Süddeutsche Zeitung

Wacken Open Air:Wummern und wummern lassen

Lesezeit: 4 min

Einmal im Jahr zerdonnert das Metal-Festival die schleswig-holsteinische Dorfidylle in Wacken. Die absolute Hölle für die Anwohner? Nein, nicht hier. Eine erstaunliche Nachbarschaftsgeschichte.

Von Thomas Hahn, Wacken

Nienbüttel ruht im goldgelben Licht der Abenddämmerung. Pferde stehen an der Tränke. Ein sanfter Wind streift über Weide und Wald. Aber aus der Ferne dringen Schlagzeugsalven und grollende Bässe. Es ist die Jahreszeit des großen Metal-Festivals in der Nachbargemeinde Wacken. Die Dorfidylle liegt am ersten Augustwochenende immer unter einem Teppich aus Klang, den viele eher als Lärm bezeichnen würden. Und trotzdem sagt Bürgermeister Günter John: "Insgesamt ist das eine ganz harmonische Sache."

Es heißt, das Wacken Open Air (WOA) sei das größte Metal-Festival der Welt. Aber selbst wenn es nur das zweit- oder drittgrößte wäre - es verändert jedes Jahr das Land, auf dem es stattfindet. Die Gemeinde Wacken im Kreis Steinburg hat 1800 Einwohner. Zu Festival-Zeiten wächst sie um 75 000 Besucher. Festivalgelände und Campingplätze umfassen sieben Quadratkilometer mit zehn Bühnen, Festplatz, Buden, provisorischem Krankenhaus. Wenn man dieses Gebiet mit seinen Zelten und Aufbauten auf Luftaufnahmen betrachtet, sieht es aus wie ein dicht besiedelter Kleinstaat, der sich über die Wiesen erstreckt. Straßen sind gesperrt, überall sind schwarz gekleidete Menschen, mehr oder weniger berauscht. Die Party dauert vier Tage, die ersten Gäste kommen schon am Sonntag. Für das Festival gibt Wacken seine Beschaulichkeit ab. Und weil es so groß geworden ist, die der umliegenden Dörfer gleich mit.

Das Festival setzt seine eigenen Themen. Eines war zum Beispiel der gefeierte Auftritt des ostfriesischen Ulk-Musikers Otto Waalkes. Metal-Fans diskutierten, ob die Veranstalter zu viel Mainstream zulassen. Und über die Hitze wurde natürlich auch geredet, zumindest in den ersten Tagen. Das WOA ist eher als regnerisches Vergnügen bekannt. Es gibt berühmte Bilder, Fans im Schlamm des durchweichten Open-Air-Geländes. Dieses Jahr staubte es wegen der Trockenheit, das medizinische Personal meldete viele Sonnenbrände.

Aber eigentlich erzählt das laute Fest noch eine ganz andere Geschichte: die einer Dörfer-Gemeinschaft nämlich, in der man aufeinander zugeht.

Jede Party kann nur so gut sein, wie es die Nachbarn zulassen. Das gilt für Wacken wie für jede Geburtstagsgesellschaft. Die Gemeinde liegt so tief im Hinterland, dass sie gut geeignet ist für Feste mit hohem Geräuschpegel. Aber sie ist eben nicht ganz allein in diesem entlegenen Winkel Schleswig-Holsteins. Gribbohm, Holstenniendorf, Besdorf, Bokelrehm, Nienbüttel, Agethorst und Vaale sind auch noch da. Sie liegen wie ein Ring um Wacken. Sie bekommen nicht nur die Musik mit, sondern sind auch so etwas wie die Ein- und Ausfalltore des Festivals. "Die Menschenmassen und die vielen Fahrzeuge - das ist schon eine Beeinträchtigung", sagt Günter John.

