Griechenland nach den Waldbränden:"Aus der Asche schreien die Toten"

Griechenland nach den Waldbränden: Asche und Trümmer soweit der Blick reicht: Das ist von den grünen Hügeln des Küstenortes Mati geblieben.

Asche und Trümmer soweit der Blick reicht: Das ist von den grünen Hügeln des Küstenortes Mati geblieben.

(Foto: Savvas Karmaniolas/AFP)
  • Nach Angaben der Feuerwehr haben die Waldbrände in Griechenland bislang 92 Menschen das Leben gekostet.
  • Katastrophenforscher der Universität Leuven in Belgien sprechen vom "tödlichsten Großfeuer" in Europa seit mehr als 100 Jahren.
  • Rekordverdächtig war in Griechenland wohl auch das staatliche Organversagen, das nun ein Fall für die Staatsanwaltschaft ist.

Von Christiane Schlötzer, Athen

Jetzt ein Funken, und das Feuer würde wieder springen, von Baum zu Baum, mit dem wilden, heißen Wind. Genug Nahrung fände es immer noch. Struppiges Geäst liegt am Straßenrand, alle paar Hundert Meter, neben Mülltonnen, aus denen die Tüten quellen. Der Katastrophenschutz hat gerade erneut "Waldbrandgefahr der Kategorie vier" für Athen und Umgebung gemeldet. Vier von fünf.

Aber wenn das Feuer nach Mati wiederkäme, um sich den Rest des Küstenstädtchens zu holen, fände es keine Opfer mehr. Weil Mati jetzt eine Geisterstadt ist. Mit Hunderten schwarzen Höhlenhäusern, verrußten Terrassen, geschmolzenen Jalousien, die Gärten Haufen von Asche. Zwischen den Ruinen fährt das Militär in Flecktarn-Jeeps herum, als wäre die "Silberküste", wie sie die Strände hier nennen, Kriegsgebiet, gerade mal eine Autostunde vom Athener Zentrum entfernt. Die Polizei ist auch unterwegs - wegen der Plünderer.

Nach Angaben der Feuerwehr vom Mittwoch haben die Waldbrände bislang 92 Menschen das Leben gekostet. 36 Verletzte werden noch behandelt. Die meisten Toten an der Silberküste gab es in Mati, an einem hochsommerlichen Montagabend, am 23. Juli. Katastrophenforscher der Universität Leuven in Belgien sprechen vom "tödlichsten Großfeuer" in Europa seit mehr als 100 Jahren. Rekordverdächtig war in Griechenland wohl auch das staatliche Organversagen, das nun ein Fall für die Staatsanwaltschaft ist. Die Justiz will zum Beispiel wissen, warum ein Feuerwehrmann sagte, er habe sich am Abend des Verhängnisses von seinen Vorgesetzten "alleingelassen gefühlt".

Ermittlungsergebnisse gibt es zwar noch nicht, aber was Augenzeugen berichtet haben, ist erschreckend genug: Strom und Wasserpumpen, auch an Hydranten, fielen in Mati schon nach Minuten aus, die Feuerwehr konnte nicht mit den Helikopter-Piloten kommunizieren, die Verkehrspolizei soll Menschen in Richtung Feuer geschickt haben. Katastrophenalarm gab es nicht, ein geplantes SMS-Warnsystem war nicht in Betrieb. Aber es gibt noch mehr, was viele Menschen wütend macht.

"Da war niemand da, der uns holte, warum?"

Mati hatte eine Strandtaverne, die jeder kannte, die Tische stehen noch auf der Terrasse. An einer Mauer neben dem verwaisten Lokal hängt ein handgeschriebenes Plakat, schwarze Schrift auf weißem Stoff: "Keine Entschuldigung, keine Scham, aus der Asche schreien die Toten". Es waren Äußerungen von Regierungspolitikern, die keine Fehler eingestehen wollten, die stattdessen die Schuld noch bei den Opfern suchten - das hat viele empört. Da redete Verteidigungsminister Panos Kammenos von den "Schwarzbauten" in Mati, und Premierminister Alexis Tsipras sagte, dass es seiner Regierung "in den vergangenen drei Jahren leider nicht gelungen sei, diesen Missstand abzuschaffen".

Es gibt in Mati viele Häuser ohne Genehmigung, das weiß jeder, offiziell ist ein Teil des Gebiets immer noch "Wald", wie der hohe Berg, von dem das Feuer sprang. Schon seit den 1960er-Jahren wurde hier gebaut, planlos, erst die Häuser, dann die Straßen. Die sind eng, verwirrend verwinkelt. Und kein Schild zeigt den Weg über schmale Wege zum Meer. Aber das erklärt das Ausmaß der Katastrophe auch nicht allein.

Thanasis Diamantopoulos ist ein guter Schwimmer, das hat ihn gerettet. Am 23. Juli kam der Politikprofessor aus Athen nach Mati, ins Haus seines Cousins. "Es war so heiß im Haus, ich dachte, die Klimaanlage ist ausgefallen." Da sah er den Rauch vor den Fenstern, sein Auto vor der Tür stand in Flammen. Der 66-Jährige lief zum Meer, bei der Taverne ging er ins Wasser. "Wer am Strand blieb, den hat die Hitzewelle erfasst, der ist verbrannt." Das war gegen 18.30 Uhr. Etwa vier Stunden blieb er im Meer, klammerte sich mit einer Frau und deren zwei Söhnen, neun und sechs Jahre alt, an einen Felsen. "Die Frau hat gezittert, mehr als die Kinder." Diamantopoulos erzählt das in einem Athener Café, bei einem Glas Wasser. "Ich frage mich bis heute", sagt er, "warum es so lange dauerte, bis die Küstenwache Schiffe schickte." Als er spät in der Nacht wieder am Strand stand, wie so viele andere, ohne Kleider, ohne Handy, "da war niemand da, der uns holte, warum?" Es gibt noch so viele Fragen.

