Vögel in den Städten:Kommt her, ihr Täubchen!

Tauben sollen neue Unterkünfte bekommen

Tauben gelten als Stadtplage. Dabei können sie gar nichts für ihr Verhalten.

(Foto: Carsten Koall/dpa)

Tauben lassen sich nicht leicht loswerden, nicht durch Falken, nicht durch Spikes, nicht durch Verhütungsmittel. Vielleicht sollte man einfach mal nett zu ihnen sein.

Von Thomas Hahn, Braunschweig

Mit kraftvollen Schritten führt die Taubenschützerin Beate Gries in einen verbotenen Teil der Stadt Braunschweig. Sie hat vorher bei der Deutschen Bahn Bescheid gesagt, dass sie einen Gast mitnehmen wolle an den kleinen Platz zwischen den Schienen beim Hauptbahnhof. Sie hat eine zweite Warnweste dabei, weil man ohne nicht hinauf darf in diese Landschaft aus Schotter und Stahl, die eigentlich den Zügen vorbehalten ist.

Von der Salzdahlumer Straße, die unter zwei breiten Brücken das Bahngelände kreuzt, geht es zu einem Pfad, vorbei an ungepflegtem Grün und leeren Waggons. Dann zeigt Beate Gries auf einen Überseecontainer, der auf besagtem Platz an der Brüstung zur Straße steht. Hier ist es: das neue Zuhause für die Stadttauben, die im Gebälk der Brücken brüten und Straße, Gehsteig sowie Radweg verdrecken. Hier sollen sie vom Problemvogel zu einem gern gesehenen Citybewohner werden. Beate Gries sagt: "Ich bin sicher, dass es funktioniert."

Tauben beflügeln die Fantasie der Menschen. Von Friedensbotschafterin bis Ratte der Lüfte reichen die Zuschreibungen, wobei Letztere die populärste sein dürfte. Denn seit Jahrzehnten beklagt man in den Ballungsräumen, dass Tauben Gebäude vollkoten, Kosten verursachen und überhaupt eine Störung seien, diese gurrenden, flatterhaften, um Futter bettelnden Wesen, die sich nicht vertreiben lassen. Das Image ist schon deshalb ungerecht, weil es weltweit mehr als 300 Arten von Taubenvögeln gibt, von denen kaum eine mit Städten zu tun hat. Die meisten Tauben sind Wildvögel, sie leben in Wäldern, an Küsten, sogar im Hochgebirge oder am Rande von Wüsten. Manche sind wegen menschlicher Eingriffe vom Aussterben bedroht.

Die Klage über die Tauben, die nun also auch die Stadt Braunschweig mit einem speziellen Taubenschlag angeht, ist aber auch deshalb ungerecht, weil der Mensch letztlich selbst schuld ist am sogenannten Taubenproblem. Die vermeintlichen Schädlinge im Häusermeer gehören nämlich einer Taubenunterart an, welche die Natur ursprünglich gar nicht vorgesehen hatte. "Stadttauben sind keine Wildtiere, sondern domestizierte Haustiere", sagt die Biologin und Stadttauben-Expertin Alexandra Weyrather aus Wiesbaden.

Die Stadttaube, Columba livia forma urbana, stammt von der Felsentaube ab und ist vom Menschen so gezüchtet worden, dass sie als Nutztier funktionierte - vor allem als Brieftaube, aber auch als Fleischlieferant. Der Mensch wollte, dass diese Leistungstaube so ortsverbunden ist, dass sie noch aus 1000 Kilometern Entfernung den heimischen Schlag findet. Er wollte, dass sie statt zweimal im Jahr wie andere Taubenarten bis zu sechsmal im Jahr brütet. Er bereitete sie nicht darauf vor, dass sie sich auch mal in die Freiheit verirren oder dorthin entlassen werden könnte.

Wie wäre es, wenn man sich um die Tiere kümmerte?

Genau wegen dieser herbeigezüchteten Eigenschaften gehen die verwilderten Brieftauben und ihre Nachkommen der Stadtgesellschaft auf die Nerven. Sie vermehren sich zu schnell. Sie kommen immer wieder. Sie haben keine Scheu. Sie sind gestresst und anfällig für Krankheiten. Mit Abschuss, Falknern, Fütterungsverboten und Medikamenten hat man schon versucht, die Stadttaubenbestände kleinzukriegen. Ohne bleibenden Erfolg. Gebäude mit Spikes oder Netzen zu schützen, bewirkte meistens nur, dass auf dem Nachbargebäude doppelt so viele Tauben saßen. Der Leidensdruck wurde so groß, dass eine Bundesarbeitsgemeinschaft aus Tierschützern in den Neunzigerjahren eine ganz andere Idee entwickelte: Wie wäre es, wenn man sich um die Tiere kümmerte?

