Waffenbesitzer in USA:Freiheit, die sie meinen

Pistolen und Gewehre als fester Bestandteil der Kultur: Warum wir das Verhältnis der Amerikaner zu Feuerwaffen nicht verstehen - das aber gerade in einem Wahljahr tun sollten.

Andrian Kreye

Der Herr von der National Rifle Association war nicht nur außerordentlich freundlich, er war auch sehr hilfreich. Auf die Frage, ob man denn im Rahmen einer Recherche nicht die Funktionsweise einer halbautomatischen Pistole erklärt bekommen und so ein Ding auch einmal ausprobieren könne, antwortete er, das ginge ja nur, wenn man Mitglied im Verein sei. Aber hier könne man sofort den Antrag für eine halbjährige Mitgliedschaft stellen.

WAffen in den USA; Kyle Cassidy; Bewaffnetes Amerika

"Es gibt einem das Gefühl von Sicherheit im eigenen Haus": Jennifer, Chris und Daniel aus Washington.

(Foto: Foto: Kyle Cassidy)

Zehn Dollar Beitrag müsse man bezahlen, zuzüglich der Leihgebühr für eine Handfeuerwaffe. Neben das Formular legte er eine Beretta Modell 92FS mit Rahmen und Ladeschlitten aus rostfreiem Stahl, dazu eine Schachtel mit Parabellum-Munition vom Kaliber neun Millimeter. Zu den Schießständen gehe es da hinten lang...

Die National Rifle Association (NRA) wurde im Jahr 1871 von Colonel William Church und General George Wingate in New York gegründet, von zwei Veteranen des amerikanischen Bürgerkrieges, die angesichts der lausigen Treffsicherheit ihrer Soldaten "die Schießkunst auf wissenschaftlicher Basis fördern und verbessern" wollten. Heute befindet sich ihr Hauptquartier in Fairfax, Virginia, und sie zählt nach eigener Auskunft fast drei Millionen Mitglieder. Die 50.000 Ausbilder der NRA weisen jedes Jahr rund 750.000 Amerikaner in den Umgang mit Feuerwaffen ein. Dazu gehören Zielsicherheit, Pflege und Lagerung.

Nach gängigen europäischen Auslegungen handelt es sich bei der NRA je nach politischer Couleur entweder um den Dachverband der amerikanischen Sportschützen, um die Lobby der amerikanischen Waffenindustrie oder um einen Haufen schießwütiger Fanatiker. Alle drei Definitionen haben ihre Richtigkeit. Keine trifft den Kern der Sache, der erklären würde, warum die NRA gerade in einem Jahr, in dem Amerika einen Präsidenten wählt, so wichtig ist. Es ist auch nicht ganz einfach nachzuvollziehen.

70 Millionen Amerikaner besitzen eine Schusswaffe. Aber eben nicht, weil sie schießwütig sind, sondern weil Waffen fester Bestandteil der Kultur Amerikas sind. Deswegen sind die Bilder, die Kyle Cassidy von amerikanischen Normalbürgern und ihren Waffen gemacht hat, so brillant. Er zeigt die Normalität in einem Land unter Waffen.

Auch im New Yorker Gun & Rifle Club standen brave Bürger an den Schießständen, Damen und Herren, meist mittleren Alters. Da fand man sich in so einem schlauchförmigen Keller mit Betonwänden und Abtrennungen aus Sperrholz, wie man ihn schon Hunderte Male in Polizeifilmen gesehen hat. Es roch nach Moder, Stein und Schießpulver.

Als humanistisch gebildeter Europäer zögerte man erst einmal, wog die zweieinhalb Pfund schwere Waffe in der Hand, schob das Stangenmagazin mit fünfzehn Kugeln ein und legte dann doch auf die lebensgroße Schwarzweißzeichnung eines Finsterlings an, der seinerseits auf einen zielte. Sorgfältig folgte man den Anweisungen des freundlichen Herrn von der NRA, atmete ruhig aus dem Zwerchfell, brachte Kimme und Korn in eine Linie und löste den Schlaghammer aus.

Freiheit, die sie meinen

Die Wucht, mit welcher der Ladeschlitten beim Schuss nach hinten fährt und wieder einrastet, wirkt beim ersten Mal ungefähr so überraschend, wie der Führschlag eines Mittelgewichtsboxers. Beim zweiten Schuss ist man schon vorbereitet, beim dritten kann man sich nun schon auf das Zielen konzentrieren. Und ja, da tauchen hinter dem Korn die Umrisse eines Menschen auf, und man hat gefälligst die "Primary Targets" zu treffen - Kopf, Rumpf und Unterleib. Denn letztlich ist die Waffe in den USA kein Sportgerät, sondern ein Instrument der Selbstverteidigung.

WAffen in den USA; Kyle Cassidy; Bewaffnetes Amerika

"Hier habe ich eine Waffe, weil wir in einer ziemlich rauen Gegend leben": Aaron und Brittny aus Pennsylvania.

