Völkerverständigung am OP-Tisch:Mit Risiken und Nebenwirkungen

"Operation Frieden": In einem palästinensischen Krankenhaus in Nablus versuchen Ärzte eine Annäherung der Völker mit Schere und Skalpell: Für eine Hilfsorganisation operieren Juden, Muslime und Christen gemeinsam Patienten.

Peter Münch, Nablus/Tel Aviv

Nablus - Die Visite liegt hinter ihm, die Patienten mit ihren Verbänden und die vielen Familienangehörigen mit ihren Fragen sind verarztet, und nun hat Heinz Schoeneich nur noch ein Ziel: schnell zurück in den Operationsraum. Im Eilschritt geht es durch lange Gänge, die Treppe hinunter, die Tür zum OP-Bereich ist schon in Sicht - doch plötzlich ist kein Durchkommen mehr: "Wann kann meine Tochter kommen?" "Was ist mit meinen Sohn?" Alle Augen sind auf ihn gerichtet, alle Hände strecken sich ihm entgegen. "Das", sagt Schoeneich, "ist das Härteste."

Völkerverständigung am OP-Tisch: "Hier gibt es eine Klinik, wie wir sie in Deutschland auch nicht besser finden können" - Heinz Schoeneich mit einer jungen Patientin.

"Hier gibt es eine Klinik, wie wir sie in Deutschland auch nicht besser finden können" - Heinz Schoeneich mit einer jungen Patientin.

(Foto: Interplast)

Die deutschen Ärzte arbeiten im Rafidia-Hospital von Nablus, "Operation Frieden" haben sie ihren Einsatz getauft. Für die Hilfsorganisation Interplast hat der Münchner Mediziner Schoeneich ein sechsköpfiges Ärzteteam samt OP-Schwester zusammengetrommelt, die zwölf Tage lang kostenlos palästinensische Patienten operieren.

Schoeneich, der in München eine Praxis für ästhetische und plastische Chirurgie betreibt, hat Erfahrung mit Hilfseinsätzen - in Afghanistan, in Jemen, in Myanmar. Im Westjordanland war er noch nie, doch vor einiger Zeit schon ist dazu eine Idee gereift: "Juden, Muslime und Christen um einen OP-Tisch zu versammeln". Im Kern, sagt er, stamme die Idee gar nicht von ihm, sondern vom Dirigenten Daniel Barenboim, der in seinem "West-östlichen Diwan-Orchester" israelische und palästinensische Musiker zusammenbringt. Interplast versucht eine Annäherung der Völker mit Schere und Skalpell. Aber schon bei der Vorbereitung wurde klar, dass dies auch ein Einsatz mit Risiken und Nebenwirkungen werden kann.

Eigentlich wollten die deutschen Ärzte in Dschenin arbeiten. Doch als dort kürzlich der bekannte Friedensaktivist Juliano Mer-Khamis auf der Straße erschossen und auch die Interplast-Kontaktleute bedroht wurden, erschien dies als zu gefährlich - vor allem wohl für die jüdische Ärztin Miriam Weininger, eine Anästhesistin aus Pfarrkirchen.

Die Teilnehmer einigten sich darauf, niemandem zu erzählen, dass im deutschen Ärzteteam auch eine Jüdin ist, und der palästinensische Gesundheitsminister empfahl Nablus als alternativen Einsatzort - wohl nicht zuletzt deshalb, weil er hier den deutschen Ärzten stolz ein mit US-Mitteln frisch renoviertes Krankenhaus präsentieren kann.

Für Schoeneich hätte es ruhig ein wenig schlichter sein können. "In Myanmar operieren wir auf Holztischen", sagt er, "hier gibt es eine Klinik, wie wir sie in Deutschland auch nicht besser finden können." Lernen kann man daraus, dass bei aller Bedrängnis zumindest die internationale Hilfsindustrie in Palästina auf festen Füßen steht.