Bayern war Vorreiter

Augsburg war 1997 die erste deutsche Stadt, die diese Idee konsequent verfolgte. Zwölf betreute Taubenschläge, teilweise in Dachböden historischer Gebäude, betreibt die Stadt. Die Stadttauben sollen in Lebensbedingungen kommen, an die sie als Zuchttiere angepasst sind: in Taubenschläge also mit Nistplätzen und artgerechtem Körnerfutter. Stadttauben brüten auf hohen Gebäuden, weil sie in Bäumen keine Nester bauen können, und haben meistens Durchfall, weil sie sich von Müll ernähren. In den Schlägen bekommt ihr Leben eine Ordnung. Sie verbringen dort viel Zeit, deshalb landet deutlich weniger Kot in der Stadt. Nebenbei können die Tierschützer Geburtenkontrolle betreiben, indem sie Eier gegen Attrappen austauschen.

Das "Augsburger Modell" gilt unter Tierschützern als das beste Mittel, Mensch und Taube zu versöhnen. "Ich habe noch keine Stadt erlebt, in der es den Tieren so gut ging wie in Augsburg", sagt Inge Prestele vom Verein Hamburger Stadttauben. Immerhin, auch die Hansestadt macht Fortschritte. Es gibt einen gut besuchten Taubenschlag an der Westseite des Hauptbahnhofs, einen weiteren auf der Centrum-Moschee in St. Georg. Und in Mümmelmannsberg investiert die Städtische Wohnungsbaugesellschaft Saga in einen Pilot-Taubenschlag, um eine modernisierte Großwohnanlage zu schützen und zu prüfen, ob das Konzept sich bewährt.

Nicht überall ist die Taubenlobby so stark wie in Braunschweig

Aber ein Schlag fasst nur 50 bis 250 Vögel, man bräuchte sehr viele für einen echten Taubenfrieden. Ein Bahnsprecher bestätigt, der Schlag am Hamburger Hauptbahnhof locke viele Tauben an - aber auf der Ostseite habe sich wenig verändert. Nicht einmal Augsburg ist sorgenfrei; am dortigen Hauptbahnhof ohne Schlag sieht es laut Tierschutzverein anders aus als am Rathausplatz mit. "Eine möglichst stadtweite Abdeckung mit betreuten Schlägen an den Taubenbrennpunkten" empfiehlt Alexandra Weyrather in ihrem Handbuch "Stadttaubenmanagement in deutschen (Groß-)Städten". Ob es je dazu kommt? Manche Stadtpolitiker sehen den Bedarf nicht, scheuen die Kosten, können mit Taubenfreundlichkeit vielleicht ohnehin nicht viel anfangen.

Nicht überall ist die Taubenlobby so stark wie in Braunschweig. Beate Gries, 56, ist Stadtratsabgeordnete der Grünen, Vorsitzende des Vereins Stadttiere Braunschweig und im Landestierschutzverband Niedersachsen Referentin für Stadttaubenmanagement. Sie hat viel Energie, aber auch einen Sinn fürs Machbare. So hat sie den Stadtrat auf ihre Seite gebracht. Einstimmig bewilligte der die 10 000 Euro für den Taubencontainer auf dem Bahngelände. Zwei Jahre lang musste Beate Gries Überzeugungsarbeit leisten. "Das ist Rekordzeit für ein so negativ besetztes Thema, sagt man mir." Jetzt lobt sie Bahn wie Politik dafür, dass sie das Projekt möglich machen. Die letzten Arbeiten daran hat sie mit anderen Ehrenamtlichen erledigt: den Container mit Pressspanplatten ausgekleidet, Sitzgelegenheiten montiert, Brutregale aufgebaut.

Beate Gries hofft, dass das nur der Anfang ist. Sie will mehr Schläge für Braunschweig und mehr Bewusstsein dafür, dass die Tauben nicht aus den Städten verschwinden werden. Sie sagt: "Das Problem ist ja nicht gelöst."

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