Süddeutsche Zeitung

Vorwürfe gegen Bill Cosby:American Horror Story

Bill Cosby galt bis vor wenigen Wochen als Inbegriff der heilen Welt und als Verkörperung des Amerikanischen Traums. Nach schweren Vergewaltigungsvorwürfen macht sich Fassungslosigkeit breit.

Von Jürgen Schmieder, Los Angeles

Was viele Amerikaner in diesen Tagen umtreibt, wenn sie über Bill Cosby sprechen, ist: Fassungslosigkeit. Erschütterung. Als würde einem der Partner nach 50 Jahren vermeintlich glücklicher Ehe mitteilen, dass es niemals Liebe war. Wie Daryl Hall und John Oates, wie Jon Bon Jovi oder zur Not auch Gareth Gates in ihren Liedern will man als Fan rufen: "Say It Isn't So" - Sag', dass das nicht wahr ist!

Bill Cosby sagt nichts. Oder besser: Er sagt, dass er nichts sagen möchte zu den Vorwürfen, die gegen ihn erhoben werden. Mindestens 16 Frauen sagen, dass er, der American Dad, sie vergewaltigt oder sexuell belästigt habe - einige davon geben an, dass sie zuvor von Cosby absichtlich unter Drogen gesetzt worden seien. Um den mittlerweile 77 Jahre alten Komiker entwickelt sich eine American Horror Story, über die das Promiportal TMZ gleichermaßen berichtet wie die New York Times.

Die gewöhnlichen Skandal-Mechanismen, sie greifen in diesem Fall nicht mehr, weil es sich bei den Anschuldigungen zum einen nicht um ein anzügliches Foto, eine unbedachte Äußerung oder ein trauriges Missverständnis handelt - also um kleine Wellen, die über einen Prominenten hinwegschwappen. Es geht um einen Tsunami: Stimmen die Vorwürfe, dann wäre Cosby ein Verbrecher, ein Serien-Vergewaltiger, der das Leben von mindestens 16 Frauen zerstört und seinen Reichtum und Einfluss dazu benutzt hätte, diese Vergehen zu vertuschen.

Bill Cosby, das klingt nach heiler Welt

Die Aufregung ist auch deshalb immens, weil Bill Cosby nicht einfach nur der Name eines berühmten Komikers ist. Bill Cosby, das ist eine Marke, das klingt nach heiler Welt und intakter Familie und integren Menschen. Bill Cosby, das steht für Anstand, Moral und Werte. Bill Cosby, das sorgt für ein wohliges Gefühl in der Magengegend. Bill Cosby nicht klasse zu finden, das war bis vor wenigen Wochen in etwa so, als würde jemand Gott oder Buddha doof finden.

Es wäre zu kurz gegriffen, Cosby auf seine Rolle als Cliff Huxtable in der Familien-Sitcom "The Cosby Show" (1984-1992) zu reduzieren, die Coretta Scott King, Witwe des Bürgerrechtlers Martin Luther King, als das positivste Porträt einer schwarzen Familie bezeichnete, das jemals im Fernsehen gezeichnet wurde. Diese Vorzeigefamilie aus Brooklyn, der Inbegriff von Anständigkeit und Moral. Cosby als American Dad, der die Bedürfnisse seiner Ehefrau und Kinder ernst nimmt und Probleme nicht wegbrüllt oder -prügelt, sondern über sie diskutiert und humorvoll löst.

Die Verkörperung des Amerikanischen Traums

Als die erste Folge der Sendung ausgestrahlt wurde, hatte Cosby bereits seit sieben Jahren einen Stern auf dem "Walk of Fame". Er hatte drei Mal den Emmy (für seine Rolle in "I Spy") gewonnen und war acht Mal mit dem Grammy für seine Comedy-Auftritte und Alben ausgezeichnet worden. Er war Werbefigur für Zahnpasta, Nachtisch, Softdrinks und amerikanische Autos - und hatte an der University of Massachusetts im Fach "Education" promoviert.

Cosby war die Verkörperung des American Dream, von dem viele Menschen seiner Hautfarbe geglaubt hatten, dass er sich für sie niemals erfüllen würde und dass das Streben nach Glück für einen Schwarzen ein aussichtsloses Unterfangen sei. Er war der lebende Beweis des Gegenteils: Sein Vater war Alkoholiker, der entweder nicht zuhause war oder auf die Kinder losging. Cosby fiel in der zehnten Klasse durch, im Jahr 1953 war das, er verließ die Schule und arbeitete bei einem Schuhmacher. 35 Jahre später war er der bestbezahlte Entertainer der Welt, sein Vermögen wird mittlerweile auf knapp 500 Millionen Dollar geschätzt.

