Wald- und Torfbrände in Russland:Der Geruch der Katastrophe

Moskau ist eingeschlossen von einem Ring aus Feuer. Immer näher rücken die Brände, und ihr Rauch zieht bis in die U-Bahn-Schächte.

Frank Nienhuysen

Kupawna - Wenigstens die russische Flagge ist verschont geblieben. Stolz und unversehrt flattert sie an der hölzernen Fassade des blassgelben Hauses, angetrieben vom Wind, der sich mit der Hitze zu einer unheiligen Allianz verbündet hat. Das Haus nebenan ist abgebrannt. Ein verrußter Kinderwagen liegt auf dem Boden, daneben krümmen sich Reste des Dachs auf der verkokelten Erde, nur ein gemauerter Kamin ragt auf der Mitte des Grundstücks in die Höhe. Einsam steht er da, wie ein vergessener Obelisk aus alter Zeit. Der Rest ist Schutt und Asche.

RUSSIA-HEATWAVE-FIRE

Die seit Tagen andauernden Wald- und Torfbrände rund um Moskau haben die Stadt in dichte Rauchschwaden gehüllt. Touristen auf dem Roten Platz tragen Mundschutz - und die berühmten Zwiebeltürme verschwinden fast im Smog.

(Foto: AFP)

In ganz Moskau ist der Schrecken der Feuersbrunst bereits zu riechen, hier in Kupawna ist er zu sehen. Die Katastrophe schleicht sich an die Hauptstadt heran, umfasst sie beinahe wie ein äußerer Feuerring - Schatura, Luchowitzkij, Rjasan. Im Südosten der Stadt brannte bereits ein Nachschubzentrum der Marine, weshalb Präsident Dmitrij Medwedjew am Mittwoch einige Offiziere entließ. Auch das Gebiet von Wladimir wird von den Flammen heimgesucht, es ist Teil des historischen Goldenen Rings altrussischer Städte. Und Kupawna. Eine kleine Holzsiedlung mitten im Wald, und doch nur 20 Kilometer entfernt vom äußeren Moskauer Stadtgürtel. Kupawna gehört zu den vielen Orten um Moskau, die die Hauptstadt allmählich ausräuchern. Bis in die Tiefen der Metro dringt der beißende Geruch. "Stärker und stärker wurde der Rauch, er wurde sogar warm vom Feuer des Brandes", schrieb Leo Tolstoi in "Krieg und Frieden". Damals zündeten die Moskauer Bürger auf Befehl ihre eigenen Häuser an, um Napoleon aus der Stadt zu treiben. Diesmal zieht das Feuer von selber heran. In Kupawna begann es mit dem Wald.

Eine Woche ist es her, dass die ersten Bäume sich entzündeten. Danach brannte auch der Torf. Roman Senzow vermutet, dass sich der trockene Torf durch Glas entzündet hat. Durch Sonnenlicht, das sich vielleicht in einer Scherbe brach. Oder durch eine Zigarette. Oder durch ein Grillfeuer, das nicht ordentlich gelöscht wurde. "Die Menschen sind ja manchmal einfach verantwortungslos", sagt er. Senzow ist der stellvertretende Bürgermeister der Gemeinde Elektrougly, aber jetzt läuft er in Camouflage-Uniform herum. Das wirkt zupackend, und die Bürger von Kupawna machen gerne mit. Bis zu 500 Hektar sind bei den Waldbränden rund um Kupawna bereits vernichtet worden, und Senzow sagt, "wenn nicht so viele Menschen mitgeholfen hätten, gäbe es dieses Dorf gar nicht mehr".

Jurij Pankratow ist einer dieser Helfer, und weil er bei fast 40 Grad seinen Oberkörper von seinem Shirt befreit hat, ist der weiße Verband am linken Arm deutlich zu sehen. Er ist so etwas wie seine persönliche Tapferkeitsmedaille im Kampf gegen die Flammenhölle. Drei Häuser hat er gerettet, indem er mit seinen kräftigen Händen rechtzeitig Bäume gefällt hat. Die Bäume sind Opfer, und doch auch eine große Gefahr. Pankratow hielt auch Wache in der Nacht, und als sich die Flammen einmal aufs Neue entzündeten, schlug er sofort Alarm. Inzwischen sind die Bäume auf einem Gebiet so groß wie Dutzende Fußballfelder verschwunden. Abgebrannt, abgetragen. Übriggeblieben sind ein paar schwarze Holzstümpfe. Aber da ist ja noch der Torfboden, überzogen von dampfenden Rauchschwaden, aus denen bei einem kleinen Windstoß schon wieder die Flammen schießen. Kupawna bleibt bedroht. Denn der Torf brennt unterirdisch, "und wenn nicht bald endlich der Regen kommt", sagt Senzow, "dann frisst sich der Brand an die Häuser heran, die jetzt noch stehen."