Nicht für jede Hoffnung reicht das Budget

Im Rafidia-Hospital sind sie ausländische Ärzteteams gewöhnt, und auch die Patienten haben bisweilen sehr genaue Vorstellungen davon, was zu tun ist. Vor der OP-Tür war Schoeneich noch von einer Frau aufgehalten worden, die ihm Fotos zeigte. Zu sehen waren darauf die verkrüppelten Finger an der Hand ihrer Tochter, die Mutter fragt nach einer elektrischen Handprothese oder einer Fingertransplantation. Schoeneich schüttelt den Kopf und sagt: "Das ist nicht möglich, es tut mir leid." Eine sechsstellige Euro-Summe würde der Eingriff kosten.

Völkerverständigung am OP-Tisch: Annäherung der Völker mit Schere und Skalpell: Die Ärzte behandeln einen Jungen mit Verbrennungen.

Annäherung der Völker mit Schere und Skalpell: Die Ärzte behandeln einen Jungen mit Verbrennungen.

Dazu reichen weder Budget noch Zeit der Interplast-Ärzte, in den zwölf Tagen ihres Aufenthalts müssen sie sich auf die dringlicheren Fälle beschränken: Verbrennungen oder schlecht verheilte Schusswunden, Unfälle und Kriegsfolgen, dazu noch angeborene Missbildungen, die oft auf die Heirat unter engen Verwandten zurückzuführen sind.

Mehr als hundert Operationen in zwölf Tagen, das ist das Pensum, und auf dem OP-Tisch liegt nun ein Mädchen namens Safa. Fünf Jahre alt, zierlich und mit einer riesigen Verbrennungsnarbe. Wulstig zieht sie sich vom Oberschenkel übers Knie und ist so schlecht verheilt, dass sie die Funktion des Gelenks einschränkt und das Wachstum behindert. Miriam Weininger überprüft die Betäubung, Schoeneich schneidet, Apparate piepen, eine palästinensische Schwester telefoniert auf dem Handy.

Issem Fahed steht als einer der nächsten Patienten auf der OP-Liste. Als frisch examinierter Anwalt griff er vor vielen Jahren in der zweiten Intifada zur Waffe und schloss sich den Al-Aksa-Brigaden an. Um Schutz zu suchen, zogen sich die Kämpfer bisweilen ins Rafidia-Hospital zurück, doch eines Nachts kam es hier zum Schusswechsel mit israelischen Truppen.

Die Narben auf Faheds rechter Körperseite zeugen von den vielen Kugeln, die ihn trafen. Blutend nahmen ihn die Soldaten mit, im Gefängnis wurde er zusammengeflickt. Nach sieben Jahren Haft kam er vor sechs Monaten frei, und als er vom Einsatz der deutschen Ärzte hörte, hat er sich an sie gewandt in der Hoffnung, den lahmen rechten Arm wieder besser bewegen zu können.

"Wir machen eine Sehnenumstellung, um die Funktion der Hand zu verbessern", sagt Schoeneich. "Ich glaube an Gott, und was gut für mich ist, wird passieren", sagt Fahed. Auf die Israelis ist Fahed nicht gut zu sprechen nach all dem Leid, und auch dies zeigt, dass selbst am OP-Tisch der Platz für Versöhnung nicht allzu groß ist. "Mit der Barenboim-Idee waren wir wohl ein bisschen zu naiv", sagt Schoeneich, doch ebenso wie er mag auch Miriam Weininger die Erfahrungen aus Nablus nicht missen.

Sie ist in Haifa aufgewachsen, hat in Jerusalem Abitur gemacht. Seit mehr als 40 Jahren lebt sie in Deutschland, doch vier- bis fünfmal im Jahr besucht sie ihre Familie in Israel. "In den Palästinensergebieten war ich noch nie", sagt sie. Nun arbeitet sie im palästinensischen Krankenhaus und erlebt, "dass alle sehr hilfsbereit und nett sind".

Sie geht oft allein auf den Markt und schlendert an den Moscheen vorbei. Es weiß niemand, dass sie Jüdin ist. "Ich hätte schon gern die Reaktion darauf gesehen", sagt sie, "ich weiß nicht, wie sie reagiert hätten."

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