Süddeutsche Zeitung

Norddeutschland:Lebenszeichen von am Deich vermisster Mutter

  • In Norddeutschland sucht die Polizei nach einer Frau, die sich mit ihrem Sohn abgesetzt haben soll.
  • Normalerweise sollte die Frau inzwischen in einem Gefängnis eine Haftstrafe absitzen.
  • Zwar gibt es mittlerweile ein Lebenszeichen, der Aufenthaltsort der Gesuchten ist jedoch weiter unbekannt.

Von Peter Burghardt, Hamburg

Ginge es nach dem Gesetz, dann säße die Frau seit ungefähr acht Tagen im Gefängnis. Am Montag vergangener Woche hätte die 41 Jahre alte Norddeutsche in der Justizvollzugsanstalt Lübeck vorstellig werden sollen - das Landgericht Hanau hatte sie am 20. Februar wegen Internetbetrugs in zwei Fällen zu einem Jahr und sechs Monaten Haft verurteilt. Um ihren achtjährigen Sohn sollte sich das Jugendamt kümmern. Stattdessen sind die beiden verschwunden. Aber sie sind sehr wahrscheinlich am Leben, auch wenn man erst ganz anderes vermutete.

Zunächst hatte ja die dramatische Meldung von einem möglichen Suizid die Runde gemacht. Es war der 13. Oktober, der Tag vor dem geplanten Haftantritt der Dithmarscherin. Es heißt, sie habe sich an jenem Sonntag am Deich bei Brunsbüttel, dort, wo die Elbe in die Nordsee mündet, mit ihrer 19-jährigen Tochter verabredet. Sie erschien aber nicht, sondern schickte eine Nachricht, in der sie der wartenden Tochter berichtete, sie werde sich und den Sohn umbringen. Obendrein soll sie Fußspuren sowie Schuhe und Kleidungsstücke hinterlassen haben.

Die Tochter verständigte um 21.25 Uhr die Polizei, sie erlitt dann einen Zusammenbruch und wurde in eine Klinik gebracht. Polizisten suchten das Gebiet aus der Luft, im Wasser und an Land ab - "Vermisstensuche nach Freitodankündigung", überschrieb die Polizeidirektion Itzehoe eine erste Meldung am folgenden Morgen und veröffentlichte ein Foto von Mutter und Sohn. Tags darauf, der Großeinsatz an der Elbe war vorbei, fragte sich die ermittelnde Heider Kriminalpolizei auch, "ob die vermisste Frau gezielt ihr Lebensumfeld verlassen wollte", und bat um Mithilfe.

Hinweise ließen nicht lange auf sich warten. Rasch erfuhren die Ermittler, dass die Verschwundene ihr Konto und das ihres Sohnes leer geräumt und ihr Auto verkauft hatte. Auch fehlten die Ausweispapiere. Außerdem versicherte ein Zeuge, dass sie ihm Teile ihres Hausrats veräußert und erwähnt habe, sie wolle sich absetzen. Und zwar zu Verwandten nach Spanien, große Koffer habe sie sich dafür besorgt.

Interpol wurde eingeschaltet

Die Version Suizid hatte sich damit weitgehend erledigt. Es sah immer mehr so aus, als handele es sich dabei um eine Finte. Die Kripo wandte sich an Interpol, um die spanischen Behörden in Kenntnis zu setzen. Sind die Gesuchten tatsächlich nach Spanien geflüchtet und wenn ja, wohin genau? "Die Ermittlungen bleiben spannend", schrieb Stefan Hinrichs von der Polizeidirektion Itzehoe. An diesem Dienstagmittag teilte Hinrichs dann mit: "Lebenszeichen der Vermissten."

Eine 18-jährige Nichte aus Hessen hatte der Kriminalpolizei Heide verraten, dass sie soeben ein neun Minuten langes Telefonat mit ihrer Tante geführt habe. Die Nummer sei unbekannt gewesen (das Handy der Tante ist abgeschaltet), sie habe sich jedenfalls bei ihr "über den Stand der polizeilichen Maßnahmen informiert" - und über ihren Aufenthaltsort geschwiegen. Dazu bekam die Kripo heraus, dass die 41-Jährige gar keine Angehörigen in Spanien habe. "Von daher", so Hinrichs, "ist der Aufenthaltsort wieder relativ offen."

Ab wann wird mit Haftbefehl gefahndet, wenn jemand seine Gefängnisstrafe nicht fristgerecht antritt? Die Justiz will es nicht sagen. Es wird auch zu prüfen sein, ob es sich um eine weitere Straftat handelt, dass die Frau ihren Sohn mitgenommen hat, dessen Vormundschaft beim Jugendamt liegt. Und die Kosten für die Suchaktion im Watt muss auch jemand bezahlen. Erst mal müssten die Frau und das Kind wieder auftauchen oder gefunden werden, ob in Schleswig-Holstein, Spanien oder sonstwo.

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SZ vom 23.10.2019/jael
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