Nienbüttel liegt drei Kilometer östlich von Wacken. Bei der ersten Auflage 1989 in der Kiesgrube an der Norderstraße mit 800 Besuchern bekam dort niemand etwas mit von der Party. Das änderte sich über die Jahre, und John ist sicher, dass das Festival nie so erfolgreich geworden wäre, wenn seine Gründer nicht ein Gespür gehabt hätten für die Befindlichkeiten in den Orten: Thomas Jensen und Holger Hübner sind Söhne der Gegend. Sie spielten beim TSV Wacken Fußball, Jensens Eltern betrieben den örtlichen Spar-Markt. "Die wissen, was sie hier zu tun haben", sagt John.

Mal kämpfen die Landwirte mit Regen, mal mit Hitze. Auf die Pachteinnahmen aber ist Verlass

In Gribbohm macht sich Alina Dittmer gerade auf den Weg zu einer Einladung, während der Strom der Metal-Fans an ihrem Haus vorbeizieht. Sie wohnt in einem Backsteinhaus an der Hauptstraße. Deren Verlängerung liegt in Wacken und ist jetzt so etwas wie eine Festival-Meile. Das Open-Air-Gelände ist nur wenige Meter entfernt. Alina Dittmers Garten umgibt ein Bauzaun, damit die Fans auf dem Weg zum Zeltplatz ihren Garten nicht als Abkürzung wählen. An- und Abfahrt seien beschwerlicher als sonst, sagt sie. "Klar, eine Woche im Jahr ist Stress." Sie wirkt trotzdem entspannt. "Die Veranstalter tun alles dafür, damit wir keine Probleme haben." Den Bauzaun zum Beispiel hat sie sich wünschen dürfen. Sie sagt: "Vieles hier gäbe es nicht, wenn das Festival nicht wäre." Eine Freundin nickt. "Das Schwimmbad in Wacken haben wir nur wegen ihnen." Wegen Hübner und Jensen, die auch Wackens Gasthof "Zur Post" gekauft und gerettet haben.

Und nicht ohne Stolz trägt Alina Dittmer das sogenannte Dorfband ums Handgelenk. Alle aus den umliegenden Dörfern haben Anspruch auf eines. Sie dürfen damit auf das Volksfest vor dem Bühnenareal und an einem Tag auch in den Konzertbereich. Das Band gibt den Anwohnern etwas, das sonst niemand hat. Das kommt gut an. Gerd Saß, Gribbohms Bürgermeister, schätzt: "70, 75 Prozent der Leute holen sich ihr Band ab." Unter den Bürgermeistern kursiert der Scherz, dass man Kommunalwahlen mit der Dorfband-Vergabe verbinden sollte, um die Wahlbeteiligung zu heben. "Das ist sehr klug gemacht worden", sagt auch Günter John. Er selbst hat von seinem WOA-Besuchsrecht an drei Abenden Gebrauch gemacht.

Das Wohlwollen der Nachbarn muss man pflegen. Wenn Jensen und Hübner in Hüpfburgen für Kinder investieren, in Vereine oder Wackener Institutionen, dann sind das auch Investitionen in die Harmonie, ohne die das Festival schlecht leben könnte. "In den ersten Jahren war die Akzeptanz nicht so groß", sagt Saß. Auch heute gibt es noch Dorfbewohner, die das Festival am liebsten wegjagen würden.

Aber die meisten haben erkannt, dass es die Gegend stärkt. Die Veranstaltungs-GmbH ist ein guter Steuerzahler. Die Fans bringen Geld in den Ort. Die Tankstellen profitieren, die Gaststätten, manche Anwohner, die in ihren Vorgärten Getränke oder Frühstück verkaufen. Für Landwirte ist das Festival auch gut. Im vergangenen Jahr regnete es zu viel, dieses Jahr setzt ihnen die Hitze zu. Auf die Pachteinnahmen durch das WOA können sie sich verlassen.

Die Dörfer um Wacken sind Teil der Festival-Kulisse. Schwarze WOA-Fahnen hängen von vielen Häusern. Am Ortseingang von Vaale grüßt ein riesiges Plakat mit Kuhschädel. Der Lärm im August ist mittlerweile ein Teil der Idylle. Und trotzdem waren die Bewohner ganz froh, als am Sonntagnachmittag wieder Ruhe einkehrte in den Dörfern.

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Quelle:
SZ vom 06.08.2018
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