden sind die Berliner Bauarbeiter sensibilisiert."

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