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Waldbrände in Kanada:Die Stunde null

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Die massiven Brände in Kanada breiten sich weiter aus, die Bekämpfung wird wohl noch Monate dauern. Wetterexperten sind sich sicher: Der von Menschen gemachte Klimawandel ist eine der Hauptursachen dafür.

Von Nicolas Richter

Die massiven Waldbrände im Westen Kanadas lassen sich auch weiterhin nicht unter Kontrolle bringen. Während sie bisher nur in der Provinz Alberta wüten, drohen sie nun auch die Nachbarprovinz Saskatchewan heimzusuchen. Zwar sind Hunderte Feuerwehrleute im Einsatz, doch Hitze, Wind und Trockenheit tragen dazu bei, dass die Brände kaum einzudämmen sind. Betroffen ist bisher eine Fläche von mehr als 2000 Quadratkilometern, von der große Teile schon verbrannt sind, während andere noch in Flammen stehen. Experten befürchten, dass die Brände noch über Monate andauern. "Dieses Feuer ist keineswegs eingedämmt", erklärte die Premierministerin der Provinz Alberta, Rachel Notley.

Hier lagern die drittgrößten Ölreserven der Welt

Besonders hart haben die Brände die inzwischen komplett evakuierte Stadt Fort McMurray getroffen. Sämtliche der knapp 90 000 Einwohner mussten in Sicherheit gebracht werden. Zwar soll kein einziger Bewohner durch die Brände gestorben sein, doch haben die Flammen ganze Stadtviertel verzehrt. Etwa 1600 Gebäude sollen verloren sein. Von etlichen Holzhäusern sind nur noch Asche und gemauerte Kamine übrig. Immerhin ist das Stadtzentrum bisher verschont geblieben.

Die Waldbrände im kanadischen Fort McMurray haben ganze Häuser aufgefressen, nur noch das Fundament steht.

Auch diese Schaukel haben die Flammen zerstört. Das Feuer war vergangene Woche südlich von Fort McMurray ausgebrochen, der Wind trieb es in die Stadt.

Hubschrauber der Regierung sowie der Ölindustrie waren ununterbrochen im Einsatz, um die Menschen in Sicherheit zu bringen.

Die gesamte Stadt ist mittlerweile evakuiert, doch noch immer wüten die Brände. Experten fürchten, dass sich das Feuer weiter und weiter ausbreitet.

Die Luft ist voller Rauch, eine Polizistin kontrolliert die Fahrzeuge entlang des Highway 63, der in die Stadt führt.

Die Truppen des kanadischen Militärs versorgen die Evakuierten mit Hilfsgütern.

Viele Spenden, viel Spielzeug, aber kein Zuhause mehr: Evakuierte Bewohner aus Fort McMurray in einem Notlager.

Die Flammen werden wohl noch wochenlang lodern. Am Montag aber machten die günstigen Winde und das kühle Wetter der Feuerwehr immerhin Hoffnung.

Fort McMurray wird von seinen Bewohnern auch "Fort Make Money" genannt, eine Anspielung darauf, dass man hier noch richtig Geld verdienen kann. Doch Anfang vergangener Woche kündigten Rauch und Asche den Waldbrand an, der sich unaufhaltsam auf die Stadt zuwälzte und nun vielen Menschen ihr Eigentum genommen hat. Die Stadt im Norden der Provinz Alberta ist - oder war - überwiegend von Wald umgeben. In der Region finden sich große Mengen Teersand, aus dem Rohöl gewonnen wird. Insgesamt sollen in der Region die drittgrößten Ölreserven der Welt lagern. Dies hat gerade in den vergangenen Jahren zu einem wirtschaftlichen Boom geführt, und die Aussicht auf ein sicheres Einkommen hat viele neue Bewohner angezogen. Während die Bevölkerungszahl im Jahr 2000 noch bei knapp 40 000 lag, sind es nun mehr als doppelt so viele.