(Foto: Foto: Kyle Cassidy)

So beruft sich die NRA in ihrer Arbeit auch nicht auf den Sportsgeist, sondern auf den zweiten Zusatzartikel der amerikanischen Verfassung. In dem heißt es: "Weil eine gut organisierte Miliz für die Sicherheit eines freien Staates notwendig ist, darf das Recht des Volkes, Waffen zu besitzen und zu tragen, nicht beeinträchtigt werden." Dem liegt der Gedanke zugrunde, dass sich das Volk, aber auch jeder Bürger gegen Angriffe auf Freiheit, Leib und Leben angemessen verteidigen können muss.

Das mit der Angemessenheit ist so eine Sache. Im New Yorker Gun & Rifle Club war sie noch nachvollziehbar. Da übten vor allem Geschäftsleute und Ladenbesitzer den Umgang mit Handfeuerwaffen. Und viele hatten gute Gründe, den zu beherrschen, sei es, weil sie einen Lebensmittelladen in einem Außenbezirk der Stadt mit hoher Kriminalitätsrate betrieben, oder in einem Vorort lebten, in dem Einbruchsraten und Steueraufkommen parallel zueinander stiegen.

Der Volkswagen der modernen Waffen

Auf dem Sportschützenstand in der Nähe von Hot Springs, Arkansas wurde es schon schwieriger. Dort kann man sich gegen eine Gebühr von fünfzig Dollar für einen Nachmittag aus den gut gefüllten Waffenschränken im Wohnzimmer des Platzwartes Larry ein kleines Arsenal zusammenstellen. Weil sich der Hip-Hop irgendwann Mitte der 80er Jahre darauf verlegte, den Lebensstil schwer bewaffneter Kleinkrimineller zu verherrlichen, kannte man die Modelle inzwischen aus verschiedenen Musikvideos.

Und weil Popstars Vorbildfunktion haben, wählte man die Klassiker des Radical Gangsta Chic aus. Das Sturmgewehr AK-47 spielte beispielsweise in den Songs "Check Yo Self" und "It's Been A Good Day" von Ice Cube eine zentrale Rolle. In Europa als Kalaschnikow bekannt, ist die AK-47 gewissermaßen der Volkswagen der modernen Waffen, der von Gangs in South Central Los Angeles ebenso gerne eingesetzt wird wie von Bürgerkriegsparteien in den Entwicklungsländern. Mit einer Austrittsgeschwindigkeit von 700 Meter pro Sekunde und einer Reichweite von eineinhalb Kilometern gehört die AK-47 allerdings schon eindeutig zu den Kriegswaffen. Stellt man das Gewehr auf Dauerfeuer, hinterlässt es beim ungeübten Schützen leicht Prellungen auf der Schulter.

Die israelische Maschinenpistole Uzi wiederum wurde von Public Enemy auf ihrem Debütalbum "Yo! Bum Rush The Show" und vom Wu-Tang Clan auf "Iron Flag" populär gemacht. In den achtziger Jahren war sie das Statussymbol aufstrebender amerikanischer Drogenhändler. Heute sieht man sie vor allem in Israel an den Schultern von Soldaten und Siedlern. An die Hüfte gepresst, leert die Uzi das Magazin bei einer rechnerischen Feuerkraft von 600 Schuss in der Minute mit elegantem Rattern innerhalb von zweieinhalb Sekunden.

Dagegen ist das amerikanische Maschinenpistolenmodell Mac 10, das N.W.A. im Titelsong zum Film "Boyz 'n the Hood" zitierten, ein grober Stahlklotz mit Griff und Lauf, der die Kugeln mit heiserem Stottern ausstößt. Doch nicht nur die Lieblingswaffen der Hip-Hop- Stars hatte Larry in seinen Schränken. Auch die Desert Eagle, die in fast allen Filmen von Arnold Schwarzenegger zum Einsatz kam, das M-16-Gewehr aus Oliver Stones "Platoon", sowie und als Höhepunkt des Nachmittages ein Maschinengewehr vom Kaliber 60, das in Francis Ford Coppolas "Apocalypse Now" wie eine Galionsfigur auf dem Flussboot thront und den Gurt mit den flaschengroßen Patronen mit Wucht durch den Lauf hämmert.

Natürlich gibt es keinen vernünftigen Grund, als Privatperson eine dieser Waffen zu besitzen. Doch in einer Kultur, in der Feuerwaffen zu den Grundlagen des Selbstverständnisses und der Verfassung gehören, geht es nicht so sehr um die Feuerkraft. Das Verhältnis zwischen einer Pistole und einer dieser Statuswaffen ist ähnlich wie zwischen einem VW Golf und einem Ferrari. Praktisch ist der Ferrari nicht, ausfahren kann man ihn auch nirgends. Haben will man ihn trotzdem.

Freiheit, die sie meinen

WAffen in den USA; Kyle Cassidy; Bewaffnetes Amerika

"Ich habe mit Tontaubenschießen angefangen, als ich 15 war, und bin von da an dabeigeblieben.": Valeri und Andrew aus Pennsylvania.

