Waffenverbotszone:Auf der Reeperbahn nachts ohne Colt

"Jede beschlagnahmte Waffe ist eine gute Waffe": Hamburgs Amüsierviertel ist die einzige Waffenverbotszone in Deutschland - weitere sollen folgen.

C. Langrock-Kögel

Die Liste ist lang und trennt fein säuberlich: 195 Messer, 24 Reizstoff-Sprühflaschen, zehn Teleskop-Schlagstöcke, fünf Knüppel, vier Schlagringe, vier Paar gefüllte Handschuhe, zwei Schreckschusspistolen, eine abgeschlagene Flasche, ein Hammer, ein Nietenarmband, ein Schraubendreher, eine Handfackel und eine "pyrotechnische Abschussrampe".

Waffenverbotszone: Neue Schilder für die Reeperbahn: Waffen sind nun verboten.

Neue Schilder für die Reeperbahn: Waffen sind nun verboten.

(Foto: Foto: dpa)

Macht 250 Waffen oder das, was als solche verwendet werden könnte, konfisziert von der Hamburger Polizei auf der Reeperbahn, wo seit acht Monaten ein bundesweit einmaliges Waffenverbot gilt. Die Zahlen sind das erste messbare Ergebnis des Überwachungs-Konzepts der Innenbehörde, das die Gewalt auf dem Kiez einzudämmen soll. Polizeisprecher Ralf Meyer sagt: "Jede beschlagnahmte Waffe ist eine gute Waffe."

Brutal-spektakuläre Fälle

Seit Jahren steigt die Zahl der gefährlichen Körperverletzungen in Hamburg, in den ersten Halbjahren 2006 und 2007 um 24 und 19 Prozent. Betroffen sind viele Stadtteile, aber im Brennpunkt steht die berühmte Reeperbahn, wo sich an Wochenenden bis zu 80000 Besucher auf einem knappen Quadratkilometer Fläche amüsieren wollen. Unter dem Einfluss von Alkohol eskalieren die Aggressionen schnell.

Spektakuläre Fälle wie der des 19-jährigen Sohns eines Hamburger Bezirksamtsleiters, der beim Kiezbummel von einer Gruppe junger Männer grundlos angegriffen und schwer verletzt wurde, schüren Angst. Als die Fotos von der zentimeterlangen Kopfverletzung des Opfers im November vorigen Jahres durch die Hamburger Blätter gingen, arbeitete die damalige CDU-Regierung bereits an der Einführung einer waffenfreien Zone. Hamburg nutzte dazu als erstes und immer noch einziges Bundesland die Neuregelung des bundesweiten Waffengesetzes. Neben der Reeperbahn erklärte die Stadt auch den Hansaplatz in St. Georg zum Waffenverbots-Gebiet.

Für die Kiez-Gastronomen hat sich die Maßnahme schon bewährt. "Subjektiv betrachtet", sagt Uwe Christiansen, der zwei Lokale in dem Viertel betreibt und zweiter Vorsitzender der Interessengemeinschaft St. Pauli ist, "ist es ruhiger geworden." Christiansen führt das vor allem auch auf die umfangreiche Videoüberwachung zurück. Die ermögliche es den Polizisten, brenzlige Situationen zu erkennen und "früher einzugreifen".

Auch für Touristen ist das neue Gesetz auf eigenartige Weise attraktiv: Sie posieren gerne für Erinnerungsfotos vor den gelben Schildern mit den Piktogrammen, die zwischen der S-Bahn-Station Reeperbahn und dem Millerntor das Mitführen von Pistolen, Messern, Baseballschlägern und Abwehrsprays verbieten. Erlaubt sind nur Selbstverteidigungssprays mit Reichweiten von unter einem Meter. Wer mit einer Waffe erwischt wird, zahlt mindestens 100, im Wiederholungsfall bis 10000 Euro Buße. Nichtzahlern drohte die Polizei in 15 Fällen mit Erzwingungshaft.

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Auf der Reeperbahn nachts ohne Colt

Der Kiez ist schon längst nicht mehr nur Rotlichtviertel, sondern die bevorzugte Partymeile junger Leute. Besserverdiener sitzen an lauen Abenden in den Lounge-Sesseln der vielen Bars und Restaurants. Aber in langen Wochenend-Nächten reicht es manchmal schon, einem alkoholisierten, aggressiven Jugendlichen eine Zigarette zu verweigern, um zusammengeschlagen zu werden. 30 bis 40 Fälle von Körperverletzung registrieren die Beamten der Davidwache in solchen Nächten - gemessen an der Besucherzahl wenig, findet Polizeisprecher Meyer: "St. Pauli ist ein sicherer Ort."

Trotzdem hat die Innenbehörde öffentlichkeitswirksam den Zugriff auf St. Pauli verstärkt, nach dem Motto: Wer den Kiez sicherer macht, macht auch ganz Hamburg sicher. An einem Samstagabend sind jetzt 80 bis 100 Beamte im Einsatz, unter ihnen auch Zivilfahnder. Bei 71 "Schwerpunkteinsätzen" zur Waffensuche waren es sogar bis zu 254 Polizisten. In der Verbotszone dürfen die Beamten zwar Taschen kontrollieren, Personen aber nicht ohne Verdacht durchsuchen. Deshalb setzen sie Metalldetektoren ein - piepst es, darf der nun Verdächtige abgetastet werden.

Ein leichter Rückgang

Straftaten kann das Waffenverbot dennoch nicht verhindern. Denn nur wenige Fälle von Körperverletzung gehen auf Messerattacken zurück, meistens greifen die Prügelnden zu einem Aschenbecher oder schlagen mit einer Bierflasche zu. Daher haben sich viele Kiez-Kioske aus freien Stücken verpflichtet, nach 20 Uhr kein Bier in Glasflaschen zu verkaufen. Ein generelles Verbot von Außerhaus-Verkäufen ist laut Meyer momentan nicht geplant.

Im ersten Halbjahr 2007 gab es in St. Pauli 351 Fälle schwerer Körperverletzung. Im ersten Halbjahr 2008 sind es 338. "Erstmals ein leichter Rückgang", sagt Meyer; mit dem Waffenverbot will er das aber nicht erklären: "Es gibt keinen Grund, sich zurückzulehnen." Die Einrichtung weiterer Waffenverbots-Gebiete wird geprüft. Ginge es nach Gastronom Christiansen, könnte das ruhig großzügig ausfallen: "Warum muss überhaupt irgendwo jemand mit einer Waffe in der Tasche herumlaufen dürfen?"

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