Weinstein und der Fall Evans:"Für ihn schien das ein ganz normaler Tag zu sein"

Dutzende Frauen werfen Harvey Weinstein inzwischen vor, sie sexuell belästigt zu haben. Bei seiner Verhaftung soll es vor allem um eine gehen: Lucia Evans.

Von Jürgen Schmieder, Los Angeles, und Christian Simon

Die Liste seiner mutmaßlichen Opfer ist lang. Inzwischen umfasst sie Dutzende Frauen. Frauen, die Harvey Weinstein sexuelle Belästigung oder sogar Vergewaltigung vorwerfen. Nun könnte es wirklich eng werden für den einst so mächtigen Hollywood-Produzenten: Gerade wurden die Ermittlungen gegen ihn in den USA auf Bundesebene ausgeweitet, am Freitagmorgen Ortszeit stellte er sich der New Yorker Polizei. Ausschlaggebend für diese Verhaftung waren aber nur zwei dieser Fälle.

Der eine Fall reicht in das Jahr 2004 zurück. Lucia Evans wirft Weinstein vor, sie damals zu Oralsex gezwungen zu haben. Die heute 36-Jährige hat ihre Version der Geschichte im vergangenen Oktober, als die ersten Vorwürfe gegen den Filmmogul laut wurden, dem Magazin The New Yorker erzählt. Sie schildert dort, wie der mächtige Produzent sie mit Rollenangeboten für Filme und Reality-Shows lockte, wie sie von einer Assistentin in das Miramax-Hauptquartier im New Yorker Stadtteil Tribeca geladen wurde, und wie sie sich plötzlich allein mit Weinstein in seinem Büro wiederfand.

Evans, die zu dieser Zeit noch Lucia Stoller hieß, hatte den Produzenten in einem New Yorker Club kennengelernt. Danach habe er sie nachts angerufen und sie wiederholt aufgefordert, sich mit ihm zu treffen. Evans lehnte mehrmals ab, sagte aber zu einem Casting mit einer weiblichen Agentin schließlich zu.

Die Frau war bei dem Casting dann doch nicht anwesend, und nach einem kurzen Gespräch über Skripte soll Weinstein Evans erst verbal erniedrigt und schließlich ihren Kopf gegen seinen Penis gedrückt haben. "Ich habe immer wieder gesagt: 'Ich will das nicht tun, stopp, bitte nicht'", so beschreibt Evans diesen Nachmittag: "Ich wollte mich wehren, doch dann habe ich aufgegeben." Weinstein habe danach so getan, als sei überhaupt nichts passiert: "Er zeigte keinerlei Emotion. Für ihn schien das ein ganz normaler Tag zu sein."

Noch heute habe sie Albträume, so Evans. Ihr Studium habe gelitten, ihre Mitbewohner fürchteten, sie wolle sich umbringen. Ihre Karriere als Schauspielerin, laut der Datenbank IMDB brachte sie es nur auf eine Low-Budget-Produktion und zwei Kurzfilme, gab sie bald auf, heute arbeitet sie im Marketing.

Bei der Verhaftung und auch bei einer möglichen Gerichtsverhandlung geht es aber nicht nur darum, ob Weinstein im Sommer 2004 die damalige Studentin Evans zum Oralsex gezwungen hat. Aus dem Umfeld der Staatsanwaltschaft in New York heißt es, dass eine weitere Klage gegen Weinstein vorbereitet wird, die Identität des zweiten mutmaßlichen Opfers ist noch nicht öffentlich bekannt.

Die Staatsanwaltschaft in Los Angeles bereitet zudem eine weitere Klage vor, Weinstein soll im Jahr 2013 eine italienische Schauspielerin in einem Hotel in Beverly Hills vergewaltigt haben. Die Ermittler seien zuversichtlich, so heißt es aus Polizeikreisen, dass Weinstein auch in diesem Fall strafrechtlich belangt werden könne, weil er noch nicht lange zurückliegt und das mutmaßliche Opfer sich sofort danach mehreren Menschen anvertraut habe, die nun als Zeugen auftreten könnten.

Andere Fälle können wegen der Verjährungsfrist nicht mehr vor Gericht gebracht werden. Unter den mutmaßlichen Opfern sind auch bekannte Schauspielerinnen wie Rose McGowan und Asia Argento. Beide zeigten sich am Freitag erfreut über die drohende Verhaftung: "Boom", twitterte Argento. McGowan erklärte, sie sei zufrieden, aber eher vorsichtig hoffnungsvoll, dass die Justiz in dem Fall funktioniere.

Sollte Weinstein im Fall Evans jedoch verurteilt werden, könnte es sein, dass er den Rest seines Lebens im Gefängnis verbringen muss.

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