Süddeutsche Zeitung

Vor Gericht:Höxter-Prozess könnte platzen

  • Der Anwalt des Angeklagten Wilfried W. stellt den Antrag, einen neuen Sachverständigen mit der psychiatrischen Begutachtung seines Mandanten zu beauftragen.
  • Dem vom Gericht bestellten Gutachter Michael Osterheider fehle es "erkennbar an der erforderlichen Kompetenz", sagt der Verteidiger.
  • Auch der Angeklagte selbst bezichtigt den Sachverständigen in einem Schreiben: Er habe seine Aussagen teilweise falsch wiedergegeben.

Von Hans Holzhaider

Der seit mehr als einem Jahr andauernde Prozess um das "Horrorhaus von Höxter" könnte sich auf unabsehbare Zeit verzögern oder sogar platzen. Der Verteidiger des Angeklagten Wilfried W. stellte am Dienstag den Antrag, einen neuen Sachverständigen mit der psychiatrischen Begutachtung seines Mandanten zu beauftragen. Dem vom Gericht bestellten Gutachter Michael Osterheider fehle es "erkennbar an der erforderlichen Kompetenz", sagte Detlev Binder.

Wilfried W. und seine Ex-Ehefrau Angelika W. sind angeklagt, in ihrem Haus in Höxter-Bosseborn mehrere Frauen über einen längeren Zeitraum hinweg massiv misshandelt zu haben. Zwei Frauen sind an den Folgen dieser Misshandlungen gestorben. Die Anklage lautet auf Mord durch Unterlassen, weil die Angeklagten es trotz des lebensbedrohlichen Zustandes der Frauen versäumt hätten, ärztliche Hilfe zu holen.

Auch der Angeklagte selbst bezichtigte den Sachverständigen in einem Schreiben

Gutachter Michael Osterheider, Professor für Forensische Psychiatrie an der Universität Regensburg, berichtete vor dem Landgericht Paderborn zunächst als Zeuge, was Wilfried W. ihm bei den Explorationsgesprächen über seinen Lebenslauf und die Tatvorwürfe erzählt hatte. Dabei ging es insbesondere auch um Sexualpraktiken, die auf eine sexual-sadistische Neigung des Angeklagten hinweisen könnten. W. soll laut Anklage den Kopf seiner damaligen Ehefrau mit Decken umwickelt und sich darauf gesetzt haben, um Erstickungsgefühle auszulösen.

Osterheider sagte, diese Praxis habe den Angeklagten sexuell erregt. In Osterheiders schriftlichen Gutachten heißt es nach Aussage des Verteidigers Binder im Gegensatz dazu aber: W. habe "kein Interesse an sexuellen Gewaltakten" gehabt. Auch was Osterheiders Aussagen zu Angelika W. betrifft, gibt es offenbar Widersprüche.

Osterheiders mündlicher Aussage zufolge hat die Ehefrau das "Luftabschnüren" nicht als sexuell erregend empfunden haben. Im schriftlichen Gutachten jedoch, so der Verteidiger, heiße es aber, die Frau habe das Würgen "eingefordert", weil es "quasi süchtig" mache. "Das sind absolute Widersprüche", sagte der Verteidiger. Der Sachverständige habe seinem Gutachten "offenbar willkürlich völlig widersprechende Sachverhalte zugrunde gelegt."

Auch der Angeklagte selbst bezichtigte den Sachverständigen in einem Schreiben: Er habe seine Aussagen teilweise falsch wiedergegeben. "Der Gutachter ist für mich nicht der Richtige". Falls das Gericht dem Antrag stattgeben sollte, müssten wesentliche Teile der Beweisaufnahme wiederholt werden. Das würde bedeuten, dass der Prozess sich noch mindestens ein Jahr hinziehen könnte.

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SZ vom 15.11.2017/dit/cat
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