Vierfachmord in französischen Alpen:Radfahrer im Visier des Todesschützen von Annecy?

Die britische Urlauberfamilie al-Hilli soll nur zufällig Opfer einer schrecklichen Gewalttat geworden sein, weil der Vater ein Verbrechen beobachtete. Das behaupten britische und französische Medien. Doch die zuständigen Ermittler in Annecy weisen die neuen Berichte teilweise zurück.

Members of the media gather next to a blocked road in Chevaline near Annecy, southeastern France

Neue Erkenntnisse zum Vierfachmord in den Alpen: Ballistischen Untersuchungen zufolge hat der Täter zuerst auf den französischen Radfahrer geschossen. Die britische Urlauberfamilie musste offenbar sterben, weil der Vater die Tat beobachtet hatte.

(Foto: REUTERS)

Vier Menschen werden am helllichten Tag auf einem Waldparkplatz oberhalb der Stadt Annecy in den französischen Alpen erschossen. Das Verbrechen vom 5. September stellt die französischen Ermittler auch anderthalb Monate nach der Bluttat vor viele Fragen: Wem galt der tödliche Anschlag - der britischen Urlauberfamilie oder dem französischen Radfahrer? Wer war zur falschen Zeit am falschen Ort?

Nachdem sich die Ermittlungen bisher fast ausschließlich auf das Umfeld der Familie konzentriert hatten, wurde nun bekannt, dass diese offenbar nicht das ursprüngliche Ziel des Killers war. Nach Informationen französischer und britischer Medien wurde der Radfahrer Sylvain Mollier zuerst erschossen. Französische Ermittler distanzieren sich jedoch von den neuen Berichten.

Das Blatt Le Parisien beruft sich auf ein vorläufiges Szenario der französischen Polizei, das auf Grundlage der Ergebnisse der ballistischen Untersuchungen erstellt worden sein soll. Demnach feuerte der unbekannte Täter mehrfach auf den Franzosen, bevor er Schüsse auf Saad al-Hilli und seine siebenjährige Tochter Zainab abgab. Beide befanden sich zu diesem Zeitpunkt außerhalb des Fahrzeuges, ein weinroter BMW, mit dem die Familie unterwegs war. Das Mädchen blieb verletzt liegen; der Vater flüchtete in das Auto und versuchte, davonzufahren. Allerdings fuhr er den BMW - die Ermittler vermuten aus Panik - im weichen Untergrund einer Böschung fest, berichtet die Daily Mail.

Der Mörder erschoss daraufhin al-Hilli hinter dem Steuer sowie dessen 47-jährige Ehefrau und die 74-jährige Schwiegermutter auf dem Rücksitz. Die vierjährige Tochter Suhaila, die sich unter den Beinen der Frauen versteckt hatte, blieb unverletzt.

Nur die Kinder überlebten

Danach kehrte der Schütze dem Szenario zufolge zu Mollier zurück und gab weitere Schüsse auf den bereits Schwerverletzten ab. Die Ermittler stützen ihre Theorie von zwei Attacken auf die unterschiedlichen Einschusswinkel, die an der Leiche des 45-Jährigen festgestellt wurden. Der Mörder habe den Körper Molliers, der von sieben Kugeln getroffen wurde, dann neben dem Auto der britischen Familie platziert.

Sollte Mollier das eigentliche Ziel des unbekannten Schützen gewesen sein, würde das den weiteren Ermittlungen eine neue Richtung geben: Bislang war die Polizei davon ausgegangen, dass die tödlichen Schüsse Saad al-Hilli, ein Brite irakischer Abstammung, und seiner Familie galten. Mollier, so die Vermutung, habe das Verbrechen beobachtet und sei als Zeuge ebenfalls ermordet worden.

Der Bericht bestätigt die bisherige Annahme, dass es sich um einen Einzeltäter handelt, so Le Parisien. Die Ermittler gingen aufgrund der "ungeordneten und chaotischen Vorgehensweise" des Täters von einem Amateur aus. Das Vorgehen passe nicht zum Profil eines professionellen Killers.

Die französischen Ermittler wiesen die neuen Berichte aber klar zurück: "Nichts lässt den Schluss zu, in welcher Reihenfolge die vier Opfer getötet wurden", sagte der Leiter der Ermittlungen, Benoît Vinnemann, der Nachrichtenagentur AFP. Auch Staatsanwalt Maillaud hob hervor, kein Experte habe bisher die Reihenfolge der Schüsse feststellen können. Zu behaupten, der Mörder sei zurückgekommen, um den Radfahrer endgültig zu töten, weil die Richtung der Einschüsse unterschiedlich sei, sei ein "reines Szenario". Als "reine und simple Erfindung" bezeichnete er Berichte, denenzufolge der Mörder "chaotisch" zwischen seinen Opfern hin- und hergelaufen sei. Staatsanwalt Maillaud bestätigte hingegen, dass Familienvater al-Hilli aus dem Auto auf dem Waldparkplatz zeitweise ausgestiegen war.

Die Ermittler haben also noch viel Arbeit vor sich. Bisher hatten sie sich auf mögliche Tatmotive im Umfeld von Saad al-Hilli konzentriert und waren auf einen Familienstreit, eine illegale Waffe im Familien-Anwesen in Großbritannien und Verbindungen in den Irak gestoßen. Der Onkel von Saad al-Hillis getöteter Ehefrau Iqbal hatte die Arbeit der französischen Ermittler im Gespräch mit BBC Radio 4 als "wilde Spekulation" kritisiert. Diese hätten sich ausschließlich auf die Familie al-Hilli versteift, andere Ermittlungsrichtungen seien stark vernachlässigt worden, so Ahmed al-Saffar.

Jetzt rückt scheinbar Sylvain Mollier in den Fokus. Warum wurde er ermordet? Die Ermittler wissen bisher, dass er als Ingenieur für eine Firma des französischen Atomkonzerns Areva arbeitete. Er hinterlässt zwei Söhne im Teenager-Alter aus einer früheren Ehe und ein Baby aus einer neuen Beziehung. Zum Zeitpunkt seiner Ermordung befand er sich in Elternzeit.

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