Süddeutsche Zeitung

Weihnachtsbäume:O du hässlicher Weihnachtsbaum

Jahr für Jahr wird über schräge Fichten und Tannen gespottet. Warum ist in Dresden diesmal sogar extra ein lichtes Exemplar ausgesucht worden?

Von Christina Gutsmiedl

Wie er da so stand, unmittelbar vor der Frauenkirche, die prunkvoll über ganz Dresden strahlt, wirkte er besonders kahl. Die Äste verteilten sich nicht sonderlich gleichmäßig um den Stamm, und das Nadelkleid war eher luftig als prächtig. Die Dresdner Weihnachtsfichte auf dem Neumarkt ist nur eine von 14 Bäumen auf dem großen Platz, und doch beschäftigte sie viele Menschen.

Dresdner, Touristen, im Internet wurde der Baum gar als "Schandfichte" betitelt. Inzwischen haben die Organisatoren des Weihnachtsmarktes reagiert und den Baum aufgemöbelt, indem sie zusätzliche Äste an seinen Stamm schraubten. Dabei war die Fichte nicht aus Versehen ausgesucht worden. Sie sollte eine Botschaft überbringen. Sie symbolisiere den schlechten Zustand der sächsischen Wälder, hatte Cathleen Janotte vom Veranstalter "Advent auf dem Neumarkt" der Deutschen Presse-Agentur erklärt.

Ein Weihnachtsbaum als Zeichen der Krise also, passend zum Zeitgeist, doch zu viel Realität in der Vorweihnachtszeit gefällt offenbar nicht allen.

Gewachsen ist der Dresdner Skandalbaum in der Sächsischen Schweiz. Carolin Werthschütz vom Staatsbetrieb Sachsenforst sagt: "Es steht nicht gut um Sachsens Wälder. Borkenkäfer, schwere Waldbrände und extreme Trockenheit hinterlassen ihre Spuren." Erst im Sommer hatten Brände viel Waldfläche vernichtet. Werthschütz unterstützt deshalb die Entscheidung, mit der lichten Fichte ein Zeichen auf dem Weihnachtsmarkt zu setzen. "Es ist gut, wenn Menschen für die Probleme sensibilisiert werden."

Etwa 20 000 Weihnachtsbäume verkauft Sachsenforst pro Jahr. Die Blaufichten, Nordmanntannen oder Kiefern wachsen meist in Monokulturen auf extra dafür ausgewiesenen Flächen, etwa unter Hochspannungsleitungen. Kommunen oder Städte können auch größere Exemplare für öffentliche Plätze ordern. Werthschütz sagt, immer wieder seien Bäume darunter, die nicht dem gängigen Schönheitsideal entsprechen.

Nach Beschwerden in Neu-Ulm wurde ein Baum komplett ersetzt

Eine ähnliche Kontroverse wie in Dresden gab es in den vergangenen Tagen auch im Neu-Ulmer Stadtteil Pfuhl. Doch auch dort setzte sich der Mut zur Hässlichkeit nicht durch: Den Weihnachtsbaum aus dem städtischen Wald fanden einige Passanten derart unansehnlich, dass sie sich beschwerten. Daraufhin wechselten Mitarbeiter vom städtischen Baubetriebshof den Baum aus.

Beinahe wäre der Tanne im benachbarten Stadtteil Burlafingen das gleiche Schicksal widerfahren, erst die Intervention mehrerer lokaler Vereine rettete sie. Warum Weihnachtsbäume die Bevölkerung derart polarisieren, darüber kann Sandra Lützel von der Stadt Neu-Ulm nur spekulieren: "Weihnachtsbäume sind einfach schon immer ein sehr emotionales Thema."

Diskussionen um schiefe Weihnachtsbäume an öffentlichen Orten gibt es jedenfalls weltweit. Städte wie Rom und Montreal (jeweils 2017), Erfurt (2018), London (2019), New York, Wien (beide 2020) oder auch Frankfurt (2020 und 2021) hatten schon damit zu kämpfen.

Aber wäre es nicht an der Zeit auch das Schönheitsideal von Weihnachtsbäumen zu überdenken?

"Ich tue mich wirklich schwer damit, zu sagen, was genau schön im Falle von Weihnachtsbäumen eigentlich heißt", sagt zumindest Sandra Lützel von der Stadt Neu-Ulm. "Das ist einfach Geschmackssache." Den Baum in Pfuhl etwa habe sie gar nicht so hässlich gefunden. Zumal acht der 19 aufgestellten Bäume in Neu-Ulm von Bürgern gespendet worden waren, die Fichten und Tannen aus dem Garten loswerden wollten. Nachhaltigkeit statt Verschwendung also.

Ein Weihnachtsbaum aus tausend Fichten

Den Verfechtern des Disney-Weihnachtsbaumes sei noch gesagt: Viele Bäume sind heute mehr Schein als Sein. Oft wird, so wie nun in Dresden, nachgeholfen, um die Illusion des perfekten Baumes aufrechtzuerhalten. Dortmund schmückt sich sogar mit einem mehr als perfekten Exemplar. Der Kerzenschein trügt, denn die 45 Meter hohe Schönheit ist nicht natürlich gewachsen.

Ein Gerüst zeichnet die Form vor, mehr als tausend extra dafür gepflanzte Rotfichten aus dem Sauerland werden in einer einmonatigen Prozedur aufeinandergestapelt und anschließend geschmückt, verriet der Veranstalter des dortigen Weihnachtsmarkts der Westdeutschen Allgemeinen Zeitung.

Sowohl bei Sachsenforst als auch in Neu-Ulm macht man sich übrigens keine Sorgen, die minderwertigen Weihnachtsbäume loszuwerden. Immer mehr Menschen greifen offenbar auch auf ungewöhnliche Exemplare zurück. Und wenn sich ein Baum aus ästhetischen Gründen tatsächlich nicht verkauft, wird er zu Schmuckreisig oder Brennholz verarbeitet. Beim abmontierten Pfuhler Baum ist sich Sandra Lützel jedenfalls sicher: "Er wird seine Bestimmung noch finden."

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