Vierfachmord von Eislingen:Verhängnisvolle Familienverhältnisse

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Im Vierfachmord-Prozess von Eislingen entschuldigen sich die beiden 19-jährigen Angeklagten für ihre Tat.

Bernd Dörries

Vielleicht merken sie so langsam, was da eigentlich passiert ist. Vielleicht glaubten sie auch einfach nur, das sagen zu müssen, was man von ihnen erwartet. "Mir ist es wichtig, dass ich sag', dass es mir leidtut", sagte Andreas H. dem Freund seiner Schwester Annemarie, die er umgebracht hat. Und auch der Mitangeklagte Frederik B. entschuldigt sich. Es ist das erste Mal, dass die beiden Angeklagten von sich aus das Wort ergreifen, dass sie so etwas wie Reue zeigen.

(Foto: Foto: dpa)

Andreas H., 19, und Frederik B., 19, sind vor dem Landgericht Ulm angeklagt, im April 2009 in Eislingen bei Göppingen die Eltern von Andreas und seine beiden Schwestern Ann-Christin, 24, und Annemarie, 22, erschossen zu haben. Die Staatsanwaltschaft sieht Habgier als Motiv, es sei den beiden um ein Erbe von 250.000 Euro gegangen.

Hans Steffan, der Anwalt von Andreas H., sagt hingegen, sein Mandant habe unter dem autoritären Vater gelitten und irgendwann dann vor der Frage gestanden: entweder die oder ich. Frederik B. soll nach Ansicht seines Verteidigers die Tat ausgeführt haben, um Andreas nicht als Freund zu verlieren.

Am Dienstag und Mittwoch hat das Landgericht Ulm nun versucht, die Verhältnisse in der Familie H. zu beleuchten. Die Öffentlichkeit war von der Verhandlung ausgeschlossen, das Gericht hatte neun Journalisten ausgelost, die in den Verhandlungssaal dürfen, die Süddeutsche Zeitung war nicht darunter. Eine Beschwerde gegen die Beschränkung beim Bundesverfassungsgericht wurde abgelehnt. Die Berichterstattung stützt sich daher auf Protokolle von Prozessbeteiligten.

Demnach habe es vor Gericht sehr unterschiedliche Charakterisierungen des Vaters und der Familie H. gegeben. Die Freunde der beiden Schwestern sagten, der Vater sei zwar autoritär gewesen, aber nicht unfair oder gewalttätig. Hansjürgen H. habe Wert auf feste Strukturen gelegt, das Abendessen habe immer pünktlich um sechs auf dem Tisch zu stehen gehabt. Immer mal wieder fällt das Wort Vorzeigefamilie.

Manche Zeugen schildern die Familie so, wie es dem Vater wohl ganz gut gefallen hätte. Er hat immer darauf geachtet, dass jeder das komplette Familienglück sieht in Eislingen. Ob es so komplett war, ist eine andere Frage. Sie ist schwierig zu klären, denn die meisten, die im Zentrum der Familie lebten, sind nun tot. Andreas' Cousine Lucia R. schildert ein Bild der Familie, das nicht von Harmonie dominiert ist.

"Mein Onkel musste immer recht haben, alles musste so gemacht werden, wie er es wollte", sagte die Cousine des Täters. "Sonst ist er völlig ausgetickt." Wegen eines Streits habe Hansjürgen H. seiner Frau und den Kindern jeden Kontakt zum Rest der Familie verboten. Hans Steffan, der Anwalt von Andreas, schildert eine Begebenheit, die ganz gut charakterisieren würde, wie es war in der Familie: Bei einem Winterausflug habe der Vater die ganze Familie und zwei Freunde der Kinder stundenlang durch tiefen Schnee laufen lassen, obwohl alle nicht mehr konnten.

Andreas H. habe damals den Vater zur Rede gestellt, ihn gefragt, warum er sie so quäle. Damals habe er gedacht, die Unterstützung der Mutter oder der Schwestern zu bekommen, zuletzt habe aber nur er allein mit dem Vater gestritten. "Die Familie ist ihm in den Rücken gefallen", sagt Anwalt Steffan. So sei es oft gewesen. Andreas habe anfangs Selbstmordgedanken gehabt, die dann in den Plan umschlugen, seine Eltern und Schwestern zu töten. Entweder sie oder ich.

Als sich Andreas vor Gericht beim Lebensgefährten seiner Schwester Ann-Christin entschuldigt, antwortet der: "Du musst dir selber vergeben. Und das wirst du nicht schaffen."

© SZ vom 10.12.2009 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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