Doch der Regen hat sich noch nicht angekündigt, auch wenn eine Frau sagt, sie bete jeden Tag. Die Nachrichtenlage in Russland bleibt schlecht, und die Wetterlage stabil. Knapp 40 Grad sind noch mindestens bis Mitte der kommenden Woche vorausgesagt. Das hat Moskau, hat Russland noch nie erlebt. Die Plage will einfach nicht weichen. Moskau ist umzingelt von Bränden, die sich wie freche Teufel an einer Stelle besiegen lassen, aber dafür an anderer wieder munter werden. Rauchschwaden haben sich über das Zentrum, den Kreml, das Weiße Haus gelegt, und es ist schwer zu sagen, welche Mitschuld die Politik an allem trägt.

Opposition macht auch die Moskauer Regierung mitverantwortlich

Ministerpräsident Wladimir Putin hat zögerliche Funktionäre in den Regionen zum Rücktritt aufgefordert, aber die Opposition macht auch die Moskauer Regierung mitverantwortlich. Vor einigen Jahren unterschrieb Putin als Präsident einen neuen Waldkodex, ein Gesetz, mit dem die Zentrale in Moskau die Oberaufsicht über den Schutz der russischen Wälder praktisch aufgab. Und so ist es vermutlich, wie so oft, eine Melange aus politischen Fehlern, lokaler Korruption und gedankenloser Trägheit, dass das extreme Wetter nun leichtes Spiel hat bei seiner Feuerwalze durch das halbe Land.

48 Tote gibt es bereits, aber das sind nur die offiziellen Zahlen, die direkten Brandopfer. Was ist mit denen, die an den Folgen der hohen Temperaturen sterben? An Asthma? An Herzversagen? Und mit jenen, die - aus Leichtsinn oder aus purer Not - in die Teiche sprangen und später tot aus ihnen herausgezogen wurden? Die Moskauer Krematorien sind ausgelastet, deutlich mehr Menschen sterben als sonst im russischen Sommer.

Einem der Feuerwehrleute, die tagelang in Kupawna halfen, wurde wegen der schlechten Luft so übel, dass er am Dienstag in ein Krankenhaus gebracht wurde. "Aber Gott sei Dank, hier hat es bis jetzt keine Todesopfer gegeben", sagt Nelja Kitajewa, die in Kupawna lebt. Kitajewa hat offensichtlich Glück, denn während in anderen Brandgebieten Russlands Menschen über verspätete Hilfe klagen, erzählt sie nur Gutes über die Arbeit der Behörden. "Alle waren sofort hier, sogar der Leiter der Administration kam und fing an, die Hilfe zu koordinieren", sagt sie. Löschflugzeuge überflogen den Wald, Hubschrauber schwebten über dem Ort, und die Feuerwehr ist seit zehn Tagen ohne Unterlass hier, wässert den ausgetrockneten Torfboden, löscht Flammen, die sich immer wieder erheben. Auch der stellvertretende Leiter des russischen Katastrophenschutz-Ministeriums ist nach Kupawna gekommen. Eine Katastrophe mit Todesopfern, praktisch vor den Toren Moskaus, das wäre neben all den menschlichen Dramen wohl auch ein allzu niederschmetterndes Symbol gewesen. Und so kam Verstärkung auch aus anderen Gebieten, gar bis aus Kursk. Will bei so viel Tatkraft etwa einer Vorwürfe äußern?

Irgendjemand muss in dieser Stunde der Not kritisiert haben, dass zum Beispiel Feuerwehrleute auch einmal untätig warten mussten, weil der Nachschub mit Wasser nicht schnell genug vorankam. "Manche haben einfach keine Ahnung", sagt Michail Skworzow, einer der Koordinatoren in Kupawna, und erklärt: "4000 Liter fasst der Wassertank eines Feuerwehrautos. Nach etwa anderthalb Minuten ist der Tank also leer, und endlos ist das Reservoir in den Zisternen auch wieder nicht." Der See, aus dem sich der Nachschub speist, ist vier Kilometer entfernt. "Es gibt Orte, die direkt am See liegen, bei anderen wiederum dauert dafür alles noch länger", sagt er. "Das Wetter ist eben extrem. Das hat es nie gegeben. Dafür kann einfach niemand etwas."

Und so tut auch eine alte Frau, die mit einem Tuch ihren Kopf vor der sengenden Sonne schützt, was nötig ist, wenn das Feuer vor Moskau steht. Mit einem Wasserschlauch harrt sie in ihrem verdorrten Garten aus und gießt stoisch die Stämme ihrer Apfelbäume. Sie wohnt seit 1986 in der Siedlung von Kupawna, und sie sagt, "solche Feuer gab es früher nicht. Ich haben den Wald vor meiner Tür immer geliebt. Die Birken, die Kiefer. Jetzt ist er einfach weg." Die Ernte ihrer Obstbäume fällt aus. Nichts wächst, die vertrockneten Blätter zerbröseln zwischen den Fingern. Aber so schlimm sei das auch wiederum nicht, sagt sie. "Im vorigen Jahr hatte ich so viele Äpfel, dass sie mir schon über waren. Hauptsache, mein Haus bleibt stehen, und es fängt bald an zu regnen."

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