Süddeutsche Zeitung

Virales Video:Schocktherapie für Gaffer

Lesezeit: 2 min

Von Xaver Bitz

Der Beginn des Videos zeigt eine Alltagssituation: Drei junge Menschen Anfang der 20 kommen aus dem Urlaub zurück. Dass der Fahrer die zwei Männer und die Frau, während das Auto unterwegs ist, selber filmt, ist leider nur ein nicht nachahmungswürdiger Randaspekt des Videos, was auf der Plattform Youtube schon über 450 000 Menschen schockiert hat. Denn was folgt, sind etwas mehr als vier lange Minuten darüber, was im Moment Feuerwehren im ganzen Land beschäftigt: Gaffer bei Unfällen, die nicht nur unnütz im Weg herum stehen und die Einsatzkräfte behindern, sondern sogar noch mit ihren Smartphones draufhalten und das sich vor ihnen abspielende Drama in die Welt der sozialen Medien verbreiten.

Fast fühlt man sich als Zuschauer des Werkes der Macher Elena Isabel Walter und Emanuel Luca Zander-Fusillo selber wie ein Voyeur. Denn man blickt immer wieder durch die Kamera des filmenden Fahrers, der erst aus der Ferne das brennende Auto und den Feuerwehreinsatz vor sich filmt und verbreitet. Später verlieren er und seine Freunde die Distanz aber immer mehr: Sie posieren vor dem Feuerwehrauto, gehen näher an die Unfallstelle heran und machen schließlich makabre Selfies von sich mit dem Unfallopfer. Dass die Feuerwehrleute sie immer wieder und immer nachdrücklicher darum bitten, das Gegaffe einzustellen, juckt sie wenig.

Gaffer gehören immer mehr zum Alltag

Produziert wurde der etwa viereinhalb Minuten lange Film im Sommer 2017 in Osnabrück mithilfe der Freiwilligen Feuerwehr Osnabrück-Stadtmitte sowie dem Bürgerverein aus dem Osnabrücker Stadtteil Wüste und der Sparkasse.Auf die Idee zu dem Video kamen die beiden Filmemacher, als sie durch die Nachrichten den Eindruck bekamen, dass Gaffer immer radikaler und rücksichtsloser agieren, sagte die 26-jährige Walter der Deutschen Presse-Agentur. Sie sei häufig zusammen mit dem zwei Jahre älteren Zander-Fusillo auf Autobahnen unterwegs und habe selbst Situationen beobachtet, in denen Gaffer die Arbeit der Rettungskräfte behinderten. "Im Drehbuch haben wir die Handlung zwar auf die Spitze getrieben, aber wir haben viel Feedback von Feuerwehrleuten erhalten, dass sie ähnliche und schlimmere Situationen erlebt haben."

Das Problem von Zuschauern bei Unfällen ist ein aktuelles: Als es im November vergangenen Jahres auf der Landwehrstraße in der Münchner Innenstadt zu einem folgenschweren Unfall kam, versammelten sich Hunderte Gaffer um die Autowracks und Verletzten. Die Polizei nahm daraufhin Ermittlungen auf und versuchte die Unfall-Schaulustigen zu fassen. Zwischen einem und zwei Jahren Freiheitsstrafe drohen Gaffern. Auch die Veröffentlichung von Aufnahmen oder auch nur deren Weitergabe ist illegal.

Es bleibt nicht beim Behindern und Zuschauen

Und teilweise bleibt es nicht einmal beim Filmen: Der Chef der Berufsfeuerwehr in Osnabrück, Dietrich Bettenbrock, berichtet, dass seinen Kollegen bei Einsätzen teils auch Material gestohlen wurde. Im Weg herumstehende Menschen, die mit ihren Smartphones filmen, seien inzwischen trauriger Alltag. Das Thema Gaffer betreffe den ADAC zwar nicht direkt, sagt der Abteilungsleiter Verkehr im Bereich Weser-Ems, Dirk Matthies. Dennoch fordert er die verantwortlichen staatlichen Stellen dazu auf, Strafen zu verhängen, die über den bereits bestehenden Strafen-Katalog hinausgehen. Das könnten auch drastische Verurteilungen wie Gefängnis sein, sagt er. "Die möglichen strafrechtlichen Konsequenzen sollten mehr publik gemacht werden, damit sie abschreckend wirken können", so Matthies.

Einen Schock bekommt auch die Hauptfigur des Videos. Denn am Ende stellt sich heraus, dass er nicht nur als Gaffer in den Unfall involviert ist, sondern auch als Verwandter des Unfallopfers.

Mit Material der dpa

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