Süddeutsche Zeitung

Weinstein-Prozess:"Auf wessen Seite bist du?"

  • Weil der wegen sexueller Übergriffe angeklagte Filmproduzent Harvey Weinstein sein Anwaltsteam neu besetzt hat, verzögert sich der Prozess.
  • Mittlerweile ist von einem Beginn am 3. Juni die Rede.

Von Johanna Bruckner, New York

Wenn das amerikanische Publikum in diesen Tagen über sexuelle Gewalt im Showbusiness diskutiert, geht es um die Musiker R. Kelly und Michael Jackson. Jener Mann, der Auslöser der Metoo-Debatte war, ist aus den Schlagzeilen verschwunden - und es ist einmal mehr kein gutes Schweigen, das sich um Harvey Weinstein breitgemacht hat. Denn es bedeutet: Die juristische Aufarbeitung seiner Vergehen kommt nicht voran.

Als der Filmproduzent im vergangenen Mai in New York festgenommen wurde, gingen die Fotos des einstigen Königs von Hollywood in Handschellen um die Welt. Das Verfahren vor dem State Supreme Court in Manhattan sollte zeigen: Männer, die ihre Machtposition ausnutzen und sich Frauen aufzwingen, kommen nicht mehr davon - selbst dann nicht, wenn sie so prominent sind wie Weinstein. Doch die Staatsanwaltschaft musste früh einen Anklagepunkt aufgeben, weil Zweifel an der Glaubwürdigkeit eines mutmaßlichen Opfers aufkamen; später kam heraus, dass ein leitender Ermittler versucht hatte, Zeuginnen zu beeinflussen und eine für Weinstein entlastende Aussage der Staatsanwaltschaft vorzuenthalten.

Für die jüngsten Verzögerungen ist allerdings der Angeklagte selbst verantwortlich: Im Januar trennte sich Weinstein von seinem bisherigen Anwalt Benjamin Brafman. Zum Zerwürfnis soll es gekommen sein, weil sich der Ex-Produzent ein ganzes "Dreamteam" an Verteidigern zusammencasten wollte. Offiziell war von einer "einvernehmlichen" Beendigung der Zusammenarbeit die Rede. Brafman, der sich selbst gerne vor Mikrofone und Kameras stellte, wiegelte gegenüber dem Magazin Esquire ab: "Harvey ist ein Typ, der sich selbst zu seinem Thunfischsalat eine zweite Meinung einholt."

Besonders wichtig soll es Weinstein gewesen sein, eine Frau in sein Verteidigerteam zu holen. Zwischenzeitlich hieß es, der 66-Jährige habe Pamela Mackey verpflichtet, die einst erfolgreich den Basketballstar Kobe Bryant gegen einen Vergewaltigungsvorwurf vertrat. Offenbar wurde man sich jedoch nicht über das Honorar einig. Angeführt wird Weinsteins Verteidigerteam nun von Jose Baez und Ronald Sullivan. Beide haben Erfahrung mit Fällen, die die US-Öffentlichkeit beschäftigen. Baez erkämpfte 2011 einen Freispruch für Casey Anthony. Die junge Mutter stand im Verdacht, ihre zweijährige Tochter getötet zu haben. Baez und Sullivan verteidigten 2017 außerdem gemeinsam den Footballspieler Aaron Hernandez, der wegen zweifachen Mordes angeklagt war. Auch dieses Verfahren endete mit einem Freispruch (Hernandez beging später Suizid).

Aus demselben Jahr ist eine weitere Zusammenarbeit der beiden Anwälte dokumentiert: Sie berieten die Schauspielerin Rose McGowan rechtlich in einem Drogendelikt. McGowan ist eine von mehr als 80 Frauen, die Weinstein sexuelle Übergriffe vorwerfen und eine der lautesten Stimmen der Metoo-Bewegung. Ein ethisches Dilemma sehen die beiden Anwälte trotz ihres früheren Mandats nicht: "Wir sind uns sicher, dass es keinen Interessenskonflikt gibt", zitierte die New York Times Sullivan. McGowan widersprach umgehend: Baez habe seinerzeit nichts für ihren Fall getan - "und jetzt weiß ich, warum".

Standpauke des Richters für die beiden Anwälte

Auswirkungen auf den laufenden Prozess hat die Neuverpflichtung jetzt schon. Um Weinsteins neuen Anwälten die Möglichkeit zu geben, sich einzuarbeiten, wurde der Prozessbeginn verschoben. Mittlerweile ist vom 3. Juni die Rede. In dieser Woche hätte der 66-Jährige zu einer Anhörung vor Gericht erscheinen sollen, doch auch dieser Termin wurde abgesagt. Baez und Sullivan mussten dem gut informierten Boulevardblatt Page Six zufolge dennoch vor dem Richter erscheinen. Allerdings nicht in Manhattan, sondern in Brooklyn, um sich eine Standpauke abzuholen. Dort wird derzeit einem weiteren Klienten des Duos der Prozess gemacht. Der zuständige Richter dort rüffelte Baez und Sullivan dafür, sehenden Auges in Terminschwierigkeiten gelaufen zu sein.

Für Weinsteins Verteidiger Ronald Sullivan sind erzürnte Richter derzeit nicht das einzige Problem. An der Harvard-Universität, wo Sullivan eine Jura-Professur innehat, schlägt sein Mandat hohe Wellen. In einer Online-Petition fordern Studierende, dass Sullivan als Dekan von Winthrop House, einer Art Studentenwohnheim, zurücktritt. Der renommierte Jurist war als erster Afroamerikaner überhaupt in der Harvard-Geschichte zum Leiter einer solchen Fakultät ernannt worden. Im vergangenen Monat protestierten Dutzende Studierende auf dem Campus gegen Sullivan - einige Demonstranten hatten sich in Anlehnung an die Metoo-Märsche den Mund zugeklebt.

Zuletzt waren an Gebäuden auf dem Unigelände Anti-Sullivan-Slogans entdeckt worden. "Unsere Wut ist Selbstverteidigung", hatten Unbekannte an die Mauer eines Gebäudes gesprüht. Und - an Sullivan gerichtet: "Auf wessen Seite bist du?"

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SZ vom 08.03.2019/olkl
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