Urteil in Lübeck:Ex-Chef des Weißen Rings vom Exhibitionismus-Vorwurf freigesprochen

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Im Amtsgericht Lübeck ist das Urteil im Prozess gegen den Ex-Chef des Weißen Rings Lübeck gesprochen worden. (Foto: Daniel Bockwoldt/dpa)
  • Eine Klientin hatte ausgesagt, Detlef H. habe bei einem Beratungsgespräch in seinem Büro plötzlich neben ihr gestanden und seine Hose geöffnet.
  • Der Angeklagte hatte diesen Vorwurf vehement bestritten.
  • Die Staatsanwaltschaft, die eine Haftstrafe von drei Monaten auf Bewährung gefordert hatte, will nun prüfen, ob sie gegen das Urteil Berufung einlegen wird.

Das Amtsgericht Lübeck hat am Donnerstag den ehemaligen Leiter der Opferschutzorganisation Weißer Ring in Lübeck vom Vorwurf des Exhibitionismus freigesprochen. Es habe nicht mit der vom Gesetz geforderten Sicherheit nachgewiesen werden können, dass der heute 74-jährige Angeklagte Detlef H. sich tatsächlich im April 2016 bei einem Beratungsgespräch vor einer Klientin entblößt habe, sagte die Richterin in der Urteilsbegründung.

Eine heute 41 Jahre alten Frau hatte ausgesagt, Detlef H. habe bei dem Gespräch in seinem Büro plötzlich neben ihr gestanden und seine Hose geöffnet. Der Angeklagte hatte diesen Vorwurf vehement bestritten. Eine Psychologin hatte in einigen Punkten Zweifel an den Aussagen der Frau geäußert. Die Staatsanwaltschaft, die eine Haftstrafe von drei Monaten auf Bewährung gefordert hatte, will nun prüfen, ob sie gegen das Urteil Berufung einlegen wird.

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Nicht die ganze Dimension des mutmaßlichen Missbrauchs

Der Fall erschütterte den Weißen Ring im Frühjahr 2018 wie ein Erdbeben. Detlef H., bis 2017 Leiter der Filiale in Lübeck, wurde vorgeworfen, in dieser Funktion jahrelang Frauen missbraucht zu haben. Der pensionierte Polizist soll sie unsittlich berührt, mit Anzüglichkeiten beschämt und zur Prostitution animiert haben. Als Spiegel und Lübecker Nachrichten den Fall aufdeckten, war die Empörung groß. Die Spitze des Landesverbandes Schleswig-Holstein trat zurück. Der Weiße Ring, 400 Außenstellen, 3000 ehrenamtliche Helferinnen und Helfer, reagierte. Man führte das Sechs-Augen-Prinzip in der Betreuung ein oder gab dem Geschäftsführenden Bundesvorstand per Satzung die Möglichkeit, im Notfall Mitarbeiter zu suspendieren.

Der Prozess bildete allerdings nicht die ganze Dimension des mutmaßlichen Missbrauchs ab. Ursprünglich hatten 29 Frauen Detlef H. sexuelle Übergriffe vorgeworfen, doch nur ein Fall war zur Verhandlung zugelassen worden. Viele Anzeigen betrafen verjährte Fälle oder kamen aus formalen Gründen nicht vor Gericht. Drei von vier Anklagepunkten der Staatsanwaltschaft wies das Landgericht zurück. Übrig blieb nur der Vorwurf einer exhibitionistischen Handlung, den Detlef H., ein massiger Mann mit weißem Haarkranz, vor Gericht abstritt.

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