Brief an Lufthansa-Chef:"Das beleidigt uns zutiefst"

Brief an Lufthansa-Chef: Lufthansa-Chef Carsten Spohr im vergangenen April.

Lufthansa-Chef Carsten Spohr im vergangenen April.

(Foto: AFP)
  • 32 Angehörige der Germanwings-Absturzopfer haben Lufthansa-Chef Carsten Spohr in einem Brief scharf angegriffen.
  • Sie fordern höhere Entschädigungen und eine Entschuldigung des Unternehmens; die sei bislang ausgeblieben.
  • Der Lufthansa zufolge hat sich Spohr durchaus persönlich an Hinterbliebene gewandt.

Von Caspar Busse und Jens Flottau

Ganz am Ende des Briefes steht: "Mit stillen Grüßen", gefolgt vom Namen des Verfassers. Er hat das Schreiben im Auftrag von insgesamt 32 Angehörigen von Opfern der Germanwings-Katastrophe an Carsten Spohr, 48, geschickt. Doch die Vorwürfe gegen den Lufthansa-Chef sind alles andere als still - genauso wie die Begleitumstände.

Der Tonfall ist emotional und eindringlich, der Brief lässt ahnen, wie groß die seelischen Qualen der Verwandten und Freunde sein müssen. Sie fordern ein viel höheres Schmerzensgeld - und machen Spohr persönlich verantwortlich. Die Bild-Zeitung berichtete am Dienstag zuerst über den "Wutbrief", das Echo ist groß.

Der Lufthansa-Chef habe nicht mit den Angehörigen gesprochen, sei nicht zur Beisetzung erschienen, heißt es: "Ein paar persönliche Gespräche mit Ihnen hätten uns gezeigt, dass Sie nicht nur für die Öffentlichkeit, sondern auch für uns da sind. Herr Gauck, Frau Merkel und Frau Kraft haben mit uns gesprochen, Sie nicht." Und: "Sie waren für Ihre Kunden da, nicht für uns."

Was der Anwalt der Angehörigen sagt

Es habe keine Entschuldigung gegeben, es seien zudem nur Teile der Leichen überführt worden. Jeder Handwerker ersetze selbstverständlich den Schaden, den er anrichtet, heißt es in dem Brief weiter: "Versteht Lufthansa nicht, was für jeden Handwerksbetrieb selbstverständlich ist, wenn ein Mitarbeiter des Unternehmens Schaden anrichtet?"

Am Ende wird Spohr persönlich aufgefordert, zu seiner Verantwortung als Firmenchef zu stehen. Der bisherige Lufthansa-Vorschlag "beleidigt uns und vor allem unsere Kinder zutiefst".

Der Brief sei ohne anwaltliche Hilfe entstanden, lediglich auf Initiative der Angehörigen, sagt Rechtsanwalt Elmar Giemulla, da habe sich etwas aufgestaut: "Das ist im Grunde ein Ventil, das sich geöffnet hat."

Giemulla vertritt 36 Angehörigen-Familien und ist auf solche Fälle spezialisiert. Er hat auch schon Angehörige nach dem Absturz der Concorde bei Paris beraten, damals erstritt er durchschnittlich 1,4 Millionen Euro je Opfer. Ob das Schreiben im Kampf um eine höhere Entschädigung hilfreich ist, der öffentliche Druck auf Lufthansa so erhöht werden kann, da ist sich Giemulla allerdings nicht sicher.

Treffen die Vorwürfe den Richtigen?

Ist der Ton also überzogen? Treffen die Vorwürfe überhaupt den Richtigen? Bislang galt das Krisenmanagement von Spohr jedenfalls als sehr gut. "Er hat fast alles richtig gemacht", sagte ein Lufthansa-Aufsichtsrat. Der Vorstandsvorsitzende ging nach dem Absturz schnell an die Öffentlichkeit, hat sich nicht versteckt oder andere vorgeschickt.

Er ist von fast allen dafür gelobt worden, wie glaubwürdig er Anteil genommen hat am Schicksal der Familien. Spohr, selbst ausgebildeter Pilot, hat immer wieder betont, wie sehr ihn der vom Copiloten absichtlich herbeigeführte Absturz des Fluges 4U 9525 vom 24. März mitnimmt. Und man hat es ihm auch angesehen.

