Urteil:Lebenslänglich für Amokfahrer von Volkmarsen

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Der Angeklagte beim Prozessauftakt in der vom Landgericht Kassel angemieteten Messehalle. (Foto: Swen Pförtner/dpa)

Knapp zwei Jahre nach der Autoattacke auf einen Rosenmontagszug ist ein 31-Jähriger verurteilt worden. Das Landgericht Kassel stellte auch die besondere Schwere der Schuld fest.

Am Boden ein Bollerwagen zerlegt in Einzelteile, Menschen weinen, überall liegt Konfetti. Auch knapp zwei Jahre nach dem Rosenmontagszug in Volkmarsen haben die Bilder ihre verstörende Wirkung nicht verloren. Damals raste Maurice P. mit seinem Auto in die feiernde Menge. Am Donnerstag hat das Landgericht Kassel den heute 31-Jährigen unter anderem wegen 89-fachen Mordversuchs zu einer lebenslangen Haftstrafe verurteilt.

Der Mann fuhr nach Überzeugung des Gerichts am 24. Februar 2020 vorsätzlich mit einem Mercedes in den Karnevalsumzug und verletzte zahlreiche Besucher, unter ihnen auch 26 Kinder. Er habe willkürlich eine Menschenmenge ausgewählt. Die arg- und wehrlosen Opfer hätten keine Chance gehabt, der Attacke auszuweichen. "Das lässt ihn besonders gefährlich erscheinen", sagte der Vorsitzende Richter Volker Mütze in seiner Urteilsbegründung.

Die Richter stellten am Donnerstag auch die besondere Schwere der Schuld fest und und ordneten den Vorbehalt anschließender Sicherungsverwahrung an. Das bedeutet, dass am Ende der Haftzeit die Gefährlichkeit des Mannes in einer weiteren Verhandlung geprüft wird. Auch sein Verhalten in der Haft wird dann berücksichtigt und ein psychologisches Gutachten in Auftrag gegeben. Führerschein und Fahrzeug von Maurice P. wurden eingezogen.

Insgesamt 150 Menschen waren von der Amokfahrt betroffen, Menschen im Alter von zwei bis 85 Jahren, Menschen, von denen einige durch die Luft geschleudert wurden und auf dem Asphalt aufschlugen. 28 von ihnen mussten stationär behandelt werden, zwei Frauen wurden lebensgefährlich verletzt, sie hatten Schädel-Hirn-Traumata, Trümmerbrüche, Prellungen. Mehr als vier Minuten lang zählte der Vorsitzende Richter am Donnerstag alle Namen der mehr als 80 verletzten Opfer auf.

Hinter der Frontscheibe hatte Maurice P. eine Dashcam aufgebaut

Die Attacke hatte der Fahrer laut Gericht im Detail geplant. Vor der Tat soll er seinen Mercedes so geparkt haben, dass er in den abgesperrten Bereich rasen konnte. 50 bis 60 Kilometer pro Stunde schnell soll er gefahren sein, ungebremst und zielgerichtet. Hinter der Frontscheibe hatte er eine Dashcam aufgebaut. Aber erst als das Auto wieder stand, begann sie zu filmen.

Ein halbes Jahr lang wurde verhandelt, mehr als 180 Zeugen wurden gehört. Die Frage, die viele in Volkmarsen, eine Stadt in Nordhessen mit 6900 Einwohnern, beschäftigte, konnte allerdings auch der Prozess nicht beantworten: Warum tut jemand so etwas?

Der junge Mann stammt selbst aus Volkmarsen, er galt bis zu der Amokfahrt als unauffällig. Kurz vor der Tat soll der damals 29-Jährige seinen Job als Hilfsarbeiter verloren haben, in seiner Wohnung fanden die Ermittler Rechnungen für Wodkaflaschen, mal eine, mal zwei, einen Hinweis auf ein mögliches Motiv fanden sie nicht. Als die Beamten ihn festnahmen, war er schwer verletzt - und nüchtern.

Auf die Frage nach dem Warum, könne man nur ganz lapidar antworten: "Weil er es wollte"

Der Angeklagte hatte bei der Polizei wie auch vor dem Landgericht beharrlich geschwiegen. Eine psychiatrische Sachverständige kam zu dem Schluss, der Mann sei voll schuldfähig, gesprochen hat er auch mit ihr nicht, das Gutachten entstand schließlich nach Aktenlage und Zeugenaussagen.

Annahmen zum Motiv wie Hass, eine desolate Lebenssituation, der Wunsch nach Aufmerksamkeit oder Nervenkitzel seien möglich, blieben aber reine Spekulation, sagte der Vorsitzende Richter. "Vielleicht hat der Angeklagte die Tat auch mit dem Ziel begangen, gefasst und bestraft zu werden", so Mütze. Auch die von einer psychiatrischen Gutachterin attestierte Persönlichkeitsstörung habe sicher eine Rolle gespielt. Auf die Frage nach dem Warum, könne man wohl nur ganz lapidar antworten: "Weil er es wollte."

Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig. Die Verteidigung kündigte an, es prüfen und Revision einlegen zu wollen. Sie hatte für einen milderen Strafrahmen plädiert, da es sich um versuchten und nicht vollendeten Mord handele.

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