Unweit der Taverne wird die Küste steil. Auf der Kante steht ein Haus, Säulen um die Veranda, dahinter ist alles weggesprengt vom Feuer. Neben der Villa hat man 26 junge Leute gefunden, sie hatten sich im Tod aneinandergeklammert. Sie waren in den Garten geflüchtet und fanden keine Zeit mehr, die schmale Treppe über den Steilhang zum Ufer zu finden.

Ein Feuerwehrmann sagt: "Meine Stiefel sind geschmolzen"

"Das Feuer lief schneller als mein Auto", sagt Evangelos Bournous, der Bürgermeister der Hafenstadt Rafina, die neben Mati liegt. Bournous raste ein Stück neben dem Feuer her, da wusste er, diese Gewalt ist nicht zu stoppen. Nun sitzt er in seinem Büro im Rathaus, ein kleiner Mann mit müden Augen. Gerade war er wieder bei einer Beerdigung. "Leider habe ich nicht genug Zeit für die Toten, ich muss mich um die Lebenden kümmern." Der Bürgermeister war der Erste, der an jenem Abend im Sender Skai von Todesopfern sprach. Dafür wurde er von Regierungspolitikern gerügt und der Sender der Schwarzmalerei bezichtigt - als dürfe es so eine Katastrophe einfach nicht geben.

Bournous ist einer, der sich nicht leicht beugt, er sagt: "Leider hatte ich nicht die Verantwortung." Eine griechische Vorschrift sagt, wenn zwei Gemeinden von einer Evakuierung betroffen wären, hier Rafina und Mati, das zur Gemeinde Marathon gehört, muss die Präfektur auf Hinweis der Feuerwehr diese anordnen. Aber die Order kam nie. Rafina hat eine eigene kleine Feuerwehr mit fünf Wagen, die soll nur der staatlichen "assistieren". Doch die war seit dem Morgen bei einem Brand in Kineta, auf der anderen Seite von Athen, im Einsatz. Da wurde evakuiert. "Die Finanzkrise hatte auch Auswirkungen auf die Ausstattung der Feuerwehr", sagt Bournous. Das erzählen auch Feuerwehrleute. Einer sagt: "Meine Stiefel sind geschmolzen."

Bürgermeister Bournous hat nun auch mit der Katastrophe nach der Katastrophe zu tun. Er macht sich Sorgen wegen des Gifts aus Batterien, Öltanks, den verbrannten Autos. "In vielen Häusern gab es noch Elenit", ein längst verbotener asbesthaltiger griechischer Baustoff. Für die riesigen Bauschuttmengen braucht man spezielle Deponien. Die Menschen sollten Masken tragen, wenn sie die Asche zusammenkehren, warnen auch Umweltingenieure.

Stiftungen der griechischen Großreeder haben Millionen für den Wiederaufbau zugesagt. Ob das reichen wird? Bournous weiß es nicht, er sagt: "Das Ganze ist eine große Tragödie, die Trauer wird lange über uns hängen."

Vor dem Rathaus haben die "Médecins du Monde" einen Container aufgebaut. Ihre Sozialarbeiterin Antonia Kasari, 30 Jahre alt, hat so viel Leid an einem Ort noch nicht gesehen. Sie sagt: "Wir gehen zu den Leuten, die nach Mati zurückkehren." Sie finden verwirrte ältere Menschen, die nicht mehr wissen, welche Medizin sie nehmen müssen, "ihre Rezepte sind verbrannt". Oder Leute, die psychologische Hilfe nötig hätten, "es aber erniedrigend finden, darum zu bitten, weil sie sich nie vorgestellt haben, so etwas zu brauchen".

Die Regierung hat die Wiederbeschaffung verlorener Papiere erleichtert

Freiwillige verteilen Essen, Wasser, Kleider, in einer Sporthalle. Jetzt funktioniert alles. Sogar Flüchtlinge brachten Plastiktüten voller Flipflops, Zahnbürsten. Männer in orangen Westen mit der Aufschrift "Australian Aid" sind in Mati unterwegs. Einer der Australier sagt: "Das Feuer hat willkürlich zugeschlagen, wie der Wind." Der Mann steht vor einem unversehrten Haus, aber daneben ist ein schwarzes Loch.

Für Rafina gab es einen Evakuierungsplan. Der hätte aber nur etwas genützt, "wenn man 90 Minuten Zeit gehabt hätte", sagt der Bürgermeister. Die Zeit gab es nicht. Das Haus des Bürgermeisters ist auch verbrannt, seine Frau rettete sich ins Meer, mit Verbrennungen am Oberkörper.

Die Regierung hat die Wiederbeschaffung verlorener Papiere erleichtert. "Das ist das einzig Gute, was sie getan hat", sagt Diamantopoulos, der Langstreckenschwimmer . "Ich hatte das Glück", sagt er, "ich habe keine Toten gesehen." Sein Cousin konnte nicht so gut schwimmen, trieb weit ab. Ein Schiff rettete ihn in der Nacht, "er hatte ein Mädchen in seinen Armen".

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