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Der Gedenkstein in der Nähe der Absturzstelle von Flug 4U 9525 in den französischen Alpen.

(Foto: Jeff Pachoud/AFP)

Spohr ist zurückhaltender geworden

Spohr müssen die neuen Vorwürfe bis ins Mark treffen. Der früher stets fröhliche Manager, geboren in Wanne-Eickel, hat sich in den vergangenen Monaten verändert, ist ernster geworden. Einmal Lufthansa-Chef zu werden, davon hatte er schon viele Jahre geträumt. Wie das ist, konnte er als Büroleiter des einstigen Vorstandschefs Jürgen Weber lange beobachten. Da wollte er auch einmal hin.

Im Mai 2014 war es so weit. Doch dann erschütterte eine Streikwelle die Airline, vor allem mit den Piloten gibt es Zoff. Dann kam das Germanwings-Unglück. Neulich, als Spohr ein erstes Zwischenfazit seiner Amtszeit zog, wirkte er für seine Verhältnisse doch sehr zurückhaltend. Er habe sich sein erstes Jahr im Amt wahrlich anders vorgestellt, sagte er. Nun droht Spohr auch noch zerrieben zu werden zwischen den übermächtigen Emotionen der Angehörigen, den finanziellen Ansprüchen und den Tücken des deutschen Entschädigungsrechts.

50 000 Euro hat Lufthansa zunächst für materielle Schäden bezahlt, weitere 25 000 Euro sollen pro Opfer als Schmerzensgeld hinzukommen sowie 10 000 Euro an Schmerzensgeld pro direkten Angehörigen. Lufthansa hat einen Fonds gegründet, der die Ausbildung von Kindern finanzieren soll. Wenn Familien den Hauptverdiener verloren haben, gibt es eine Opferrente, die nicht Lufthansa selbst, sondern ihre Versicherer bezahlen müssen.

Ein Menschenleben mit Geld aufwiegen?

Das Lufthansa-Angebot geht deutlich über das gesetzliche Minimum hinaus. Erst in der vergangenen Woche hatte Anwalt Giemulla in einem Schreiben an die Lufthansa-Anwälte das Schmerzensgeld, also die Entschädigung für immateriellen Schaden, aber als unzureichend kritisiert. "Die Frage, wie eine derart lange und verzweifelte Todesangst angemessen zu entschädigen ist, ist zugegebenermaßen nicht leicht zu beantworten. Eine Antwort kann jedoch sicher gegeben werden: nicht mit 25 000 Euro", so schreibt er. Und statt 10 000 Euro pro Angehörigen fordert der Anwalt mindestens 100 000 Euro.

Es geht in diesem Streit also auch um das Aufwiegen eines Menschenlebens mit Geld - ist das überhaupt möglich? "Als Unternehmen und als Vorstandschef können Sie da nicht gewinnen", sagt ein Kommunikationsberater. Es sei in solchen Fällen viel Emotionalität im Spiel, jeder Angriff könne ins Persönliche gehen. Da sei es besser, eine unabhängige Kommission ins Leben zu rufen, die sich um die Details kümmert.

Die Reaktion der Lufthansa

Lufthansa äußerte sich am Dienstag sehr zurückhaltend. Ein Sprecher betonte, man habe viel Verständnis für die Emotionen und würde am liebsten alles dafür tun, den Absturz ungeschehen zu machen, aber dies sei leider nicht möglich.

Dass Spohr sich tatsächlich nicht mit Angehörigen unterhalten hat, ist offensichtlich falsch. Direkt nach dem Absturz war er mit Germanwings-Chef Thomas Winkelmann nach Haltern gefahren, um sich mit ihnen zu treffen. Aus dem Ort stammte eine Schulklasse, die an Bord der Germanwings-Maschine war, dort wurde auch der Brief verfasst. An den Trauergottesdiensten in Haltern und Köln hatte Spohr teilgenommen, dem Vernehmen nach hat er auch alle persönlichen Briefe selbst beantwortet.

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