Manche Fachleute sehen einen Zusammenhang zwischen industriellen Aktivitäten, wachsender Bevölkerung und Waldbränden. Die weit versprengten Behausungen und deren unmittelbare Nähe zur Natur erhöhten die Wahrscheinlichkeit von Bränden, erklärte Professor Martin Wooster vom Londoner King's College. "Je mehr Menschen, desto wahrscheinlicher ist es, dass sich etwas entzündet."

Kanadische Experten warnen seit Jahren, dass die Feuergefahr wächst, je mehr der Mensch in die nördlichen Wälder Kanadas vordringt. Ironischerweise wird die Gefahr großer Brände sogar erhöht, wenn man Feuer verhindert. Denn gelegentliche Brände sind von der Natur vorgesehen. "Es ist wirtschaftlich und praktisch unmöglich, Feuer in einem Wald zu verhindern. Das Ökosystem Wald ist darauf angelegt, hin und wieder zu brennen: Wälder erneuern sich durch Brände", sagt der kanadische Umweltexperte Brian Stocks. Wenn Ölkonzerne große Anlagen mitten in den Wald bauten und jeden kleinen Brand verhinderten, habe dies unter Umständen den gegenteiligen Effekt: Es sammele sich über Jahre totes Holz an, das dann einen Waldbrand noch beschleunige.

Wetterexperten aber sehen die extremen Waldbrände im Westen Kanadas vor allem als eine lokale Folge globaler Entwicklungen: Eigentliche Ursache sei das Klimaphänomen El Niño, meinen sie, das weltweit für extremes Wetter verantwortlich ist; ferner die andauernde Erderwärmung, die der Mensch selbst verursacht, indem er Öl und Kohle verbrennt. Der Westen Kanadas erlebt tatsächlich eine Zeit ungewöhnlicher Trockenheit. Bereits im vergangenen Jahr litten die Landwirte unter Wassermangel, und auch im vergangenen Winter besserte sich die Lage nicht. "Wir hatten einen unglaublich trockenen Winter, die Schneedecke war zu dünn", sagte die Professorin Judith Kulig von der University of Lethbridge in der Provinz Alberta der BBC. Die Wetterbedingungen hätten einen "perfekten Sturm" gebildet, der nun zu den extremen Waldbränden geführt habe. "In diesem Jahr hat die Waldbrandsaison bereits am 1. März angefangen, im vergangenen Jahr war es noch am 15. März. Das sind sehr bedeutende Änderungen: Früher hat die Waldbrandsaison im Mai begonnen, jetzt eben schon im März."

Der Westen des Landes erlebt eine Zeit ungewöhnlicher Trockenheit

In Kanada liegen die Temperaturen in den ersten Monaten dieses Jahres bereits um ein Grad über dem Durchschnitt. Bereits im Januar warnte Mike Flannigan von der University of Alberta, steigende Temperaturen dürften zu einem starken Anstieg der Waldbrandgefahr führen. Flannigan macht dafür den menschgemachten Klimawandel verantwortlich.

Östlich der Provinz Alberta, in Saskatchewan, macht man sich nun auf das Schlimmste gefasst. Die gute Nachricht lautete zunächst, dass die beiden Großbrände um Fort McMurray noch nicht die Grenze zur Nachbarprovinz überschritten hätten. Während des Wochenendes sollen sie sich nicht signifikant bewegt haben. Sie sind noch immer ein Dutzend Kilometer von der Grenze entfernt und müssten weitere 60 Kilometer zurücklegen, bis sie erste Wohngebiete erfassen würden.

Die größte Sorge gilt also vorerst weniger den Flammen als vielmehr dem Rauch, der sich von Westen kommend über die Provinz gelegt hat. Die Behörden haben in den vergangenen Tagen mehrmals vor der belasteten Luft und vor schlechter Sicht gewarnt, vor allem die Bewohner im Nordwesten der Provinz. Bilder aus dem All zeigen, dass sich der Rauch der Brände in Alberta bereits über weite Teile Nordamerikas verbreitet hat und im Osten sogar den Atlantischen Ozean erreicht.

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Quelle:
SZ vom 10.05.2016
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