(Foto: Foto: Kyle Cassidy)

Kaufen kann man solche Waffen legal. Vor allem bei den "Gun Shows", privaten Waffenflohmärkten, bekommt man leichte und schwere Waffen aller Art ohne Schwierigkeiten. In 33Bundesstaaten kann man Waffen sogar ohne die in regulären Geschäften und den übrigen 17 Staaten obligatorische Sicherheitsüberprüfungen kaufen.

Solche Überprüfungen sind immer heiß umkämpfte Themen bei Wahlkämpfen. Die Demokraten plädieren dabei meist für strengere Kontrollen und für Verbote schwerer und automatischer Waffen. Die Zahlen sprechen dafür. Alleine im Jahr 2005 wurde in den USA 429.740 Gewaltverbrechen mit Feuerwaffen begangen, darunter 10.100 Morde. Besucht man einen dieser Waffenflohmärkte, merkt man schnell, dass es hier um mehr geht, als um Kriminalitätsraten, Gewaltdebatten und Politik.

In Jackson, Mississippi, findet die halbjährliche "Regional Gun Show" beispielsweise in der Ausstellungshalle des Messegeländes statt. Nun ist Jackson zwar die größte und die Hauptstadt des Staates Mississippi, mit knapp 190.000 Einwohnern ist sie aber doch eher eine Provinzhauptstadt. Sehr höflich geht es zu auf so einer Gun Show. Vielleicht liegt es ja daran, dass man in einer Halle, in der jeder Gast eine großkalibrige Waffe am Körper trägt, Streitigkeiten und Konfrontationen tunlichst vermeidet.

Die Rechtsprechung in Florida hat die Notwehr des eigenen Heims sogar auf den gesamten öffentlichen Raum ausgedehnt, was die Sache noch eindeutiger macht. Diese Rechtsprechung ist für Europäer schwer nachvollziehbar. Die Senate Bill 436 mit dem Untertitel "Stand Your Ground Bill" (was so viel bedeutet wie das Gesetz, "um seine Stellung zu behaupten") ist eine Erweiterung der sogenannten "Castle Doctrine" aus dem englischen Gewohnheitsrecht. Diese Doktrin besagt, dass jeder das Recht hat, sich und sein Heim mit allen ihm zur Verfügung stehenden Mitteln zu verteidigen.

Auf einer Gun Show ist man höflich - weil jeder eine Waffe trägt

Natürlich steht auch hinter solchen Gesetzen die NRA. Der Marketingeffekt von Gesetzen wie der Senate Bill 436 liegt auf der Hand. Je legaler man mit Schusswaffen umgehen darf und je größer die soziale Angst ist, desto eher wird man sich eine Waffe anschaffen. Doch das ist eben nur ein Aspekt des Kampfes um die Auslegung des zweiten Verfassungszusatzes. Die freundlichen Herren, die Pistolen und automatische Waffen in Jackson anbieten, könnten das erklären.

Denn nicht nur im amerikanischen Süden herrscht die Meinung vor, dass der zweite Verfassungszusatz, der jedem freien Bürger das Tragen einer Feuerwaffe erlaubt, mindestens so heilig ist wie der erste Verfassungszusatz, das Recht auf freie Rede. Beide wurzelten ja in den Anfängen der Nation, sagte ein Herr namens Keith. Genauso wie die Redefreiheit vor allem die freie Ausübung der Religionen meinte, die im alten Europa verfolgt wurde, sollte das Tragen einer Waffe den amerikanischen Siedlern die Möglichkeit geben, sich gegen etwaige Unterdrücker ebenso wehren zu können, wie die Revolutionäre gegen die Kolonialherren der britischen Krone.

Ein Herr namens Bob, der in Jackson hinter einem Tisch voller Sturmgewehre auf einem Campingstuhl saß, sagte: "Waffen haben Amerika zu dem gemacht, was es ist. Sie sind Teil unserer Kultur." Und es gehe ja nunmal auch um den uramerikanischen Gesellschaftsvertrag: "Genauso wie wir der Regierung vertrauen, muss die Regierung uns vertrauen."

In einem waren sich alle an diesem Nachmittag einig. Wer die Waffengesetze verschärfen will, den würden sie nie wählen. Weil es nicht um Waffen geht, sondern um einen Freiheitsbegriff. Das hätten die Demokraten nie verstanden. Folgt man Bob, ist die NRA weder ein Sportverband noch eine Lobby oder gar ein Haufen Fanatiker.

Die NRA steht für einen frühen Sieg der amerikanischen Gesellschaft und gehört damit von rechts in die Reihe der sonst eher linken Organisationen, die für solche Siege stehen - die Gewerkschaften, die NAACP, die Schwulenorganisationen oder die American Civil Liberties Union. Und eben da lächelte Bob. Er lächelte, weil er wusste, dass wir uns eigentlich in nur einem Punkt einig waren. Und wir Europäer? Wir müssen diesen Freiheitsbegriff nicht gut finden. Wir müssen ihn nur verstehen.

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