Dass ein katholischer Priester an Drachen glaubt, ist eher ungewöhnlich. Aber Domingo Guerra weiß, wovon er spricht, wenn er den Vulkan einen "sturköpfigen Drachen" nennt. Der 79-Jährige hat bereits drei Vulkanausbrüche auf La Palma miterlebt, einen davon als Kind beim Kühehüten, und der jüngste sei mit Abstand der schlimmste gewesen. Guerra ist Pfarrer in der Gemeinde Tajuya am Fuße des Höhenzugs Cumbre Vieja. Wochenlang war der Platz vor seiner Kirche bevölkert von Journalisten, Wissenschaftlern und Touristen, der Blick von dort auf das lavaspuckende Ungeheuer war einfach perfekt.
In der spanischen Presse wurde Guerra zum "Pfarrer des Vulkans". Und der bot nicht nur Hilfe für die Bedürftigen, sondern auch seine Deutung der Katastrophe in diversen Radio-, Fernseh- und Zeitungsinterviews. Im jüngsten, wenige Tage vor Weihnachten, sagte Guerra noch, er denke manchmal, der Herr lasse diesmal den Ausbruch so lange dauern, weil die Menschen so wenig Glauben hätten. Wer nicht glaube, könne auch nicht auf Wunder hoffen. Doch nun, mehr als drei Monate nach Beginn des Ausbruchs, hat La Palma doch noch sein Weihnachtswunder: Der Vulkanausbruch gilt als beendet.
Ende November sah es am Cumbre Vieja noch so aus. Doch können die Palmeros der Ruhe wirklich trauen?
(Foto: Emilio Morenatti/AP)Die frohe Botschaft erreichte die Menschen auf La Palma am 25. Dezember: Julio Pérez, bei der Regionalregierung für die Sicherheit der Inselbewohner zuständig, gab offiziell Entwarnung und sprach die erlösenden Worte: "Die Eruption ist vorbei." Seit Mitte Dezember zeichnete sich ab, dass die vulkanische Tätigkeit langsam zurückging. Doch man war vorsichtig, denn auf die letzte Beruhigung im Oktober folgte eine besonders aktive Phase, in der der Kegel einstürzte und noch einmal besonders heiße Lava freigesetzt wurde. Auch jetzt trauen viele Menschen auf La Palma dem Frieden noch nicht. Wer weiß, ob der Drachen nicht doch wieder aufwacht? Für viele ist die Bilanz der vergangenen drei Monate verheerend. 1676 Gebäude hat die Lava unter sich begraben, darunter 1345 Wohnhäuser, 44 Hotels und Geschäfte sowie 16 öffentliche Gebäude wie Schulen und Turnhallen. Etwa 7000 Menschen auf La Palma haben ihr Zuhause verloren, viele ihr gesamtes Hab und Gut.
Für die Wirtschaft auf der nordwestlichen Kanareninsel war der Ausbruch eine Katastrophe im Zeitlupentempo. Bananenbauern mussten dabei zusehen, wie sich die Lavaströme im Schritttempo über ihre Felder wälzten. Dort, wo früher Bananen, Wein oder Avocados angebaut wurden, liegt jetzt meterhoch die langsam erkaltende Lava. 370 Hektar landwirtschaftliche Fläche fielen dem Vulkan zum Opfer, in der Region Tazacorte, die traditionell vom Bananenanbau lebt, sogar 55 Prozent der gesamten Anbaufläche. Kein Wunder also, dass die Menschen auf La Palma sehnsüchtig auf die versprochenen finanziellen Hilfen aus Madrid warten. Doch von den angekündigten gut 400 Millionen Euro spüren die Palmeros bisher wenig. Die Regionalregierung schätzt den entstandenen Schaden auf rund 900 Millionen Euro, das ist mehr als die Hälfte des jährlichen Bruttoinlandsprodukts der Insel.
Für manche Palmeros ist das Glas aber dennoch halbvoll. Manch einer hofft, dass nun, wo die Insel dank dem Vulkan weltweite Bekanntheit erlangt hat, auch die Touristen wiederkommen. Am liebsten solche, die gerne wandern gehen und die Natur genießen. Schließlich liegen nicht einmal zehn Prozent der Insel unter Lava. Und womöglich gibt es nach dem Vulkantourismus bald Touren auf die neu entstandene Halbinsel, die dort gewachsen ist, wo die Lava sich ins Meer ergossen hat. 44 Hektar ist sie groß, genau wie der Vatikan.
Bis dahin sind derzeit vor allem Wissenschaftler vor Ort. Die Eruption gilt als einer der am besten dokumentierten Ausbrüche überhaupt. Aus Deutschland, Portugal, Frankreich, Italien, sogar aus den USA und Kanada waren Forscher angereist, um direkt am speienden Objekt zu studieren, wie man in Zukunft Vulkanausbrüche noch besser vorhersagen kann. Forschungsbedarf gibt es genug. Denn die Menschheit schickt zwar Weltraumteleskope ins All, über das Innere jenes Planeten, auf dem sie lebt, weiß sie allerdings noch immer recht wenig. Nur dass es keine Drachen sind, die da Feuer speien, gilt als einigermaßen gesichert.