„Mouse Mover“:Mäuschen spielen

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Hier bewegt ein echter Mensch eine Maus. (Foto: Yuri Arcurs peopleimages.com/IMAGO/Zoonar)

Eine US-Bank entlässt mehrere Mitarbeiter, weil sie aktive Arbeit am Computer lediglich vorgetäuscht haben sollen. Aber muss das moralisch überhaupt verwerflich sein?

Von Martin Zips

„Die Arbeit ist etwas Unnatürliches“, befand der französische Autor Anatole France (1844–1924) einmal, „die Faulheit allein ist göttlich.“ Eine heute noch häufig anzutreffende Einstellung, deretwegen Unternehmen bereits seit Jahrzehnten versuchen, mit unangekündigten Kontrollen am Arbeitsplatz, Stechuhren, durchsichtigen Glastüren oder riesigen Großraumbüros der grassierenden Faulheit irgendwie Herr zu werden. In Zeiten des Home-Office hilft Arbeitgebern hier auch der kleine Status-Kreis bei Microsoft-Teams, welcher immer nur dann grün leuchtet, wenn am anderen Ende der Leitung (hoffentlich) noch Leben herrscht. France übrigens war gar nicht faul. Er hat 1921 sogar einen Literaturnobelpreis erhalten.

Die US-Bank Wells Fargo hat gerade mehr als ein Dutzend Mitarbeiter entlassen, weil sie – laut der Nachrichtenagentur Bloomberg – Tastaturaktivitäten lediglich simuliert hätten. Es sei ihnen darum gegangen, „den Eindruck aktiver Arbeit“ zu erwecken. Wer dafür nicht eine Ratte oder ein Küken über seine Tastatur rasen lassen möchte, der verwendet heutzutage sogenannte Mouse Mover, welche dem Computer Mausbewegungen lediglich vortäuschen und optisch manchmal den elektrischen Schüttel-Kästchen ähneln, die den im Kinderwagen schreienden Babys die Anwesenheit ihrer Erzeuger zumindest vortäuschen.

Arbeitgeber haben digital ebenfalls hochgerüstet

Nun ist es von der anderen Seite des Atlantiks aus schwer zu beurteilen, ob die offenkundige Täuschung der gekündigten US-Bankmitarbeiter allein auf Faulheit zurückzuführen ist oder eine moralisch sogar zu rechtfertigende Reaktion auf bereits vorangegangene Maßnahmen der Arbeitgeberseite darstellt, also Folge einer weltweit zu beobachtenden, von gegenseitigem Argwohn und Misstrauen getriebenen digitalen Hochrüstung war.

Dank sogenannter Bossware dürfte es Unternehmen theoretisch ein Leichtes sein, immer wieder mal virtuell beim Personal vorbeizuschauen und sich in Mailpostfach oder Browserverlauf über dies und jenes zu informieren. Nicht immer dürften die Motive dabei derart rein sein, wie sie Krimiautor Cornell Woolrich einst in seiner Kurzgeschichte „It Had to Be Murder“ beschrieb. Hier war die Aufklärung einer schrecklichen Tat allein dem Voyeurismus eines beharrlich durchs Fenster schauenden Reporters zu verdanken (sehr sehenswert verfilmt von Alfred Hitchcock unter dem Titel „Das Fenster zum Hof“, 1954).

Das kontemplative Leben ist ein Zustand, den viele erstreben, der aber auch – da ist der Kommunismus nicht viel anders als der Kapitalismus – meist nur sehr wenigen tatsächlich zugestanden wird. Klar, da muss man sich wehren: Tom Sawyer pries das lästige Streichen eines Gartenzaunes so lange, bis endlich sein Freund übernahm. Aschenputtel rief die Tauben zu Hilfe, wenn sie wieder Erbsen und Linsen zu sortieren hatte. Heute, im digitalen Zeitalter, mag es der „Mouse Mover“ sein, der den Geplagten als Bildschirmschoner für die Seele dienen kann.

Und zumindest das beruhigt ja: Wer wirklich faul ist, der wird irgendwann sowieso mit Langeweile bestraft. Und die hat auf längere Zeit noch niemanden glücklich gemacht.

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