Vor Gericht:"Ehrenmord" in Berlin: Brüder von Hatun Sürücü freigesprochen

Gedenken an Hatun Sürücü

Jedes Jahr legen Menschen Blumen nahe dem Gedenkstein für Hatun Sürücü in Berlin nieder. Sie wurde Opfer eines "Ehrenmordes".

(Foto: dpa)
  • Im Jahr 2005 wurde die damals 23-jährige Hatun Sürücü auf offener Straße von ihrem Bruder erschossen.
  • Er soll die Tat mit seinen zwei älteren Brüdern geplant haben. Beide wurden beim Prozess in Berlin aus Mangel an Beweisen nicht verurteilt.
  • Ein Gericht in Istanbul ist nun zum gleichen Ergebnis gekommen.

In einer Februarnacht im Jahr 2005 wird Hatun Sürücü in der Nähe ihrer Wohnung in Berlin erschossen. Der Schütze ist ihr jüngerer Bruder, Ayhan Sürücü. Der damals 18-Jährige wird zu einer Jugendstrafe von neun Jahren und drei Monaten verurteilt. Ebenfalls angeklagt: die beiden älteren Brüder, sie sollen die Tat mitgeplant haben. Sie werden freigesprochen, aus Mangel an Beweisen. In der Türkei mussten sie sich seit vergangenem Jahr erneut vor Gericht verantworten, die Anklage lautete Beihilfe zum Mord. Die türkische Staatsanwaltschaft hatte für die heute 36 und 38 Jahre alten Männer lange Haftstrafen gefordert. Nun sind die beiden Brüder in allen Aklagepunkten freigesprochen worden.

Es hätten "nicht genügend eindeutige und glaubhafte, klare Beweise gefunden werden können", hieß es in der Begründung des zuständigen Gerichts in Istanbul. Nach türkischem Strafgesetzbuch hätte auf die Anklage der Beihilfe zum Mord bis zu 20 Jahre Haft gestanden.

Der Vorwurf lautete, die beiden Brüder hätten gemeinsam mit ihrem jüngsten Bruder den Mord an ihrer Schwester geplant, sie sollen sich an ihrem westlichen Lebenstil gestört haben. Die Deutsch-Türkin Hatun Sürücü zog damals in Berlin ihr Kind alleine auf, sie widersetzte sich ihrer strenggläubigen Familie, die sie mit 16 in der Türkei mit einem Cousin verheiratet hatte und kehrte mit ihrem kleinen Sohn zurück nach Berlin. Dort machte die 23-Jährige eine Lehre zur Elektroinstallateurin, hatte einen deutschen Freund. Ihr kleiner Bruder, der Schütze, sagte im ersten Prozess 2006 aus, er habe die Ehre der Familie wiederherstellen wollen.

Die Hauptzeugin war unauffindbar

Ein SMS-Wechsel über die Tat hatte für eine Verurteilung der beiden Älteren im Berliner Prozess 2006 nicht ausgereicht, auch nicht die Aussage einer Freundin, die Brüder seien "wie im Rausch gewesen". Ebenso wenig, dass einer der beiden Älteren zum Todesschützen sagte: "Ich hab dir doch gesagt, schieß ihr nur einmal auf den Kopf". Der Jüngste nahm die Schuld auf sich, die Älteren wurden freigesprochen und setzten sich in die Türkei ab.

Das Urteil hob der Bundesgerichtshof im August 2007 auf, der Prozess gegen die beiden älteren Brüder sollte neu aufgerollt werden. Doch die Türkei weigerte sich, die Männer auszuliefern. Ein paar Jahre später leiteten die türkischen Behörden doch noch ein Verfahren ein und ließen sich aus Berlin die Akten schicken. Im Jahr 2016 begann in Istanbul der Prozess gegen die beiden Brüder. Doch auch in diesem Prozess mangelt es an Beweisen.

Die Hauptzeugin der Anklage in Istanbul war die Ex-Freundin des jüngsten Bruders. Sie hatte im Prozess 2006 in Deutschland gegen ihren Ex-Freund ausgesagt, dieser habe ihr vom Mitwirken der beiden älteren Brüder erzählt. Die Staatsanwaltschaft in Istanbul musste sich allerdings alleine auf die Aussagen von damals stützen und konnte die Zeugin nicht noch einmal hören, weil es den Behörden nicht gelang, ihren Aufenthaltsort zu ermitteln. Die Istanbuler Staatsanwaltschaft bezog sich dementsprechend auf die Ermittlungsakten aus Berlin.

Ayhan Sürücü, der jüngste Bruder, der mittlerweile seine Strafe abgesessen hat und in die Türkei abgeschoben wurde, betonte im Prozess vor dem Istanbuler Gericht erneut, die Tat alleine begangen zu haben. Den westlichen Lebensstil seiner Schwester gibt er diesmal nicht als Motiv an. Vielmehr habe er die Fassung verloren, sagt er in seiner Vernehmung.

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