Süddeutsche Zeitung

Fernsehunterhaltung:Die dunkle Seite des Glamours

Die Fernsehshow "The Voice of Holland" wurde wegen Missbrauchsvorwürfen abgesetzt - ein Skandal, der weit in die schillernde Produzentenfamilie de Mol hineinreicht. Einblicke in eine Welt, die nur vordergründig glitzert.

Von Aurelie von Blazekovic

Linda de Mol schwebte 1992 ins deutsche Fernsehen und verkaufte einen Traum. Das Versprechen der jungen Frau, sie war erst 27, mit dem so tollen niederländischen Akzent: ewige Bündnisse zu stiften, den Höhepunkt der Liebe zu zelebrieren - in einem TV-Studio. Traumhochzeit, die Sendung, die bis 2000 auf RTL lief und bis zu elf Millionen Zuschauer fesselte, war eine Show mit dem schrägen Glamour des frühen Privatfernsehens, mit roten Rosen, Showtänzern und Champagnergläsern. Im funkelnden Studio stieg mit Ansage "die bezaubernde Linda de Mol" die Showtreppe hinab, führte durch Spiele wie den "Millionenkuss", in denen Paare um Autos und Geld kämpften, und war wirklich bezaubernd. Höhepunkt der Sendung war die Showhochzeit vor Studiopublikum.

Das Konzept von Traumhochzeit ist aus heutiger Sicht von vorne bis hinten absurd. Als man die Show 2012 noch einmal neu auflegte, funktionierte sie beim Publikum nicht mehr, was auch daran gelegen haben könnte, dass Linda de Mol nicht dabei war. Es brauchte schon eine wie sie, um die Mischung aus echten Emotionen, spielerischer Gewinnmaximierung (der beste Ehering, das teuerste Auto) und dem ganz großen Fernsehkitsch zusammenzuhalten.

Linda de Mol, heute 57, wurde in die Unterhaltungsbranche hineingeboren. Ihr Vater John de Mol senior war Schlagersänger, ihr neun Jahre älterer Bruder John de Mol gründete 1979 seine erste Fernsehproduktionsfirma, auf die in den Neunzigern Endemol folgen sollte, eine unternehmerische Erfolgsgeschichte. John de Mol wurde einer der wichtigsten Fernsehproduzenten Europas, Medientycoon und Milliardär, ein Mann mit vielen zündenden Ideen. Er ist nicht nur der Erfinder von Traumhochzeit, sondern unter anderem auch von den international vermarkteten Formaten Big Brother und The Voice, und damit wäre man in der Jetztzeit.

Die aktuelle zwölfte Staffel von The Voice of Holland wurde am Wochenende nach nur zwei ausgestrahlten Folgen abgesetzt. Grund ist ein Skandal, der auch in die Familie de Mol reicht. Der Sender RTL Nederland und die Produktionsfirma ITV hätten sich zu dem Schritt entschlossen, nachdem Vorwürfe des sexuellen Fehlverhaltens und des Machtmissbrauchs eingegangen waren, heißt es in einem Statement des Senders. Durch Recherchen des Programms BOOS vom öffentlich-rechtlichen Netzwerk BNNVARA, sei man in der vergangenen Woche mit den Anschuldigungen mehrerer Frauen konfrontiert worden. "Die Vorwürfe sind sehr ernst und schockierend und waren RTL nicht bekannt."

"Seit ein paar Tagen lebe ich in einem schrecklichen Albtraum."

Die Recherche soll am Donnerstag auf dem Youtube-Kanal von BOOS veröffentlicht werden, noch sind nicht alle Details bekannt. Doch die Vorwürfe lösten schon jetzt eine Kaskade an Ereignissen aus. Gegen einen Musiker wurde mittlerweile die zweite Anzeige bei der Staatsanwaltschaft erstattet. Gegenüber der Boulevardzeitung De Telegraaf bestätigte ein Juror der Sendung, der Rapper Ali B, dass es sich bei der angezeigten Person um ihn handle. Er bestreitet die Vorwürfe, schrieb auf Instagram: "Ich bin zu 100 Prozent von meiner Unschuld überzeugt. Dies ist eine Anschuldigung für etwas, das angeblich vor langer Zeit passiert ist, aber es ist nicht wahr."

Unter mehreren öffentlich beschuldigten Teilnehmern der Sendung ist auch der Bandleader von The Voice of Holland, der Musiker und Komponist Jeroen Rietbergen, 50, der langjährige Partner von Linda de Mol. Er gab am Samstag bekannt, dass er die Sendung mit sofortiger Wirkung verlasse, da ihm sexuelles Fehlverhalten gegenüber mehreren Frauen hinter den Kulissen von The Voice of Holland vorgeworfen wird.

In einer Stellungnahme durch seinen Anwalt gab Rietbergen zu, dass er in seiner Zeit als Bandleader und Pianist sexuelle Kontakte mit einigen an der Sendung beteiligten Frauen gehabt und er sexuell orientierte Nachrichten verschickt habe. Er sei sich zu diesem Zeitpunkt keines Fehlverhaltens bewusst gewesen, habe nicht geglaubt, eine Machtposition innezuhaben. "Ich habe die Kontakte damals als wechselseitig und gleichberechtigt angesehen", so Rietbergen. Mit großer Scham habe er seine Frau über die Vorwürfe informiert.

Linda de Mol machte am Montag in einer Erklärung auf der Webseite ihres Lifestyle-Magazins Linda öffentlich, dass sie sich nach 14 Jahren Partnerschaft von Rietbergen getrennt habe. "Seit ein paar Tagen lebe ich in einem schrecklichen Albtraum. Es sind so viele Dinge aufgetaucht, von denen ich nichts wusste, und von denen ich nicht weiß, was wahr ist und was nicht, weil sie anonym sind." Jeroen lebe nicht mehr bei ihr. De Mol bedankte sich für die verständnisvollen Nachrichten, die sie erreicht haben, "das ist das Einzige, was ein wenig Trost spendet, wenn das Herz gebrochen ist".

Der Skandal um The Voice of Holland verursachte auch einen wirtschaftlichen Kollateralschaden. Durch die Absetzung der ganzen Staffel und verwandter Serien entgehen RTL fast 57 Millionen Euro Werbeeinnahmen, berechnete die Medienagentur Adfact. Mit T-Mobile, Lidl, und Renault sprangen wichtige Sponsoren bereits ab. John de Mol äußerte sich bisher nicht. Sein Sohn, der Moderator Johnny de Mol, sagte in seiner Talkshow über die Frage, ob sein Vater von den Vorwürfen gewusst habe: "Die Chefs wussten davon, das haben wir gelesen. Ich nehme an, er auch."

Es funkelt, das ahnte man schon in Zeiten von Traumhochzeit, nicht alles im Fernsehen. Vom ersten Paar übrigens, das sich damals in aller Öffentlichkeit trauen ließ, gibt es Neuigkeiten. Nach 30 Jahren Ehe, so der einstige Bräutigam laut T-Online, habe man sich im Dezember getrennt. Der Grund: Er sei fremdgegangen.

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