Aufgrund seines Lebenslaufes konnte er es sich leisten, sich selbst zum schlechten Gewissen der Afroamerikaner zu stilisieren. Er warf Eltern vor, ihre Kinder nicht anständig zu erziehen. Er belehrte Teenager, sich mehr um Bildung und Karriere zu kümmern denn um Klamotten, Schmuck und Gangsta Rap. Und er ermahnte die Menschen seiner Hautfarbe, widrige Umstände nur ja nicht als Ausrede für Misserfolg oder gar Verbrechen gelten zu lassen. Wer sich anstrengt, der kann es zu etwas bringen im Leben - egal, woher er kommt oder welche Farbe seine Haut hat, so die Botschaft. Diese Aussagen, die bisweilen an Predigten erinnerten, gefielen nicht unbedingt allen Menschen, doch was sollten sie dagegen sagen? Cosby hatte es ja selbst vorgemacht.

Die Figur des Cliff Huxtable, die er in der "Cosby Show" darstellte, war eine Fortführung dessen, was Cosby selbst gerne in der Öffentlichkeit verkörpern wollte. Der reale Mensch und die Rolle waren derart ineinander verwoben, dass für viele Menschen Bill Cosby und Cliff Huxtable ein und die selbe Person waren. Huxtable schickte seine älteste Tochter Sondra an die Elite-Uni-Princeton und erklärte seinem Sohn Theo, dass ein Ohrring kein geeignetes Schmuckstück für einen jungen Mann ist. Im wahren Leben schrieb Cosby das Buch "Fatherhood", einen Bestseller übers Vatersein. Auf dem Titelbild ist Cosby im Cliff-Huxtable-Pulli zu sehen.

Es sind schwere Vorwürfe, die gerade gegen Cosby erhoben werden - sie porträtieren ihn als American Psycho. So belastend die Aussagen auch sind, es gilt in der Justiz erst einmal die Unschuldsvermutung. Dass Cosby nichts sagen möchte, ist noch kein Eingeständnis seiner Schuld. Auch die Absage von Auftritten, das Einstellen einer geplanten Sitcom auf NBC oder das Verschieben einer Sendung anlässlich seines Geburtstags können nicht als Indizien gewertet werden.

Nur, und aufgrund der gesellschaftlichen Relevanz ist diese Frage höchst interessant: Was bedeutet das alles für den Cliff-Huxtable-Cosby? Für die "Cosby Show"? "Ich will, dass es sich komisch anfühlt, die alten Folgen zu sehen", sagt der Komiker Hannibal Buress, der mit seinen Aussagen während eines Auftritts ("Du hast Frauen vergewaltigt, Bill Cosby") auch daran beteiligt war, dass nun über Cosby debattiert wird.

Auf einigen Kabelsendern und Streamingportalen sind immer noch alle 198 Folgen zu sehen, auch die Episode mit dem Ohrring. Der Vater will sich nicht auf Gerüchte verlassen, er will von seinem Sohn selbst hören, was der da angestellt hat. Er wartet geduldig, bis Theo selbst mit der Wahrheit rausrückt. Genau das wünscht man sich nun von Cosby: Er soll sagen, dass das alles nicht stimmt - oder er soll zugeben, dass die Vorwürfe wahr sind und sich einer umfassenden Aufarbeitung nicht in den Weg stellen. Das ist er sich selbst schuldig, seiner Ehefrau Camille und der Figur Cliff Huxtable, die vielen Menschen so viel bedeutet.

Im Vorspann der Sendung präsentiert Cosby oft diese wunderbare Grimasse mit den aufeinander gepressten Lippen, den aufgeblasenen Backen und den weit aufgerissenen Augen. Bei einem Interview mit der Nachrichtenagentur AP vor wenigen Wochen - bei dem er erneut sagte, nichts sagen zu wollen - zieht er die Mundwinkel nach unten, der Blick ist müde. Bill Cosby und Cliff Huxtable. Diese beiden Persönlichkeiten könnten derzeit unterschiedlicher kaum sein.

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