Süddeutsche Zeitung

Wangerooge:Wenn man den Cent nicht mehr ehren kann

  • Die einzige Bank auf der Insel Wangerooge beliefert Geschäfte nicht länger mit Ein-, Zwei- und Fünf-Cent-Münzen - aus Kostengründen.
  • Trotzdem bleiben die Münzen dort weiterhin gültig. Sollten die Münzen ausgehen, müssen die Kunden aufrunden.

Von Sara Maria Behbehani

In der Inselbäckerei Kruse auf Wangerooge gibt es neuerdings eine Tupperdose, in die alle Kupfermünzen wandern. Warum auch nicht, schließlich wissen viele Deutsche nicht, wohin mit den Ein-, Zwei- und Fünf-Cent-Münzen. Nach Angaben der Bundesbank hat statistisch gesehen jeder Deutsche 175 Ein- und Zwei-Cent-Münzen irgendwo herumliegen. Meist als ungeliebte Gäste. In der Inselbäckerei Kruse aber ist das Kleinstgeld herzlich willkommen, und zwar jetzt erst recht, da das Kupfergeld dort eigentlich ausgedient hat.

Die Volksbank Jever, die einzige Bank auf der Insel, beliefert die Geschäfte nicht länger mit Ein-, Zwei- und Fünf-Cent-Münzen - aus Kostengründen. In einer Rolle seien immer 50 Münzen, sagt Bankvorstand Martin Schadewald. Transport, Lagerung, Lieferung, Echtheitsprüfung und das Rollen der Münzen würden weit mehr kosten, als eine Rolle Ein-Cent-Münzen überhaupt wert ist. Vor allem der Transport auf die Insel schlägt zu Buche. Abgeschafft werde das Kleingeld dort aber nicht, "das können wir rechtlich gar nicht". Gültig bleiben die Münzen also, aber es wird nicht mehr so leicht sein, welche zu organisieren.

Also hat der Inselbäcker Mike Kruse nun seine Tupperdose aufgestellt, und er bittet die Kunden, passend zu bezahlen - solange der Geldbeutel das noch hergibt. "Unsere Brötchen kosten nun mal 38 Cent und Körnerbrötchen 75 Cent", sagt er. Ohne Klimpergeld müsste er die Preise für seine Brötchen um zwei beziehungsweise fünf Cent erhöhen. Das kommt für ihn nicht infrage, und deshalb hortet er jetzt Münzen. Sollte das gesammelte Kupfergeld dennoch ausgehen, so würden sie dann selbst aufs Festland fahren und eigenhändig Münzen besorgen. "Nützt ja nichts", sagt Kruse am Telefon in norddeutschem Dialekt.

Warum nur die ganze Aufregung?

Aber warum die ganze Aufregung um die Kupfermünzen? Wenn man einmal ganz ehrlich ist: Eigentlich nerven sie doch nur. Sie blähen den Geldbeutel auf zu etwas Schwerem, das die Jackentasche nach unten sacken lässt und die Hosentasche ausbeult. Und man wird sie nie mehr los. Wer wühlt schon an der Supermarktkasse eine gefühlte Ewigkeit im Portemonnaie, während die Schlange hinter einem ungeduldig von einem Bein aufs andere tritt?

Das Kleingeld, es vermehrt sich unaufhaltsam, sind da doch all die 95- und 99-Cent-Produkte, die unserer deutschen Sparer-Seele vorgaukeln, sie kosteten keine zehn Euro, sondern nur neun. Und so stehen wir geduldig an der Kasse und warten darauf, dass uns die Kassierer unsere Münzen rausgeben. Später wandern sie in Sparschweine oder Riesengläser, wo sie fortan ihr trostloses Dasein fristen.

Warum der Inselbäcker glaubt, ohne Kupfergeld seine Preise anheben zu müssen, das kann Bankvorstand Schademann nicht nachvollziehen. "Da müsste man ja davon ausgehen, dass ein Bäcker seine Brötchen immer nur einzeln verkauft", sagt er. Und wenn es am Ende eines Einkaufs erforderlich sein sollte, zu runden, dann würde sich wohl niemand darüber aufregen, vier Euro zahlen zu müssen statt 3,97. Außerdem könne man ja mit der Karte bezahlen.

Das allerdings geht bei Bäcker Kruse nicht. "Wir weigern uns da gerade noch ein bisschen", sagt er. Wegen der Gebühren. "Wenn einer ein Brötchen für 38 Cent kauft und ich muss da eine Gebühr für bezahlen, dann ist das eine ganz komische Sache." Es sei etwas anderes, wenn es im Restaurant um Rechnungen im Wert von 70 Euro gehe. "Da kann ich das verstehen. Bei solchen Beträgen eine Gebühr zu zahlen, das macht den Kohl nicht fett." Der Bänker ist irritiert: "Das ist doch keine absolute Gebühr. Man zahlt 0,2 Prozent, wenn jemand mit EC-Karte zahlt, und 0,3 Prozent bei Kreditkarten."

Draufzahlen durch Aufrunden?

In Italien übrigens werden seit 2018 keine neuen Ein- und Zwei-Cent-Münzen mehr in Umlauf gebracht. In Deutschland ist das schwer vorstellbar, denn zumindest in der Theorie hängen die Deutschen an ihrem Bargeld. Sprüche wie "Kleinvieh macht auch Mist" oder "Wer den Pfennig nicht ehrt, ist des Talers nicht wert" gehören zum finanziellen Erziehungs-Einmaleins wie das gute, alte Sparbuch. Dabei müsse man mal überlegen, wie lange es den Taler schon nicht mehr gebe, sagt Schademann. Und auch der Pfennig sei seit 20 Jahren Geschichte. Vor 200 Jahren, da habe das Sprichwort gepasst. Centbeträge während eines Wangerooge-Urlaubs im Jahr 2019 seien aber ein bisschen was anderes.

Und was ist mit der Sorge, durchs Aufrunden draufzuzahlen? Das EHI Retail Institute hat ausgerechnet, dass die Einnahmen dadurch nur um 0,02 Prozent steigen würden.

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Quelle:
SZ vom 12.11.2019/moge
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