Waldbrände in Griechenland:Das Feuer frisst sich nach Athen

Nahe Athen müssen 10.000 Bewohner flüchten, die Feuerwehren sind überfordert und das Land ist schockiert, wie wenig aus dem Großfeuer 2007 gelernt wurde.

Kai Strittmatter

Fast ist man versucht, sich die Augen zu reiben. Eine Feuerwalze, die Wälder und Parks in Asche verwandelt, die Häuser zu lodernden Gerippen macht, die auf die Stadt zurollt. Hat man dies nicht schon alles einmal gesehen?

Waldbrände in Griechenland: Mit Zweigen gegen Flammen: Seit Jahren reklamieren die Feuerwehren ihre marode Ausstattung.

Mit Zweigen gegen Flammen: Seit Jahren reklamieren die Feuerwehren ihre marode Ausstattung.

(Foto: Foto: dpa)

Die schreienden, erschöpften, rußgeschwärzten Frauen und Männer, die sich in ihrer Verzweiflung hier mit Eimern und Gartenschläuchen den meterhohen Flammen entgegenstellen, dort mit dicken Tüchern auf sie einschlagen. Der Hilferuf jenes Mönches, den die Flammen in seinem Kloster eingeschlossen haben, und der nun per Telefon im Fernsehen live um Hilfe ruft: "Wir sind gefangen." Hat man da nicht schon einmal mitgelitten?

Der Zorn der Fliehenden, die den Kameras entgegenrufen: "Nicht ein Löschfahrzeug haben wir zu Gesicht bekommen." Hat man das nicht schon einmal gehört? Diesen Ausruf vor allem, der jetzt wieder und wieder gespielt wird in den Nachrichten: "In was für einem Land leben wir eigentlich?"

Griechenland brennt. Wieder. Nein, eine solche Katastrophe wie 2007, als fast 70 Menschen ums Leben kamen, als die Flammen die Fliehenden in ihren Autos einholten und sie verkohlten zur Unkenntlichkeit, so eine Katastrophe ist das bislang nicht. Für den Menschen wenigstens nicht: Bis Sonntagabend gab es keine Todesopfer zu beklagen. Aber diesmal attackieren die Feuer Athen, die Hauptstadt. Und wieder ging alles rasend schnell.

Am Freitagabend sollen die Brände entstanden sein, nahe des Ortes Marathon, gut 40 Kilometer nordöstlich von Athen. War es Brandstiftung? Vielleicht. Hinzu kam, dass die Behörden die Brände offenbar unterschätzten. Mehr als hundert Feuer sind am Wochenende ausgebrochen. Schon am Samstag rief die Regierung den Notstand aus.

Am Sonntag befahl sie den 10.000 Einwohnern des Athener Vorortes Agios Stefanos dann die Evakuierung ihrer Häuser. Bis zu dem Zeitpunkt waren 12.000 Hektar Wald verbrannt, eine Landschaft von großer Schönheit war zur Aschewüste geworden. ""Es ist eine Tragödie", sagte Giannis, Sgouros, der Präfekt von Athen: "Eines der schönsten Waldgebiete des Landes ist zerstört."

Sozialistenchef George Papandreo sprach von einer "nie dagewesenen Umweltkatastrophe". 600 Feuerwehrleute und 340 Soldaten wurden von Löschflugzeugen und Hubschraubern unterstützt, aber sie hatten zunächst keine Chance gegen die sturmartigen Böen, die die Flammen immer wieder anfachten.

Der konservative Premierminister Kostas Karamanlis flog am Sonntag per Hubschrauber über die Brände, hernach rief er die Bürger auf, "Ruhe zu bewahren". Ein frommer Wunsch: Er darf sich auf einigen Krach gefasst machen.

Ein Oppositioneller fasste in Worte, was so viele dachten: "Haben die denn gar nichts gelernt von der Katastrophe 2007?" Die kurze Antwort: Leider nicht. Das Inferno vor zwei Jahren hatte das Land erschüttert. Von einem Weckruf sprachen damals viele, von einer Chance, all das anzupacken, was verrottet ist in Griechenland: die zerstörerische Vetternwirtschaft, die grassierende Ignoranz, Rechtlosigkeit und Kurzsichtigkeit, das Versagen der politischen Klasse.

Und was geschah? Es wurden Bäume gepflanzt im versengten Olympia, es wurden Wassertanks auf manchen Hügeln installiert, es wurden 14 Feuerwehrleute zur Schulung nach Kanada geschickt. Das System aber blieb das alte.

Chaos bei der Feuerwehr

Und so gibt es bis heute nicht das so dringend notwendige Waldkataster, so errichten bis heute vor allem in Stadtnähe Spekulanten ihre Bauten auf verbranntem Waldgebiet und so entzünden sich bis heute wilde Müllkippen auf freiem Gelände.

Erst im Juni geschah das auf dem Hymettusberg im Südosten von Athen - der große Brand dort hätte ein Warnschuss sein können für die Hauptstadt, stattdessen offenbarte der Streit, der dem Feuer folgte, den traurigen Stand der Dinge: Kyriakos Mitsotakis, Vorsitzender der Umweltkommission im Parlament, stellte fest, das staatliche Forstamt liege "praktisch in Ruinen" und die Gewerkschaft der Feuerwehrleute teilte mit, noch immer seien 40 Prozent aller Planstellen aus Geldnot unbesetzt, für jedes dritte Feuerwehrauto könne man keine Garantie abgeben, ob das Ding noch funktioniere: zu alt, zu schlecht gewartet.

Viele seien "rollende Särge", so ein Gewerkschafter. Als die griechische Feuerwehrakademie im Dezember 2008 stolz verkündete, die Aufnahme des Themas "Waldbrand" in den Lehrplan habe "Priorität", bald wolle man das angehen, da wussten viele Griechen nicht, ob sie dem guten Willen applaudieren oder vor Schreck die Hände überm Kopf zusammenschlagen sollten: Was, wird das nicht schon längst gelehrt?

Beim griechischen World Wide Fund For Nature, WWF, wo man seit Jahren das Thema Waldbrand studiert, ist der Frust groß ob der Entwicklung der letzten zwei Jahre. Da sind die Bauern, die die vom Feuer vernichteten Wälder nun als Acker nutzen, da sind die Küstengemeinden, die klammheimlich ehemalige Waldgebiete als Tourismuszonen ausweisen, und da ist eine Regierung, die jährlich 400 Millionen Euro fürs Feuerlöschen ausgibt, aber nur 16 Millionen für die Prävention. "Das ist haarsträubend", sagte WWF-Chef Konstantinos Liarikos dem WDR. Prävention sieht man halt nicht.

In Griechenland gehen die Ferien zu Ende. Für Sonntagabend hatte man eine große Rückreisewelle erwartet - nun rief die Polizei alle Athener auf, noch länger weg zu bleiben. Das Innenministerium gab allen Beamten einen zusätzlichen Tag frei.

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